memories

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Durch ein kleines Loch in der Papiertür sah ich wie meine Großmutter routiniert rauchenden Stäbchen in die Schüssel legte, die auf einem Schrank aus dunklem Holz stand. Sie stammelte schnell einige Worte in einer Art Sprechgesang und ging im Raum auf und ab. Ihre Stimme klang schon fast ängstlich. Ich war ganz leise, schließlich wollte ich nicht entdeckt werden. Ohne zu verstehen was dort vor sich ging beobachtete ich den Teil des Zimmers, den ich durch die kleine offene Stelle sehen konnte aufmerksam. Sobald sie den Schlüssel von der Komode nahm war es Zeit für mich den Flur schnell und unauffällig zu verlassen. Hätte sie mich nicht wieder und wieder ermahnt den Raum nicht zu betreten, hätte mich meine Neugier schon viel früher hinein getrieben. Schließlich war sie oft da drin und schloss sich ein, dass konnte doch nur etwas Besonderes auf sich haben.

Eines Abends als es draußen besonders kalt war, schlug der Wind die alten Schiebetüren aus Holz aneinander und durch die Ritzen in den alten Wänden zog die kalte Luft herein. Großmutter hatte sich erkältet und lag auf dem Futon in der Mitte des Raumes. Ich kümmerte mich darum, dass sie immer einen warmen Tee hatte und die Feuerstelle nicht erlosch. Sanft strich sie mir über die Hand, als ich ihr den Tee reichte. Sie lobte mich und lächelte, als sie die Tasse entgegen nahm, an ihre Stimme kann ich mich nicht erinnern. Vielsagend schüttelte ich den Kopf. Als sie einige Zeit später eingeschlafen war zog es mich in diesen Raum, den ich immer nur durch das Loch in dem Papier sehen konnte. Was war so besonders daran? Was machte meine Großmutter dort, wenn es draußen dunkel wurde? Leise schlich ich den Flur entlang und hoffte das Großmutter nicht wach werden würde. Ich erreichte die Tür und mein Blick fiel auf das alte Schloss mit einem Blumenmuster. Es war offen. Großmutter ließ es nie offen. Ein Schauer überkam mich als ich vor der Schiebetür stand. Kurz drehte ich mich um, weil ich das Gefühl hatte beobachtet zu werden. Da war niemand. Mein Blick wanderte wieder zu der Tür und voller Neugier öffnete ich sie. Mit meinen kleinen nackten Füßen betrat ich vorsichtig den Tatami-Boden des Raumes. Es war hier viel kälter als im Flur. Vorsichtig ließ ich meinen Blick durch das Zimmer streifen. An den Wänden hingen Masken mit Gesichtern von Dämonen und im Zick-Zack geschnittene Papier-Streifen, die ich schon oft gesehen habe, wenn wir zum Schrein gegangen sind.

Plötzlich hörte ich wie eine Stimme meinen Namen flüsterte. „Himiko", immer wieder, eine leise hauchende Stimme rief mich. Langsam näherte ich mich etwas Großem, was von einem weißen Laken verdeckt war. Natürlich wollte ich wissen was sich darunter verbirgt und legte meine Hand an das Laken. Die Stimme war nun schon viel näher als zuvor. Voller Neugier zog ich den Stoff zur Seite und sah in meine eigenen fragenden Augen. Es war ein alter Spiegel dessen dunkel-braunen Rahmen Verzierungen schmückten. Eine Weile lang betrachtete ich mich, ein kleines Mädchen in einem Yukata mit Blumenmuster und langem schwarzen Haar. Auf einmal konnte ich ein Lachen hören, es wurde immer lauter und so unerträglich das sich mir mit beiden Händen die Ohren zuhalten musste. Ein Knall und es wurde dunkel um mich herum. Ich hatte das Gefühl als würde ich fallen...

Blue SoulWo Geschichten leben. Entdecke jetzt