1: Großkotze Der Hawkins High

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Eddie

Sein Herz raste, als sich mit einem Mal alle Augen auf ihn richteten, sein Mund papptrocken. Er hasste es jetzt schon, hier sein zu müssen und wünschte, er wäre einfach wieder Zuhause. Nicht bei seinem Vater, sondern im Trailerpark, bei Wayne, dort wo ihn die ganze beschissene Welt in Ruhe ließ und ihn keine Teenageraugen anstarrten und verurteilten.
   Eddie konnte sich vorstellen, was sie dachten, er hatte es schon oft genug von seinem Vater gehört. Haare wie ein Mädchen, viel zu dünn, viel zu blass, Klamotten wie ein Landstreicher...
   Er starrte die Wand an und begann zu sprechen, um der furchtbare Stille den Garaus zu machen, seine Stimme viel zu leise, viel zu rau, das Gegenteil von selbstbewusst. Er hasste es.
Als er fertig war mit seiner wenig aussagekräftigen Rede fiel sein Blick kurz auf die Jungs in der letzten Reihe, seine baldigen „Sitznachbarn“ und bei ihren hämischen Blicken drehte sich ihm der Magen um. Er betete inständig, dass er nur paranoid war und sich das einbildete.
   Die Zeit an der Middle School war nicht gerade schön für ihn gewesen und aufgrund seiner Familienprobleme und des darauffolgenden Umzugs hatte er die High School bis jetzt glücklicherweise meiden können, aber Wayne bestand darauf, dass er seinen Abschluss machte und war der Meinung, dass Eddie dieses Jahr brauchte, um überhaupt eine Chance haben zu können. Sein Onkel hatte ihn zwar von Zuhause aus unterrichtet, aber Wayne Munson war selbst nicht auf der High School gewesen und ein Lehrer war er auch nicht... Also musste Eddie da jetzt durch, ob er wollte, oder nicht.
   Der Einzige in der letzten Reihe, der ihn nicht mit Geieraugen anstarrte, war ein dunkelhaariger Junge im Polohemd, der viel zu beschäftigt damit war, Eddies Schnürsenkel zu mustern. Was war denn dessen Problem?!
   Mit gesenktem Kopf und hochgezogenen Schultern schlich Eddie zu seinem Platz, kramte ein Blatt Papier und einen angekauten Bleistift aus seiner Tasche und band seinen Schuh zu.
Noch nie hatte er weniger an einem Ort sein wollen.

In der Pause verdrückte er sich hinter die Schule, um zu Rauchen. Wayne sah das nicht gerne, aber Wayne war nunmal nicht hier und Eddie hatte das Gefühl, dass er sonst durchdrehen würde. Selbst seinen Dad zu besuchen war angenehmer, als das hier.
   Er fragte sich plötzlich, ob Chrissy Cunningham hier war. Vermutlich würde er sie nicht einmal mehr erkennen, zu lange war die Middle School her, aber sie war die Einzige, die damals nett zu ihm gewesen war und in letzter Zeit hatte er viel darüber nachgedacht.
   In der Middle School war er relativ rebellisch gewesen, hatte einen Scheiß darauf gegeben, was andere Leute von ihm hielten, auch wenn ihm das mehr als nur einmal Prügel eingebracht hatte... aber seitdem war viel passiert und Eddie war nicht mehr derselbe.
   Seit der Sache mit seinem Vater war etwas in ihm gekeimt, eine kleine, hässliche Pflanze, die ihm mit ihren verfaulten Blättern sagte, dass er genauso enden würde, egal was er tat. Das alle Recht hatten, immer Recht gehabt hatten.
Eddie Munson war ein Taugenichts.
   Er verbrannte sich an seinem Feuerzeug, als er die Zigarette anzündete und fluchte leise, wärend er den verletzten Daumen an seinem T-Shirt rieb, in der Hoffnung, dass der Schmerz dadurch nachlassen würde.
   Chrissy müsste jetzt im ersten Jahr sein, da sie in der Middle School ein paar Klassen unter ihm gewesen war. Eddie fragte sich, ob sie noch immer Cheerleaderin war und zog an der Zigarette, was ihn auf der Stelle etwas beruhigte. Vermutlich war das nur ein Placebo Effekt, so schnell konnte nicht einmal Nikotin wirken, aber mit einem Mal sah er alles etwas klarer und konnte wieder frei atmen.
   Es war nicht einmal so, als ob er groß mit Chrissy befreundet gewesen wäre, aber jetzt, wo er wieder zur Schule musste, wurde ihm schlagartig klar, dass es mehr als nur unangenehm war, niemanden zu kennen, keinen Freund zu haben. Natürlich hatte er damals ein paar Freunde gehabt, aber sein bester Freund lebte nicht mehr in Hawkins und von den Anderen hatte er sich entfremdet... Sobald man sich nicht mehr jeden Tag in der Schule sah passierte so etwas schnell.
   Eddies Entspannung hielt nicht lange an und auch Zeit für innere Monologe hatte er keine mehr, denn ohne auch nur das kleinste Geräusch gehört zu haben, das andeutete, dass er Gesellschaft bekommen hatte, wurde er plötzlich am Kragen seiner Lederjacke zurückgerissen und dann nach vorne gegen die Außenmauer des Schulgebäudes geschubst.
   Eddies Ohren klingelten und er stöhnte auf, kaum in der Lage, auf den Angriff zu reagieren.
   Nein. Nein.
   Er drehte sich um und funkelte seine Angreifer böse an, ihnen voran ein ziemlich gutaussehender Junge mit blonden Haaren und breiten Schultern, der jedoch etwas kleiner war, als er selbst. Offensichtlich der Anführer der Bande und vor Selbstsicherheit nur so protzend. Ein Schönling mit einem schwarzen Herzen, wie es nur so viele gab. Solche Jungs hatten ihre Nester in den Middle und High Schools Amerikas.
   „Wer bist denn du?", sagte er und seine Freunde lachten, so als ob er den großartigsten Witz gemacht hätte. Hirnlose Lackaffen.
   Eddie verzog das Gesicht und hob das Kinn etwas, um nicht zu unterwürfig zu wirken. Er hatte sich beim Aufprall auf die Steinmauer auf seine Zunge gebissen und schmeckte Kupfer, als er sprach.
   „Eddie Munson."
   „Na schön, Eddie Munson, ich sehe, dass du neu bist, also erkläre ich dir, wie das hier abläuft. Das hier hinten...", er deutete auf den Hinterhof und drehte sich dann wieder zu Eddie, den Mund zu einem höhnischen Lächeln verzogen, „Ist unsere Ecke. Und du-" Er kam Eddie gefährlich nah und piekste ihm mit dem Zeigefinger in die Brust. „Du bist keiner von uns. Kapiert?"
   Eddie nahm all seinen Mut zusammen und sah ihm fest in die Augen. Braun trifft auf argwöhnisch funkelndes Blau.
„Achso? Euch gehört... Was genau? Diese Mauer?"
   Scheiße Munson, halt dich an den Plan. Das ist genau das, was du nicht tun solltest..., schrie seine innere Stimme und er biss die Zähne zusammen, als er verstand, was er angerichtet hatte. Familientrauma hin, -oder her, man konnte nunmal nicht so leicht aus der eigenen Haut, auch wenn man es sich fest vorgenommen hatte. Idiot.
   Das nächste, was er fühlte, war die Faust des Schönlings in seinem Magen und er krümmte sich hustend zusammen, während sich die Bande und ihr überheblicher Anführer auch schon kichernd verdrückte.
   Niemand wollte natürlich in der Nähe eines verletzten Schülers sein, falls dieser petzen sollte, aber Eddie war ohnehin nicht so dumm, dass er zu einem Lehrer gegangen wäre. Es wurde dadurch nie besser, nur schlimmer. Ausnahmslos.
   Langsam rutschte er die Wand hinab und lehnte den Kopf gegen die warmen Backsteine. Seine Zigarette war heruntergefallen und auf dem staubigen Boden erloschen, also pustete er vorsichtig drüber und zündete sie wieder an.
   Willkommen in der 12. Klasse. Freaks bitte draußen warten.

I Don't Need YouWo Geschichten leben. Entdecke jetzt