Streit.

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Endlich. Ich hielt es keine weitere Sekunde mehr in diesem Haus aus. Ich ließ mich seufzend auf dem Rand des Daches nieder und ließ meinen Blick über das verschlafene Paris schweifen. Die Sonne war kurz davor, ihren tiefsten Punkt zu erreichen und tauchte die Stadt in ein schönes, sattes Orange. Ich liebte diese Zeit des Tages. Das war eines der vielen Vorteile, die ich mit meiner neuen Freiheit als Superheld genoss. Ich schloss die Augen und atmete tief ein, um meine Nerven zu beruhigen. Ich musste wieder einen klaren Kopf bekommen, und die frische Luft half mir. Wenn ich doch nur für immer ein Superheld bleiben könnte... Ich spürte erneut Tränen in mir aufsteigen, als ich an die Ereignisse von vorhin dachte...


»Das ist inakzeptabel! Wir hatten das doch genau besprochen! In drei Tagen ist die Modeshow und wir hatten vereinbart, dass die Jacke bis dahin passt! Nathalie!« Die Stimme meines Vaters hallte durch das ganze Gebäude und tausendmal lauter in meinem Kopf wieder. Mein Blick war starr nach unten gerichtet, als ich versuchte die Stimme meines Vaters auszublenden. Die Jacke passte nicht. Die Jacke passte nicht. Ich war eine Enttäuschung für ihn. Hatte ich denn nicht alles gemacht? Mich an die Diät gehalten und alles getan, damit mein Vater mit mir zufrieden war? Nein. Es war nicht genug. Ich war nie genug. Meine Hände fingen an zu zittern und ich spürte, wie mir das Atmen immer schwerer fiel, doch ich versuchte, mich zusammenzureißen. »Es tut mir leid, Vater! Ich-« »Spar dir deine Ausreden! Es hilft jetzt sowieso nicht weiter«, fiel er mir scharf ins Wort, bevor er seufzte. »Du enttäuschst mich, Adrien. Kein Wunder, ich lasse dir viel zu viel Freiheit.« Mein Herz schlug schneller; ich wusste was das hieß. Sein nächster Satz bestätigte eine meiner schlimmsten Ängste. »Du wirst von nun an wieder zuhause unterrichtet, Adrien. Du lässt dich von deinen Freunden viel zu viel von deinen Pflichten ablenken.« Ich hatte damit gerechnet, und doch traf mich dieser Satz mit voller Wucht. »Das kannst du nicht machen!« »Keine Wiederrede, Adrien. Ich bin dein Vater und ich weiß, was das Beste für dich ist. Wenn du jemals eine Zukunft als Model haben willst, musst du darauf achten, was du isst und mit welchen Menschen du dich umgibst. Sie tun dir nicht gut. Jetzt geh auf dein Zimmer. Das Abendessen fällt für dich aus.« Seine Stimme war forsch und unbarmherzig und ließ keinen Wiederspruch zu. Ich blinzelte meine Tränen weg und sagte mit erstickter Stimme: »Ja, Vater.« Meine Brust bebte, als ich versuchte, meine Schluchzer zu verbergen, und ich verließ sein Büro.

Und nun saß ich hier. Plagg hatte kurz versucht mit mir zu reden, nachdem ich in meinem Zimmer war, doch ich verwandelte mich schnell und haute ab. Ich musste einfach von dort weg, ich hielt es keine Sekunde mehr dort aus. Zuhause. Hah. Ich schnaubte verächtlich, als ich darüber nachdachte. Es war noch ein zuhause gewesen, als Mutter noch gelebt hatte, doch seitdem sie gestorben war, hatte sich alles geändert. Vater hatte sich verändert. Sein Herz wurde kalt und bitter, er hatte ihren Tod nie überwunden. Es war nun schon fast ein Jahr her, ihr Todestag war nächste Woche. Und jetzt durfte ich nicht mal mehr zur Schule gehen... Meine Hände umklammerten den Stab, als ich darüber nachdachte, wie ungerecht das alles war. Nie war ich gut genug für ihn. Mein Magen knurrte, doch ich ignorierte es. Zuhause gab es kein Abendessen und ich würde meinen Vater nicht nochmal enttäuschen. Immerhin hatte ich noch die Chance, ihn stolz zu machen. Während ich auf Paris hinuntersah schluckte ich hart und versuchte, alles etwas positiver zu sehen. Immerhin konnte ich als Cat Noir diesem Teil meines Lebens für eine Weile entfliehen und einfach nur ich sein. Adrien Agreste war wahrscheinlich für immer in seinem Zimmer gesperrt, doch Cat Noir war frei und konnte überall hingehen, wo er wollte. Ich wünschte, ich könnte für immer er sein. Frei und unbeschwert... Ich wusste, dass ich dieses Leben wahrscheinlich aufgeben musste, nachdem Hawk Moth besiegt war, doch bis dahin wollte ich dieses Leben so lange wie möglich genießen. Außerdem hatte dieses Leben noch etwas Gutes. Ich wischte mir die letzten Tränen vom Gesicht und rappelte mich auf; es war Zeit.

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