Ryan ging auf meine Schule. Ich sah ihn jeden Tag dort. Da er mich nicht erkannte, beschloss ich ihm nicht zu sagen, wer ich war.
Es ist besser so!, versuchte ich mir klar zu machen.Ryan musste mittlerweile 18 sein. Er war immer ein Jahr älter als ich gewesen. Ich musste mir eingestehen, dass er ziemlich gut aussehend geworden war. Trotzdem sah ich ihm nicht nach.
Da er neu auf der Schule war, war er sowas wie eine Attraktion für die Mädchen. Ihm gefiel die Aufmerksamkeit, die er bekam.Er lebte sich schnell ein und wurde sehr beliebt.
Nach einigen Wochen organisierte die Schule eine Veranstaltung, an der verschiedene Projekte der Schüler vorgestellt werden sollten. Ich hatte zwar kein Projekt, aber es herrschte trotzdem Anwesenheitspflicht. Also ging ich hin.
Ich traf Jenner vor der Schule.
"Hey Liara! Bist du bereit für die Herausforderung?"
"Hi Jenner! Das wird wahrscheinlich der langweiligste Tag meines Lebens."
Wir atmeten tief durch und gingen in die Sporthalle, in der die Veranstaltung statt fand.
Auf einer provisorischen Bühne stand unser Schuldirektor und sprach ein paar Worte. Es waren viele Schüler und auch ein paar Eltern anwesend. Ich kam mir noch viel kleiner vor als sonst.
Jenner und ich gingen herum. Wir schauten uns die Projekte desinteressiert an.
Ein Projekt gefiel mir jedoch. Es ging darum, wie man die Umwelt schützen konnte.
Ich blieb eine Weile vor dem Projekt stehen, bis mich jemand anrempelte. Ich konnte mein Gleichgewicht nicht halten und fiel zu Boden."Tut mir leid. Ich hab' dich nicht gesehen!" Das Licht der Sporthalle war so grell, dass ich nur die Silhouette der Person erkennen konnte. Die Person bot mir ihre Hand zur Hilfe an und richtete mich auf.
Als ich mit der Person auf Augenhöhe war, erkannte ich, dass es Ryan war. Ich erschrak."Ist alles ok?"
"Ähm..."
Sag irgendwas, Liara. Irgendwas!!!
Ich brachte keinen Ton herüber. Also entschied ich mich für ein einfaches Nicken."Ich hoffe, du nimmst mir das nicht übel." Er sah mich treuherzig an.
Oh nein! Die Hundeaugen-Masche! Die konnte er schon als Kind. Wieso kann man der nicht widerstehen?
Da es mir anscheinend die Sprache verschlug, schüttelte ich zur Verneinung den Kopf und blickte zu Boden.
"Na dann ist's ja gut!" Er schmunzelte. Seine Freunde zerrten ihn von mir weg und sie gingen zusammen weiter.
Jenner kam auf mich zu.
"Hey, hab ich was verpasst? Was wollte der denn?""Das war Ryan", antwortete ich stumpf.
"Wer das ist, weiß ich doch. Er ist DAS Gesprächsthema der ganzen Schule. Läuft da was zwischen euch?"
"Was? Nein!", ich war immer noch so erschrocken, dass ich nicht in ganzen Sätzen antworten konnte.
"Entschuldige, war nur so eine Vermutung! Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen", sie grinste.
"Oh man, Jenner! Ich erklär' dir alles in Ruhe, wenn wir hier fertig sind." Mir kam es so vor, als würde sie mir immer noch nicht ganz glauben.
Die Veranstaltung endete am späten Nachmittag. Ich erzählte Jenner auf dem Heimweg, woher ich Ryan kannte und was ich alles unternahm, um ihm aus den Weg zu gehen.
Sie lachte mich aus.
"Ach Liara, du bist schon ein schräges Huhn.""Und du eine dumme Gans! Jenner, versteh' mich doch. Er macht den Anschein, als würde er nichts mit mir zu tun haben wollen... als wären ihm all die Kindheitserinnerungen egal. Das enttäuscht mich!", erklärte ich ihr.
"Ich kann dich gut verstehen. Es ist nur lächerlich, dass du dich vor Ryan versteckst. Lange kannst du dein kleines Geheimnis nicht mehr für dich behalten", erwiderte sie.
"Vielleicht hast du Recht!", sah ich ein.
"Natürlich hab' ich Recht!"
Wir fingen an zu lachen.Ich ließ Jenner bei der Bushaltestelle und ging alleine weiter. Während dessen musste ich über Jenners Worte nachdenken.
Ich könnte mich zumindest wieder wie ein normaler Mensch verhalten. Ich hab' dieses ganze Versteckspiel sowieso satt. Und wenn er es erfährt... dann erfährt er es eben. Was soll's!
Ich war so überzeugt von meiner neuen Einstellung gegenüber der Situation, dass ich nicht aufpasste wohin ich ging.
So lief ich direkt in eine Person hinein.Du Tollpatsch!!!
Vor mir stand Ryan.
Oh natürlich... Von allen Menschen auf dieser Welt, musste ich ausgerechnet in Ryan reinlaufen?! Danke.
Ich sah ihn mit großen Augen an.
"Du schon wieder. Jetzt sind wir aber quitt", sagte er lächelnd.
Ich murmelte etwas und ging dann weiter.
Was ist nur mit dir los, Liara? Du bist ja total peinlich."Hey, verrätst du mir nicht deinen Namen?", hörte ich Ryan von hinten rufen.
Ich drehte mich kurz um, sah ihn überlegend an, brachte aber kein Wort heraus.
Er kam auf mich zu.
"Wohnst du hier?"Ich nickte und zeigte auf mein Haus.
"Du bist doch nicht etwa Liara Tanner?"
Na toll, jetzt weiß er es.
"Wow! Ich bin sprachlos."
Wieso sprachlos?
"Ich hätte nie gedacht, dass du mal so hübsch werden würdest."
Hat er mich grade hübsch genannt?
"Sag mal, redest du jetzt gar nicht mehr mit mir, oder was? Ach richtig... Ich hab' mich gar nicht vorgestellt. Ich bin Ryan Bennet."
Das ist dein Einsatz, Liara!
"Ich weiß!"
Was? Hab ich das gerade wirklich gesagt?"Wow, Fräulein Tanner kann ja doch sprächen". Er grinste.
Ryans freches Grinsen konnte ich noch nie leiden. Schon damals konnte er mich sehr schnell auf die Palme bringen. Aber genau so schnell konnte ich ihm wieder verzeihen.
Ryan fuchtelte mit den Händen vor meinem Gesicht herum.
"Wo warst du denn gerade? In deiner Phantasiewelt?", scherzte er.
Ich versuchte ihn böse anzugucken.
Er lachte. "Böse gucken konntest du noch nie! Naja, ich muss jetzt los. Vielleicht sehen wir uns bald mal wieder." Er winkte und ging auf die andere Straßenseite.
Na siehst du, Liara. Das war doch gar nicht so schlimm.
Erleichtert ging ich nach Hause.