2: Die Gefährten

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Steve  

Immer, wenn seine Eltern einen großen Streit hinter sich hatten, fuhren sie ein paar Tage in den Urlaub. Manchmal hatte er deswegen das Gefühl, er wäre das Problem. Dass sie sich nur nicht verstanden, wenn er in der Nähe war.
   Sie waren also wieder weg, ein Zettel auf dem Küchentisch alles, was ihm von seinen liebenden Eltern blieb. Steve verzog das Gesicht, während er las.

Dad und ich sind an die Küste gefahren. Sind in zwei Wochen zurück. Mittagessen für Dienstag ist im Kühlschrank.
Alles Liebe, Mom.

   Daneben zwei 20 Dollar Scheine. Sehr großzügig für zwei Wochen, wie eine stille Entschuldigung.
   Steve rührte nichts davon an, weder den Zettel, noch das Geld. Stattdessen ging er ohne Frühstück zur Schule.
   Manchmal hasste er sie.

Als Steve nach der ersten Pause seinen Spind aufschloss, hörte er mit halbem Ohr Tommy und Carol zu, die, so wie meistens, über nichts wichtiges redeten. Größtenteils ging es in ihren Gesprächen eh um andere Menschen, was Steve noch nie verstanden hatte, aber gegen das er dennoch nie ein Wort sagte. Wenn es ihnen Spaß machte, sollten sie eben lästern, manchmal schloss er sich dem ja sogar an. Es verschaffte ihm eine Art von Respekt. Steve Harrington in der Rolle des finalen Richters über all die armen Seelen, die seine Freunde vors Gericht zerrten. Er war derjenige, der sie begnadigte, oder ihnen den sozialen Todesstoß versetzte.
   Heute war er jedoch nicht an dieser Lästerstimmung interessiert. Vielleicht lag es daran, dass er immernoch mies gelaunt wegen seiner feigen Eltern war, vielleicht drückte ihm auch sein fehlendes Frühstück auf den Magen... Was es auch war, es sorgte dafür, dass er seinen Spind zuknallte, sich umdrehte und schnellen Schrittes zum Englischraum hinüberstapfte.
   Er spürte Tommys fragenden Blick im Rücken, drehte sich aber nicht noch einmal um.
   Eigentlich hatte Steve einen leeren Raum erwartet, da die Meisten im Gang auf das Klingeln warteten, die Pause voll auskosteten, doch in der hintersten Ecke des Kursraumes saß der Neue, die Nase tief in ein zerfleddertes Taschenbuch gesteckt. Ablenkung.
   Steve lächelte freundlich und setzte sich auf einen der Tische, die Arme lässig vor der Brust verschränkt, einen Fuß auf der Schulbank.
   "Was liest du?

   Gott.

Er zuckte kaum merklich zusammen, als der Blick des Jungen auf ihm landete. Er hatte das Gefühl, in zwei schwarze Löcher hineinzuschauen.
   Der Andere starrte ihn einen Moment forschend an, dann seufzte er und legte das Buch beiseite, wobei er seinen unheimlichen Blick für einen kurzen Augenblick senkte, was Steve die Möglichkeit gab, durchzuatmen. Unter diesem Blick hatte er sich irgendwie... ertappt... gefühlt. Dabei gab es doch nichts, was er verheimlichte, rein gar nichts, wofür er sich schämte.
   Er setzte sein Lächeln wieder auf, das ihm für einen Augenblick entgleist war.
   "Der Herr der Ringe - die Gefährten."
   Kurz und prägnant.
   Der Junge, Edward, wie sich Steve dunkel erinnerte, wirkte nicht so, als ob er sich gerne mit ihm unterhalten würde.
   Plötzlich war er nervös, sich seines Auftretens, seiner Ausstrahlung schmerzlich bewusst und er wusste nicht mehr, was er sagen sollte. Himmel, was sollte das?! Es gab keinen Grund unsicher zu sein, wenn, dann sollte der Andere derjenige sein, der von einem Fuß auf den anderen trat, wie ein Grundschüler, der das erste Mal vor der ganzen Klasse reden musste.
   "Worum geht's-", begann Steve, wurde aber von Edward unterbrochen, der ihn finster anstarrte.
   "Du bist Steve Harrington. King Steve."
   Steve zuckte zusammen bei dem Titel. Er hatte diese Bezeichnung noch nie gemocht. "Ich... Ja, wies-"
   "Kein Interesse.", knurrte der Junge, bevor Steve seinen Satz überhaupt zuendesprechen konnte.
    Wie bitte?!
   "Wie bitte?", fragte er irritiert und widerstand dem unerträglich gewordenen Drang, nervös mit seinem aufgestellten Bein zu wippen. Was sollte das denn jetzt? Er hatte nichts getan!
   "Ich will weder etwas mit deiner, noch mit Billy Hargroves Gang zutun haben, klar?" Der Andere spuckte ihm das Wort „Gang“ förmlich ins Gesicht. Steve zog irritiert die Brauen zusammen, er war sich relativ sicher, dass er eigentlich keine „Gang“ besaß, aber gut.
   "Billy Hargrove?", wiederholte er dümmlich.
   "Lasst mich da einfach raus."
   Steve verstand die Welt nicht mehr. Was meinte der bloß?!
   „Okay...“, murmelte Steve besiegt und stand auf, um zu seinem eigenen Platz herüberzugehen, der blöderweise nicht weit von Edwards Platz entfernt lag, was die Sache irgendwie peinlich machte. Aber aufstehen und wieder auf den Gang gehen wäre auch blöd.
   Gerade überlegte er, ob er doch noch etwas sagen sollte, da kamen Tommy und Carol hereinspaziert, Arm in Arm, so wie man sie kannte. Erleichert grinste er und wartete, dass sie sich an ihre Tische setzten, bevor er sich zu Tommy umdrehte. Der grinste zurück und legte den Kopf schief, eine fragende Geste. „Was ist mit dir, Steve? Warum bist du vorhin so schnell abgehauen?“
   Steve schüttelte leicht den Kopf. „Ich war nur genervt, meine Eltern benehmen sich schon wieder wie... Naja. Du weißt schon.“ Tommy kannte ihn seit vielen Jahren und war mehr als nur einmal bei Steve zu Besuch gewesen, als seine Eltern sich in die Wolle gekriegt hatten.
   Tommy nickte bedächtig, dann lächelte er verschmitzt: „Das heißt, du hast Sturmfrei?“
   Manchmal fragte sich Steve, ob seine Freunde ihm jemals zuhörten, sich überhaupt ansatzweise für ihn interessierten. Vielleicht war er für sie auch einfach nur der Typ mit der Villa, die groß genug ist, um sich zum Vögeln in ein leerstehendes Zimmer zu verkrümeln. Sein Grinsen bröckelte.
   „Ich meine... Ja. Klar.“ Vielleicht wäre eine Party ja auch ganz gut, um auf andere Gedanken zu kommen. Bestimmt war es auch das, was Tommy gemeint hatte. Er verdrehte innerlich die Augen: Mensch, so war Tommy nunmal. Nicht der Beste, was Worte anging, aber trotzdem sein engster Freund.
   Plötzlich hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden und drehte den Kopf. Der Neue starrte ihn Stirnrunzelnd aus dunklen Augen an. Wieder hatte Steve das Gefühl, dass er ihm bis auf die Seele schauen konnte und wurde nervös.  
   Schnell drehte er sich wieder zu Tommy und Carol, die sich beide zusammen auf den Platz von Tommys Bank gequetscht hatten und ihn lächelnd ansahen. „Also machen wir das so? Nächsten Freitag?“
   „Ist nicht dieser Herbstball am Samstag danach?“, fragte Steve und versuchte, die Kohlefarbenen Augen zu ignorieren, die sich in seinen Hinterkopf zu bohren schienen. Gott, war das nervig. Langsam bereute er es, ihn überhaupt angesprochen zu haben.
   „Oh Gott ja, du hast Recht!“, rief Carol und sah Tommy schockiert an. „Ich weiß noch gar nicht, was ich anziehen soll!“ Tommy verdrehte die Augen und zwinkerte Steve zu, der ebenfalls grinste. „Ja, schon, aber wir haben ja noch fast den ganzen Samstag, um auszunüchtern. Ich sehe da jetzt kein Problem wegen diesem Schulball.“
   Ja. Du nicht. Du musst ja auch nicht den ganzen Tag damit verbringen, den Müll wegzuräumen, die Kotze von der Veranda zu schrubben und die besudelten Laken zu wechseln...
Steve lächelte. „Du hast Recht. So machen wir das. 7 Uhr abends?“
   Tommy nickte zufrieden. „Gebe ich so weiter.“

I Don't Need YouWo Geschichten leben. Entdecke jetzt