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Mit schweißnassen Händen und Nervosität im Magen stützte sich Tim auf dem Rand des Waschbeckens ab, seinen Blick hielt er an seinem eigenen Spiegelbild fest. Wieder atmete er tief durch, unterbewusst stellte er sich die Frage, wo er schnellstmöglich etwas Gras auftreiben könnte, was ihn ein wenig entspannen ließe. Erschrocken zuckte der Bielefelder, als Basti schwungvoll die Tür öffnete, auf seinem Arm trug er den acht Monate alten Sohn, Lio, seines Freundes. Der kleine Mann in seinem beigen Anzug begann freudig zu brabbeln, als er seinen Vater wahrnahm. Ein kleines Lächeln huschte über das Gesicht von Tim und sein Blick schweifte ab, auf seinen langjährigen Freund, der an diesem Tag, als sein Trauzeuge vor ihm stand.

"Sag bloß, du bist nervös?", lachte der Labelboss beinahe hämisch. "Ist doch nicht deine erste Hochzeit. Oder willst du etwa 'nen Rückzieher machen?"
"Du findest auch immer die richtigen Worte.", sprach Tim und rollte mit seinen Augen. "Na komm mal zu Papa, mein Spatz.", er streckte die Arme nach seinem Sohn und nahm ihn Basti vom Arm. "Ja, ich bin nervös. Ist doch bei meiner Vorgeschichte auch irgendwo verständlich, aber einen Rückzieher mache ich bei dieser Frau bestimmt nicht."
"Aller guten Dinge sind bekanntlich drei.", höhnte Basti und drängte Tim vor dem Spiegel weg, um den Kragen seines Hemdes zu richten. Tim wandte seinen Blick wieder zu seinem Sohn und sprach zu ihm.
"Für den Wok von Onkel Basti finden wir auch noch den passenden Deckel, oder?", mit seinem Zeigefinger streichelte er über die zarte Wange und sein Sohn nickte. Lio begann breit zu grinsen und zeigte seine ersten kleinen Milchzähne.
"Oh... Ja... Wenn ich Gefühle hätte, würde ich bestimmt schon weinen, weil ich in meinem Leben nichts außer Geld habe.", winkte Basti ab.
"Hör' auf zu quatschen, Alter. Nimm mir den Kleinen bitte noch einmal ab.", augenrollend streckte Basti seine Arme aus. Als Tim die Hände wieder freihatte, richtete dieser ebenfalls den Kragen seines Hemdes und öffnete den obersten Knopf. "Sonst bin ich einfach nicht ich.", lachte er leicht und blickte noch einmal an sich herunter. Die grau beige Weste des Anzuges aus Leinenstoff trug er offen, die gleichfarbige Hose richtete er ebenfalls und sah wieder zu seinem Trauzeugen. "Und was sagst du?"
"Die Hose sitzt noch zu weit oben, ich kann deine Boxer kaum sehen.", Tim sah kurz an die Decke und wieder zu Basti. "Aber ganz betrachtet... Ich würde dich sofort heiraten."
"Dafür kennen wir uns zu lange, Diggah.", lachte der Bräutigam. "Eine Rauchen?"

Vor dem imposanten alten Gemäuer in der Nähe von Gütersloh traf Tim auf die Eltern von Ena. Frank und Elisa hatten sich vor beinahe vier Monaten wieder ineinander verliebt und sind, laut eigener Aussage, glücklicher als jemals zuvor. Elisa hatte die Wohnung in Göttingen vor ein paar Wochen aufgegeben und ist wieder im Familienhaus 'Fabeck' eingezogen. "Lio, mein kleiner Spatz.", Elisa war ganz vernarrt in ihren Enkelsohn, jede andere Person war abgeschrieben, sobald er in der Nähe war. Frank erkundigte sich nach dem Gemütszustand des Ehekandidaten und hielt ihm seine geöffnete Zigarettenschachtel entgegen. Dieser zündete den gewählten Glimmstängel an und pustete den Rauch in die warme Luft, welche die Gäste bereits Anfang Juni umgab.

Hinter Frank sah Tim den Wagen von Steven auf der markierten Fläche parken. Er stieg aus, lief um den Wagen herum und reichte Melina seine Hand. Freudestrahlend liefen die beiden auf die kleine Gruppe zu, zur Begrüßung umarmten sie die bereits eingetroffenen Gäste. "Jetzt fehlen nicht mehr viele.", sprach Tim erleichtert und nahm den letzten Zug von der Zigarette.
"Wer fehlt denn noch?", fragte Melina und zog sich ihre Sonnenbrille ab.
"Die Braut mit ihrer Trauzeugin, ihre Großeltern, Hardy und...", Basti fiel Tim ins Wort.
"Mister Perfect.", sagte der Labelboss genervt.
"Basti...", augenrollend atmete Tim laut aus.
"Was denn?", zuckte der Angesprochene mit den Schultern.
"Lukas ist immer noch unser Freund, vergiss das nicht. Musst du jetzt den geschäftlichen Beef an dem Tag meiner Hochzeit aufwirbeln?", ruhig, aber ernst, sprach er zu seinem Trauzeugen und sah ihm dabei direkt in seine Augen.
"Ja, du hast ja recht, es kotzt mich halt einfach nur so an, dass...", wie er selbst, wurde er von Tim unterbrochen.
"Basti! Schluss jetzt!", sagte dieser laut. "Lukas, geht es gerade eh schon scheiße und heute wird es...", die Geräusche eines ankommenden Fahrzeuges ließen ihn kurz stumm werden. "Thema beendet, da... Er kommt gerade angefahren.", sie erblickten den schwarzen Audi von Lukas, welcher neben dem BMW von Steven parkte. Lukas stieg aus, schloss den Wagen ab und begab sich ebenfalls zu seinen Freunden.

Eine Viertelstunde vor der Trauung begab Tim sich noch einmal auf die Toilette, um sein Geschäft zu verrichten und einen letzten Blick in den Spiegel zu werfen. Als er nach der Klinke der Tür griff, wurde diese von der anderen Seite heruntergedrückt und Lukas setzte einen Schritt nach vorn, um herauszutreten. Dieser stockte und presste seine Lippen zu einem Lächeln zusammen.
"Alles gut, Alter? Du hast bisher nicht viel mit uns gesprochen.", lachte Tim leicht auf, als er seine Anmerkung entgegenbrachte.
"Naja..."

Utopie - 4Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt