12 years later

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Himiko

Verschlafen blickte ich in den Spiegel und strich mir einige meiner Haar-Strähnen aus dem Gesicht. Mein rechtes Auge kam zum Vorschein, das im Gegensatz zu meinem linken braunen Auge, blau war. Warum ich zwei unterschiedliche Augen hatte? Ich weiß es nicht, aber meine Mutter sagte das ich schon immer ein blaues Auge hatte. Ich hielt kurz inne als ich in Gedanken versank, doch dann war die unverkennbare Stimme meiner Mutter zu hören, „Himiko, wenn du dich nicht beeilst kommst du zu spät! Willst du denn jeden Morgen wie eine Verrückte zur Schule rennen?". Schnell knöpfte ich die Bluse meiner Schuluniform zu und nahm meine Tasche und das Jacket vom Bett. „Ich komme ja schon!", rief ich noch und stolperte wenig elegant aus meiner Zimmertür. Mein kleiner Bruder schaute verschlafen aus seinem Zimmer und gähnte. Das war wohl etwas laut. "Entschuldige, Kenji." Ich schenkte ihm noch ein sanftes Lächeln bevor ich mit schnellen Schritten die Treppen hinunter sauste. Als ich unten war betrat ich die Küche. „Guten Morgen", sagte ich mit einem Lächeln auf dem Gesicht und setzte mich an den Frühstückstisch. „Hast du schon wieder verschlafen?", sagte Mama seufzend als sie mir mein Bento entgegen schob. Resigniert sah ich sie an, „Ich habe nur meine Augen noch etwas entspannt.". Sie lachte. Ich liebte es, wenn sie lacht. Mein Blick wanderte zur Uhr, „Mist! Schon 10 nach!", ich schreckte auf, nahm meine Sachen und lief zur Haustür. „Bis später, mein Schatz!", konnte ich noch aus der Küche vernehmen, dann eilte ich hinaus.
Während ich den Weg zur Schule entlang lief kam mir ein kleiner Junge entgegen. Er war ganz blass im Gesicht und sein Blick wirkte leer. Ziellos trottete das Kind an mir vorbei. Kurz blieb ich stehen und sah ihm hinterher, dann hörte ich eine schrille Stimme, die von der anderen Straßenseite rief, „Da bist du ja! Warte kurz ich komme rüber". Ich schaute kurz zu dem Mädchen und hob zum Gruß die Hand. Schnell wendete ich mich wieder in Richtung des kleinen Jungen, dieser war aber verschwunden. Merkwürdig. Mit suchenden Blick versuchte ich zu erahnen wo der Junge hingegangen war. "Wonach suchst du?" hörte ich das Mädchen fragen als sie mich fast erreichte. Nachdenklich nuschelte ich: "Ich dachte ich hätte einen kleinen Jungen gesehen". "Da ist aber niemand ", meinte sie wie selbstverständlich. "Ja du hast recht"', lächelnd sah ich sie an. Das war übrigens Asako, meine beste Freundin und Klassenkameradin seit der Vorschule. Ihre hellbraun gefärbten Haare hatte sie sich zu einem seitlichen Zopf gebunden. Sie trug ihren Rock wieder einmal verdammt kurz, aber das war normal, viele Mädchen kürzten ihre Röcke indem sie den Bund etwas krempelten. Für mich war das nichts, ich trug meinen lieber bis knapp über dem Knie. „Also gehen wir?", fragte sie, allerdings eher sporadisch, da uns ja nichts anderes übrig blieb als zur Schule zu gehen. Wild gestikulierend berichtete Asako mir, dass ihr aktueller Schwarm sich bei ihrem Date total zum Deppen gemacht hat. „Hallo? Ich meine, wo kommen wir denn dahin, wenn wir Mädchen alles selbst bezahlen müssen." „Du bist doch sowieso lieber Selbstständig, Asako", brach es aus mir heraus und ich musste lachen. Nicht das sie es sich nicht leisten könnte alles selbst zu zahlen, ihr Vater war nämlich der Chef eines großen Konzerns. Ausser einigen zustimmenden Kopfbewegungenn und knappen Kommentaren konnte ich ihren weiteren ausführlichen Erzählungen nichts hinzufügen. Ich war wohl einfach noch zu müde. Als wir das Eingangstor der Schule erreichten war ich bereits auf dem neusten Stand über die Modetrends, Musikcharts und unsere Mitschüler. Ernsthaft... wo hatte sie so früh am Morgen nur diese Energie her?

Der Schultag zog so an mir vorbei und ich wurde den Gedanken an den kleinen Jungen nicht los. Was wohl mit ihm passiert war? Oder hatte ich mir das wirklich nur eingebildet? Vielleicht wegen der Müdigkeit? Ich musste ein Gähnen unterdrücken, während ich mir weiter den Kopf zerbrach. Unser Geschichtslehrer krakelte mit seiner kaum lesbaren Handschrift an die Tafel als ich plötzlich was an den Hinterkopf bekam. Ein kurzes Zucken konnte ich mir nicht verkneifen, da mich dieses Papierkneulchen aus den Gedanken riss. Ich zögerte nicht und hob es vom Boden auf. Kurz betrachtete ich den Fetzen Papier der bis zum Undenkbaren zusammen gefaltet war. Als ich den Klumpen auseinander gefummelt hatte, schob ich ihn vorerst unter den Einband meines Buches. Als der Lehrer seinen Blick wieder abwendete, zog ich das Stück Papier wieder hervor. Die Schrift kam mir sehr bekannt vor. "Hast du Lust heute abend mit zum Karaoke zu kommen?", stand dort. Ich blickte kurz schräg hinter mich, da saß Kouji der mich breit angrinste. Er hatte seine blond gefärbten Haare wie immer perfekt gestylt, seine Uniform trug er eher lässig und so wirkte er fast schon wie aus einer K-Pop-Boyband entsprungen. Ich konnte nicht leugnen das ich ihn schon ziemlich gut aussehend fand. Meine Gedanken kreisten immer noch um dieses merkwürdige Kind, das ich am Morgen gesehen hatte. Ein wenig Ablenkung würde mir sicher gut tun. Ich nahm einen Stift und schrieb eine Antwort unter seine Frage: "Ich bin dabei. Nach der Schule?". Mit einer schwungvollen Bewegung schleuderte ich den Zettel zurück zu Kouji. Verdammt! Ich traf ihn mit dem Papierklumpen direkt an der Stirn und er verzog das Gesicht. Das schien wohl weh getan zu haben. Schnell drehte ich mich nach vorne als mir die Röte ins Gesicht schoss. Wie peinlich.

In der letzten Unterrichtsstunde war uns allen anzusehen das wir nur noch auf das Leuten der Schulglocke warteten. Pinponpanpon. Endlich. Kaum hatte die Glocke geleutet und die Lehrerin uns verabschiedet, benahmen sich die meisten als wäre ein Feuer ausgebrochen. Meine Mitschüler rannten gerade zu panisch aus der Tür und es war lustig zu beobachten, wenn mehrere gleichzeitig raus wollten. Lange konnte ich nicht zu schauen, denn ich spürte wie jemand neben mir stand. Ich hatte da so eine Ahnung und drehte den Kopf zur Seite. Kouji stand da und zeigte schon fast mit einem schmollenden Gesichtsausdruck auf seine Stirn, "War das ein Attentat vorhin? Sieh doch, es ist immernoch rot." "Entschuldige, das war keine Absicht.", sagte ich und stand auf um mir die besagte Stelle genauer anzusehen. Angestrengt versuchte ich etwas rotes auf seiner Stirn zu erkennen. Nagut, es war tatsächlich etwas rot, aber ich beschloss so zu tun als hätte ich nichts gesehen. "Aber ich sehe gar nichts", meinte ich als ich seinem Gesicht noch ein Stück näher kam. Irgendwie wirkte er plötzlich nervös und ging einen kleinen Schritt zurück. "Es ist vielleicht nicht mehr so schlimm, aber immernoch sichtbar", gab er schnell von sich. Sobald es um sein Aussehen ging wurde er zur echten Diva. Toll wie einfach ich ihn aus dem Konzept bringen konnte. Ich konnte mir mein Grinsen nicht verkneifen und wollte gerade einen frechen Kommentar zu seinem Verhalten abgeben, als Asako's Stimme ertönte, "Kommt ihr zwei jetzt? Die anderen warten schon." "Schon auf dem Weg", meinte Kouji und schob mich in Richtung Tür.

Mit zwei weiteren Freunden verließen wir die Schule und gingen zu einer der beliebtesten Karaoke-Bars der Stadt. Wir kamen öfter hier her um uns etwas zu amüsieren. Als jeder sich etwas zu Trinken geholt hatte betraten wir den kleinen Raum. Laut lachend erkämpfte sich Asako den, für sie, besten Platz. Ich hatte mich gerade hingesetzt da schnappten sich die ersten die Mikrophone. Später gab auch Kouji seine Gesangskunst zum Besten. Er hatte zwar das Aussehen eines Boyband-Mitglied's, aber das Singen lag ihm einfach nicht. Ich musste Schmunzeln als er voller Elan seinen Lieblingssong performte und entschied mich dafür etwas frische Luft zu schnappen. "Möchte noch jemand etwas zu Trinken? Ich gehe kurz runter.", fragte ich in die Runde bevor ich den Raum verließ. Als ich die kleine Theke mit den Getränken erreichte nahm ich mir einen Becher mit Wasser. Dann folgte ich den Treppen nach unten und ging auf die Terrasse, die nach hinten heraus führte. Der Ausblick war vielleicht nicht der schönste, denn überall waren hohe Gebäude und so wirkte es, als würde man in einer Gasse stehen, aber zum frische Luft holen reichte es. Draußen wurde es schon langsam dunkel, ich schrieb meiner Mutter noch schnell eine Nachricht, dass ich noch unterwegs war. Plötzlich hörte ich eine Stimme, allerdings klang sie etwas komisch, fast so als wäre sie in meinem Kopf. "Komm raus, du Feigling!", es war eindeutig eine männliche Stimme. Ich war irgendwie neugierig, stellte meinen Becher auf dem Boden ab und ging langsam die Häuserreihen entlang. Es knallte und krachte. Was war da nur los? Meine Schritte wurden schneller und ich erreichte dann einen Punkt, an dem sich das alles ganz nah anhörte. Hinter einem Müllcontainer versteckte ich mich und versuchte möglichst leise meinen Kopf heraus zu strecken um etwas zu erkennen. Dann sah ich es...

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