~Fourty-Six~

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Heute war Samstag. Ein sonniger Samstag. Aber Harry konnte sich daran nur begrenzt erfreuen. Auch nicht daran, dass heute der Geburtstag seiner Schwester war. Am Liebsten wollte er zuhause bleiben, sich die Decke über den Kopf ziehen, einen Tee machen und irgendein Buch lesen, aber Gemma wurde 35 und da durfte ihr Lieblingsbruder ja nicht fehlen (er war ihr einziger Bruder, trotzdem sagte sie diesen Satz sehr oft, meistens dann wenn sie etwas von ihm wollte.) Sie hatte ihn gestern angerufen und gebeten, doch so lieb zu sein und ein paar Worte vorzubereiten, die er dann vor versammelter Menge zu seinem Besten geben sollte, möglichst was Nettes! Natürlich hatte er nichts vorbereitet, er würde improvisiert ein paar (nette) Worte zu ihr sagen und vielleicht sogar ein, zwei lustige Erinnerungen voller Geschwisterliebe erzählen. Er seufzte und kickte eine Socke vor sich weg, er sollte mal wieder die Wäsche machen. Stattdessen machte er sich eine heiße Tasse Tee und setzte sich auf den sonnenbeschienen Balkon und hing seinen Gedanken nach. 

Die Geburtstagsfeier würde um fünfzehn Uhr starten und ihm graute bereits davor. Gemma hatte sicher eine Menge Leute eingeladen. So wie er sie kannte, liebte sie es im Mittelpunkt einer Party zustehen und sich von Geburtstagsglückwünschen überhäufen zulassen. Ein Wunder, dass sie die letzten Geburtstage nur im engsten Kreis der Familie verbracht hatte. Das mag jetzt vielleicht so klingen als könne er sie nicht leiden, aber er hatte seine Schwester wirklich gern. Außer vielleicht an diesem nebligen Herbsttag, an dem sie seine Haare mit der großen Bastelschere abgeschnitten hatte, um schonmal für ihre zukünftige Frieseurkarriere zu üben. Diese Übung war aber sowieso umsonst gewesen, da sie jetzt in der PR-Branche tätig war.

Als es schließlich soweit war und er vor ihrem Haus schon fast keinen Parkplatz mehr ergattern konnte, wusste er, dass er nicht zu lange bleiben würde.

Harry wollte gerade schon die Klingel betätigen, auf der provisorisch Styles/Mlynowski stand, aber die Tür ging auf. "Lieblingsbruder!" Rief Gemma euphorisch und zog ihn in ihre Arme. Das Genuschelte "Alles Gute zum Geburtstag" verlor sich in ihrem Erdbeer-Waldmeister Shampoo und ging unter in Gemma's "Ich hab' dich ja ewig nicht gesehen!" Ja seit drei Wochen nicht. Er begrüßte auch Michael, Gemma's Freund und seine Mutter, die ihm ein aufmunterndes Lächeln schenkte. 

Im Garten waren Girlanden mehr oder weniger kunstvoll um die Büsche geschlungen und es ertönten Salsa- Klänge aus einer Musikbox. Es waren viele Bekannte von Gemma da, die er mit einem Handgruß von weitem grüßte, da er sich Smalltalk zu vermeiden versuchte. Aber er sah auch unbekannte Gesichter, die an ihren Champagnergläsern nippten und ihn etwas von oben herab anlächelten. Waren das Gemma's versnobte Kollegen, über die sie schon oft bei ihm gelästert hatte? Ihm war es letzendlich egal, unteranderem auch weil er am Buffett, dass aus einem Schreibtisch und Gemma's Wohnzimmertisch zusammengesetzt worden war, die himmlische Himbeertorte seiner Mutter erspähen konnte. Denn jeder Tag an dem es Himbeertorte gab, war ein guter Tag. 

Irgendwann gesellte sich das Geburtstagskind zu ihm, als er schon bei dem zweiten Stück Himbeertorte war. "Schmeckt's?" "Vorzüglich," entgegnete er. Sie sah aus als wolle sie ihm etwas beichten, wie damals als sie seinen Goldfisch Walter "aus Versehen" die Toilette runtergespült hatte, biss sie auf ihren Lippen herum und tippte abwechselnd mit dem rechten und linken Fuß auf den Boden. "Ist was?", fragte er zwischen zwei Bissen und er schloss genüsslich die Augen, als sich das volle Himbeersahnearoma sich in seinem Mund entfaltete. "Ja." Sie zögerte kurz und lächelte ein paar Partygästen zu. "Ich-..Ich und Michael-.. Wir wollen heiraten." Stille. Man konnte nur Harry's genüssliches Mampfen hören. 

"Mann, Harold Sag' doch mal was!" Er ersparte sich sämtliche Belehrungen, dass er diesen Spitznamen noch nie hatte leiden können und sagte schließlich: "Ist doch schön. Ich freu' mich für euch." Er schleckte seinen Zeigefinger ab, an dem noch ein Rest Himbeer-Sahne klebte. Sie seufzte, "Findest du?" Sie kaute an ihren rot-lackiertem Fingernägeln, "Du etwa nicht?" Harry bedachte seine Schwester mit einem verwirrtem Blick. "Schon.." Sie zögerte schon wieder, "Was meinst du hält Mum davon?" Er suchte automatisch mit seinen Augen nach ihr und fand sie dann zwischen Partygästen, mit Michael redend. Die Beiden lachten gerade. "Das ist doch egal-," er hielt inne, "Es ist viel wichtiger, dass du glücklich bist. Und Mum wird sich freuen, da bin ich mir ganz sicher." Gemma lächelte und nickte dann, "Ich will, dass du mir hilfst beim Kleid Aussuchen und so," Harry hob seine Augenbrauen, "Ich finde du hast einen guten Geschmack bei sowas." Er musste unmittelbar an seine graue Jogginghose und seinen rosa Hoodie zuhause denken, die er vorhin noch getragen hatte. Naja wenn sie das meinte... "Mach ich doch gerne, Lieblingsschwester und jetzt entschuldige mich." Er stand auf und bewegte sich in Richtung Buffett. "Lass den Anderen auch noch Himbeertorte übrig!" Harry drehte sich noch einmal grinsend zu seiner Schwester um, bevor er sich tatsächlich für einen äußert ansprechend aussehenden Marmorkuchen entschied. 

Als er sich dann später verabschiedete, nachdem er einen kleinen Toast ausgesprochen hatte, für den er einige Lacher, einen liebevollen Drücker von Gemma und ein paar wässrige Augen von seiner Mum geerntet hatte, gratulierte er auch noch einmal Michael  für die bevorstehende Hochzeit. Dann fuhr er wieder und musste feststellen, dass es dann doch nicht so schlimm gewesen war wie er erwartet hatte. Mit einem Lächeln auf den Lippen parkte er auf dem Krankenhausparkplatz und machte sich auf den Weg seine Tochter zu besuchen. Hätte er vielleicht den knallorangenen Range Rover entdeckt, wäre er gar nicht erst los gegangen. Aber als er die Tür des Zimmers öffnete und ihm die abgestandene Krankenhausluft entgegenschlug erkannte er ihn schon von hinten. Dort saß Louis.


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