Überwindung.

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Ich war viel zu früh dran. Schon wieder. Doch mir tat es einfach gut, aus diesem Haus zu entfliehen, wo ich das Gefühl hatte, dass die Wände immer näherkommen würden, je länger ich sie betrachtete. Das Haus mit
einem Vater, der nicht mal versucht mich zu verstehen, Nathalie, deren größte Sorge es ist, von meinem Vater einen Rüffel zu bekommen und einem Bodyguard, dem alles egal war, solange er nur sein Gehalt bekam. Aber wie konnte ich es meinem Vater verübeln? Ich schluckte schwer und dachte an das Fotoshooting zurück. Ich wusste bereits seit Wochen davon, und trotzdem hatte ich jeden Tag drei Mahlzeiten gegessen. Sogar Marinettes Croissants, als sie die vor ein paar Wochen mit in die Klasse brachte. Wie konnte ich mich so gehen lassen...?

Gerade, als ich mir die Reaktion von meinem Vater vorstellte, wie er die Fotos sah, landete ein Schatten vor mir auf dem Dach und ich zuckte zusammen. Doch es war nur Ladybug. Wer auch sonst? Es herrschte einen Moment lang betretende Stille, bevor sie sich neben mich auf den Rand des Daches setzte. Mir war flau im Magen, doch bevor ich irgendetwas sagen konnte ergriff sie das Wort. „Das mit neulich tut mir leid, Kätzchen." Ich blinzelte zweimal, bevor ich verstand was sie da von sich gab. Ihr tat es leid? Ich sah sie verwirrt an. „Dir tut es leid? Aber..." Sie streckte schnell ihre Hand aus und ergriff meine Hand und brachte mich so effektiv zum verstummen. Ihr Blick war sanft und wieder einmal überhaupt nicht, wie ich ihn erwartet hatte. „Ich hätte dich nicht weiter bedrängen sollen, als du meintest, dass du auf Diät bist." Sie sah etwas verlegen aus. „...Ich schätze, ich wollte dir einfach nur eine Freude machen, sonst nichts. Es tut mir leid. Kannst du mir verzeihen?" Meine Augen wurden, wenn dies überhaupt noch möglich war, noch größer. Ich war doch derjenige gewesen, der einfach weggerannt war und sie auf dem Dach sitzen lassen ließ. Das sie sich entschuldigte war das Letzte, was ich erwartet hätte. Dieses Mädchen schaffte es jedes Mal, mich erneut zu überraschen. Nach ein paar Sekunden bemerkte ich, dass ich sie anstarrte und wandte ertappt den Blick ab. „Oh, ich... na...türlich verzeihe ich dir. Aber, ich..." Eigentlich sollte ich mich entschuldigen, doch als ich sie wieder ansah raubte mir ihr wunderschönes Lächelnd den Atem. Es schien, als ob eine schwere Last von ihren Schultern gefallen wäre. „Da bin ich aber froh. Ich hatte schon Angst, du würdest dich nicht mehr mit mir treffen wollen, nachdem du gestern nicht zur Patrouille aufgetaucht bist."

Ich biss mir auf die Lippe. Es war nicht so, dass ich es vergessen hatte, ich konnte einfach Nathalie nicht entfliehen, die mit mir über einen neuen Diätplan reden wollte. Mein Essverhalten schien ihr nicht zu gefallen, obwohl ich beteuerte, dass es mir gut ging. Doch sie schien keine Ruhe geben zu wollen, bis ich mich mit ihrem neuen Plan auseinandergesetzt hatte. Danach ging sie mit mir in die Küche, wo sie mir mitteilte, dass sie mir einen Shake gab, und sie ließ mich erst gehen, bis ich ihn austrank. Na klar, was sollte denn ein Shake bringen, dachte ich mir. Doch sie erklärte mir, dass dieser Shake eine ganze vollwertige Mahlzeit ersetzen und außerdem nicht schwer im Magen liegen sollte. Ich kippte ihn hinunter und setzte ein Lächeln auf, in der Hoffnung, sie damit besänftigen zu können, doch kaum, als sie verschwand, gewann die Übelkeit und ich rannte zurück ins Bad, bevor ich auf die Knie fiel und mich heftig übergab. Meine Muskeln zitterten unkontrollierbar und ich musste mich am Rand der Toilette festhalten, um nicht umzukippen. So viel zu mir zu nehmen auf leeren Magen war mein Körper nicht gewohnt. Ich wollte unbedingt zur Patrouille, doch Plagg, dem normalerweise sein Käse mehr wert war als alles andere, weigerte sich strikt, mich aufstehen zu lassen, geschweige denn mich die Worte sprechen zu lassen, um mich zu verwandeln.

Ich sah Ladybug wieder an. Sie war so perfekt, so vollkommen. Nicht eine Sekunde lang hatte sie die Schuld bei mir gesucht. Ich suchte ihren Gesichtsausdruck nach Wut, Enttäuschung oder Hass ab, doch ich konnte nichts erkennen außer Reue, Freude und Zufriedenheit. Sie sah mich aus irgendeinem Grund nicht als die Enttäuschung, die ich war. Wollte sie es nur nicht sehen? Ich versuchte erneut, mich bei ihr zu entschuldigen, die Gedanken in meinem Kopf hörten nicht auf, alles zu überdenken. Vielleicht sah sie mich wirklich so, wie ich war, fing eine fremde Stimme in meinem Kopf an. Es war wahrscheinlich eine Lüge, die diese Stimme mir da auftischte, doch einen Moment lang wollte ich an diese Lüge glauben. Es war zu schön, um wahr zu sein. Vielleicht, wenn ich Ladybug alles erzählen würde... Vielleicht würde sie mich verstehen. Es war das mindeste, was ich tun konnte. Sie verdiente die Wahrheit. Ich holte tief Luft und gab ihrer Hand einen leichten Druck, ohne zu realisieren, dass ich sie immer noch fest hielt. Mein Blick war starr zu Boden gerichtet. Was, wenn sie mich verurteilte? War es doch falsch, ihr das anzuvertrauen? Doch sie kannte meine wahre Identität doch gar nicht. Und tief in mir drin wollte ich unbedingt jemanden von meinen Problemen erzählen. Wenn nicht Ladybug, wem dann? Ich holte tief Luft, als ob ich mich jeden Moment in die Tiefe stürzen müsste. Ich spürte ihren Blick auf mir, besorgt und verwirrt. Ich musste es ihr jetzt erzählen. Hier und jetzt. Ich hob den Kopf und sah sie fest an. „Ich-"

Bevor ich wusste, wie mir geschah, passierten mehrere Dinge gleichzeitig: Der Boden unter mir bebte, etwas hardes traf mich hart am Oberkörper und Ladybug schrie.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Sep 19, 2023 ⏰

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