Kapitel 33

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Kapitel 33

„Also die schon mal nich", urteilte Felix und deutete mit einer knappen Kopfbewegung zu einem älteren Paar, beide bereits grauhaarig, die mit einem vielleicht fünfjährigen Mädchen an dem Holzschiff ankamen. Vermutlich waren es Großeltern samt Enkeltochter.

„Unterschätz das nicht. Wie ist denn die Altersstruktur der Hack-Hörer so?", gab Marie zu bedenken.

„Nee", sagte Felix lang gezogen. „Dit wäre schon echt hart, wenn die dit hören würden."

„Hm", machte Marie nicht völlig zustimmend und schaute die Promenade entlang. Sie saßen auf einer Bank am Kanal, unmittelbar hinter dem Hafen und vor der Schleuse. Das Wetter heute hatte sie nicht gerade dazu inspiriert, eine weitere Radtour zu machen. Der Himmel war hellgrau und wolkenverhangen, aber bisher hatte es nicht geregnet. Wirklich kalt war es nicht, dennoch hatte Marie sich heute eine Schicht mehr angezogen.

„Die da könnten ein Problem sein."

Marie sah, was Felix meinte: Drei junge Frauen, höchstens zwanzig, näherten sich dem Schiff von der anderen Seite her. „Die machen Urlaub, bevor sie zum Wintersemester anfangen zu studieren", riet Marie. „Können und wollen ja nicht alle nach Kroatien oder Australien. Ja, die könnten problematisch werden. Wobei ich bei denen eher schätze, dass die andere Prioritäten und Vorlieben haben als zwei politisch unkorrekten alten Säcken beim Mansplainen zuzuhören."

„Samma!" Felix schaute sie gespielt erbost von der Seite an. „Politisch unkorrekt? Tommi vielleicht. Aber dit schneiden wa doch immer raus."

„Mhm." Marie verzog abschätzig den Mund, lächelte aber gleich darauf und schaute dann wieder zu dem Schiff, das etwa dreißig Meter entfernt von ihnen lag. „Ja, weiß auch nicht, ob die..."

„Ick geh ma hin und seh, wie die reagieren", beschloss Felix und ehe Marie etwas erwidern konnte, war er schon aufgestanden. Er joggte die Promenade entlang.

Marie wandte den Blick ab, schaute Richtung Hafen. Die Möwen schrien. Sie hörte es fast schon nicht mehr. Sie waren jetzt schon über eine Woche hier, an der See. Es war gut. Es war die richtige Entscheidung gewesen, herzukommen, gemeinsam. Es waren ruhige Tage gewesen, entspannt. Zu Hause, bei ihr in der Wohnung, hätte es vermutlich nicht so gut geklappt mit dem Abschalten. Nein, das hier war neutraler Boden, da hatte die Therapeutin Recht behalten. Sie hatten beide Zeit für sich gehabt - Zeit für sich alleine und Zeit für den jeweils anderen. Und sie waren fleißig gewesen. Alles, was sie für die Paartherapie dabeigehabt hatten, hatten sie bearbeitet, darüber geredet. Nicht über alles waren sie sich einig gewesen – manchmal hatte sich eine gewisse beidseitige Sturheit in den Gesprächen gezeigt. Doch selbst das war gut gewesen. Und vor allem hatten sie sich aufeinander eingelassen. Ganz anders als zuvor. Theoretischer irgendwie. Klar hatten auch die Gefühle eine Rolle gespielt, aber da sie einem roten Faden hatten folgen können, hatten sie das Ganze eher neutral betrachten oder auch analysieren können. Zusammen. Felix hatte ihr viel von früher erzählt, der Zeit in Marburg und der als Jugendlicher. Vor allem, wie er damals so in Beziehungen gewesen war. Es hatte kein gutes Licht auf ihn geworfen, aber gerade das hatte Marie schätzen gelernt. Sie hatte den Eindruck, dass er wirklich offen und ehrlich zu ihr gewesen war. Und sie hatte erkannt, wenn er noch etwas zurückgehalten hatte. Als ob sie ihn jetzt erst lesen konnte. Vielleicht hatte sie sich während ihrer Beziehung einfach zu sehr von anderen Dingen ablenken lassen. Oder sie hatte nicht sehen wollen, was offensichtlich gewesen war: Felix war nicht perfekt. Er war schwierig manchmal, ab und an war er es, der seine Emotionen nicht unter Kontrolle hatte. Vielleicht viel weniger als Marie. Aber das wusste er schon lange. Er versuchte das schon länger in den Griff zu bekommen, mit professioneller Hilfe. Aber die Sache mit dem Fremdgehen, der Untreue, hatte er bis zu ihrer Trennung einfach außen vor gelassen, hatte nicht wirklich wahrhaben wollen, dass das etwas war, was ihm selbst an erster Stelle nicht gut tat, nicht nur den Frauen, mit denen er zusammen gewesen war, und die er angelogen hatte. Es war etwas, an dem er aktiv arbeitete. Ein Problem, das er erkannt hatte und das er nur deshalb endlich angehen konnte. So hatte er das gesagt. Vorgestern Abend. Mit etwas anderen Worten. Marie musste lächeln. Es war gut. Bisher lief alles gut oder sogar besser, als sie es sich vorher hätte vorstellen können.

Quite Suddenly (Felix Lobrecht FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt