„Genau so, Adrien! Sehr gut!" Blitzlichtgewitter blendete mich, und ich versuchte stark, nicht zu blinzeln. Es waren zwei Tage vergangen seit dem Zwischenfall mit Ladybug und den Macarons, und seitdem hatte ich sie auch nicht mehr gesehen. Paris war friedlich, und ich sollte mich eigentlich darüber freuen, wenn da nicht diese nagende Stimme in meinem Kopf wäre. Doch ich hatte im Moment keine Zeit, mich darauf zu konzentrieren, ich war mitten in einem Fotoshooting. Ich setzte ein Lächeln auf und neigte den Kopf ein wenig zu Seite, wie gewollt. „Sehr gut!" Die Frau hinter der Kamera gab mir weiterhin Anweisungen, und ich tat mein Bestes, um sie zu befolgen. Es war Sommer, und die neue Sommerkollektion meines Vaters war kurz vor dem Durchbruch. Es war ein normales Shooting wie immer, bis ein Satz meine Konzentration durcheinanderbrachte. „Und jetzt zieh dein Shirt aus!" Ich riss die Augen und setzte mich aufrecht hin. „Was? Wieso?" Doch die Frau belächelte mich nur und schoss ein weiteres Foto. „Als nächstes sind die Schwimmshorts deines Vaters dran. Wie sieht das denn aus, wenn du dann ein T-Shirt trägst?" Sie schüttelte den Kopf und sah ungeduldig aus. „Na los. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit." Ich schluckte schwer. Vater hatte davon nichts erwähnt. Bisher musste ich noch nie mein T-Shirt ausziehen. War das überhaupt erlaubt? Ich war doch noch minderjährig. Aber ich wollte meinen Vater nicht enttäuschen. „Die Shorts liegen da vorne, bei der Umkleidekabine. Hopp, hopp, wir warten." Ich stand wiederwillig auf und machte mich auf den Weg zur Umkleidekabine.
Kaum, als ich den Vorhang zu zog, kam Plagg aus meiner Tasche geflogen. „Na endlich! Können wir jetzt gehen? Mir ist sterbenslangweilig, und ich hatte immer noch kein Frühstück!" Ich seufze innerlich. „Es dauert noch etwas, Plagg. Bleib in der Tasche, sonst hört dich noch jemand." Plagg war nicht der Einzige, der kein Frühstück hatte. Nathalie hatte mich die Tage geweckt und mich zum Frühstück begleitet. Es war nicht viel, ein Brötchen mit Käse, doch jedes Mal, wenn ich auf meinen Teller gesehen hatte, erinnerte ich mich an die Mode Show und wie viele Kalorien ich noch loswerden musste. Ich würde es nie schaffen, meinen Vater stolz zu machen, wenn ich so weitermachte wie zuvor. Beim Frühstück konnte ich mich noch herausreden. „Ich habe keinen Hunger". Damit gab sie sich zufrieden, doch als ich beim Mittagessen die gleiche Ausrede brachte, fing es an. „Adrien, du musst etwas essen." „Adrien, deine Gesundheit mangelt dadurch." „Adrien, iss wenigstens die Vorspeise." Mir war klar, dass sie bald meinen Vater informieren würde, wenn ich so weitermachte, darum musste ich mir etwas anderes einfallen lassen.
Ich drehte mich zum Spiegel in der Umkleidekabine und sah mich an. Äußerlich sah ich aus wie immer, nichts deutete darauf hin, dass meine Nerven zum Zerreißen gespannt waren. Ich atmete tief durch, bevor ich die Arme überkreuz nahm und das T-Shirt auszog. Dann wendete ich den Blick ab. Aus den Augenwinkeln sah ich mein Spiegelbild, doch ich konnte mich nicht angucken. Die Realität, wie sehr ich meinen Vater enttäuschen würde, war so nah, und ich wollte es einfach nicht wahrhaben. Umso schlimmer, dass die Fotografin mich gleich so sehen würde. Mit so viel Fett am Bauch und so untrainiert, dass konnte einfach nicht gut aussehen. Und dann würde es höchstwahrscheinlich noch jeder sehen, der das Magazin meines Vaters kaufte... Meine Freunde, Familie, und jeder, den ich kannte... Das hatte Vater sich bestimmt nicht gewünscht. Ich wusste nicht, wie lange ich dort stand, bis ich die näherkommende Stimme der Fotografin hörte. „Adrien? Bist du fertig? Wir haben einen engen Zeitplan." Bevor ich reagieren konnte, sah ich, wie eine Hand den Vorhang anseite zog und mir meine Privatsphäre entriss. „Los jetzt. Wir haben noch viel vor uns." Mir stieg die Schamesröte ins Gesicht, als ich gezwungen wurde, mich so vor den anderen zu präsentieren. Gab man mir nicht mal die Wahl, ob ich das überhaupt wollte? Doch es war ihnen egal, was auch sonst. Sie begleitete mich zur Liege, die als Vorlage für einen Tag am Strand sein sollte, und breitete ein Badetuch darauf aus. Dann huschte sie schnell zurück zur Kamera. „Leg dich darauf und stütz deinen Kopf in deiner Hand ab. Nein, dreh dich mehr zur Seite. Man muss die Hose gut sehen. Und mehr lächeln. Nein, ohne Zähne. Ja, genau so." Die nächsten zehn Minuten gingen so weiter, doch irgendetwas gab es immer auszusetzten. Ich tat mein Bestes, doch sie schlug nur mit den Augen auf. Irgendwann sah sie wieder hinter der Kamera hervor. „Tu mir einen Gefallen und zieh deinen Bauch ein, dann haben wir im Nachhinein weniger bei den Fotos zu bearbeiten." Schamesröte machte sich in meinem Gesicht breit und ich spürte, wie meine Augen anfingen zu brennen. Meine schlimmsten Gedanken bestätigten sich mit dieser Aussage. Wie konnte ich es vorher nie bemerkt haben? War ich so dick? Während ich den Bauch einzog, dachte ich an die Nacht mit Ladybug auf dem Dach. Sie meinte, ich bräuchte keine Diät. Hatte sie mich angelogen? Wenn ja, warum? War es Mitleid? Dachte sie, ich konnte die Wahrheit nicht vertragen? War ich ihr die Wahrheit nicht wert? Jede weitere Sekunde, die ich auf dieser Liege verbrachte, hasste ich mich mehr. Das Modellächeln, dass ich perfekt beherrschte, seit ich acht Jahre alt war überspielte alles, sobald die Kamera lief. Was sich dahinter abspielte, interessierte niemanden. Die perfekte Fassade. Aber genau das war es, eine Fassade. Als Cat Noir trug ich zwar auch eine Maske, aber das war nicht das Gleiche. Wenigstens konnte ich als er frei sein.
Das Fotoshooting fühlte sich an wie Stunden, obwohl es nach zwanzig Minuten beendet war. Als ich zurück in der Umkleidekabine war setzte ich mich hin. Meine Mundwinkel schmerzten furchtbar von dem ganzen Lächeln, und erst jetzt spürte ich, wie mein Herz raste. Andere gingen Bungee springen, um einen Adrenalinkick zu bekommen; bei mir reichte dieses Fotoshooting. „...Adrien? Ist alles okay?",fragte Plagg. Er brachte mir mein T-Shirt, was ich mir langsam überstreifte, doch ich konnte bei einem Ärmel den Ausgang nicht finden. Ich kämpfte mit meinem Arm und wurde immer hektischer, als ich den Ausgang nicht fand. Meine Atmung beschleunigte sich und ich versuchte, nicht panisch zu werden, obwohl es eigentlich keinen Grund dafür gab. „Verdammtes..." Nach ein paar Sekunden gab ich es auf und spürte heiße Tränen meine Wangen herunterlaufen. Was war bloß mit mir los? Ich unterdrückte einen Schluchzer, voller Angst, jemand würde erneut einfach hereinplatzen. Ich konnte mich nicht mal alleine umziehen. Ich war mir sicher, dass ich erbärmlich aussah, die eigenen Arme im T-Shirt gefangen und weinend dazusitzen, doch Plagg sagte er nichts, was gar nicht seine Art war. Er saß einfach stumm auf meiner Tasche und wartete, bis ich mich beruhigt hatte. Danach flog er unter mein Shirt und griff sanft nach meinen Handgelenken, um sie zu den Ärmellöchern zu führen. Nachdem ich angezogen war, schniefte ich und hielt den Blick gesenkt, peinlich berührt, so einen Aufstand gemacht zu haben. „Ich-„ „Ist okay, Adrien. Dafür schuldest du mir aber eine neue Lieferung Camembert", sagte er neckend, und ich versuchte etwas zu lächeln. Mir war klar, dass er sich Sorgen machte, aber ich war dankbar, dass er es nicht ansprach. „Na klar. Soviel Käse, wie du willst", murmelte ich mit dem Anflug eines Lächelns und wischte mir die getrockneten Tränen aus dem Gesicht, bevor ich mich aufrappeltete. Draußen wartete die Limousine. Es war Zeit, nach Hause zu fahren. Wenigstens hatte der Abend noch etwas erfreuliches; die nächste Patrouille mit Ladybug.
Ich musste mich dringend bei ihr entschuldigen.
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FanfictionAdrien leidet unter dem Leistungsdruck seines Vater und fängt im Laufe der Zeit an, eine Essstörung zu entwickeln, um seinem Vater zu gefallen. Doch als Cat Noir kann er frei sein. Oder...?