II.

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Im Zentrum der Stadt Foxbridge, in einem kleinen Turmzimmer des Postturms an dessen Fenster der Regen prasselte saß ein kleiner, merkwürdiger Herr auf einem kaputten Stuhl und blickte genervt auf seinen klapperigen Schreibtisch, auf dem sich zwei Gegenstände befanden. Vor ihm lag ein Stapel Papier, auf dem in krakeligen Buchstaben viele verschiedene Telefonnummern notiert waren. Daneben stand ein kleiner Telefonapparat mit einer Wählscheibe und einem gelben Telefonhörer. Es war das Nachttelefon. Der kleine Mann griff in seine Tasche, zog seinen schwarten Hut tief in sein Gesicht und zündete sich eine Zigarette an. Er war in dieser Nacht für das Nachttelefon eingeteilt. Der Mann hieß Mr. Lora. Das Turmzimmer des Postturms wurde nur von einem Kerzenhalter auf dem Schreibtisch erleuchtet, die Fenster waren meist vergittert und es war schrecklich kalt. Unruhig tippte Mr. Lora auf den Tisch vor sich, schob seine zerrissene Krawatte zurecht. Er blickte auf die Uhr, die vor ihm an der Wand hing. Es war bereits dunkel und die metallenen Zeiger der Uhr standen auf halb 10. Der erste Anruf für diese Nacht sollte eigentlich schon längst eingegangen sein. Mr. Lora überprüfte akribisch genau die Kabel des Nachttelefons, dann überprüfte er, ob er die richtige Liste vor sich liegen hatte. Dies war der Fall, also stand er auf und lief in Richtung Fenster. Er wippte von einem Bein auf das andere, summte eine seltsame, unrhythmische Melodie vor sich hin und begann auf der Stelle zu tanzen, dann wurde es ihm zu stickig im Turmzimmer und er beschloss das Fenster zu öffnen und frische Luft in den Raum zu lassen. In diesem Moment passierte es. Das Nachttelefon klingelte zum ersten Mal in dieser Nacht.

Zur gleichen Zeit stand Herr Y. in einer kleinen Seitengasse, an der Grenze zur Welt. Herr Y. hatte seinen Regenschirm aufgespannt, denn man munkelte in Corner Town, dass die Menschen aus der Welt in letzter Zeit immer wieder Nachtpostboten gesehen hätten. Der Regenschirm machte Herr Y. für alle, die keinen Nachtpostboten waren unsichtbar. Der Briefkasten vor dem Herr Y. stand war nicht besonders groß, mit Graffiti beschmiert, gelb und hatte ein Fach, das man öffnen konnte. Doch, was diesen Briefkasten von den anderen unterschied war das Schild auf der Vorderseite des Briefkastens. Dort standen nämlich in großen, krakeligen Buchstaben zwei Wörter: „Nur Liebesbriefe". Herr Y. zog seine Uhr aus der Tasche. Der lange Weg zu seinem Nachtbriefkasten hatte ihn müde gemacht. Seine Uhr zeigte 11Uhr abends. Noch vor dem Sonnenaufgang musste er seine Arbeit erledigt haben, ansonsten würde ihm das blühen, was jedem Nachtpostboten geschah, der bei Sonnenaufgang nicht in seinem Zimmer in seinem Bett lag und schlief. Herr Y's Geschichte würde in einen Briefumschlag gepackt werden und alle seine Geheimnisse an eine fremde Person geschickt werden. Den frierenden Herr Y. schauderte es bei dieser Vorstellung noch mehr, als dies in der Kälte sowieso schon der Fall war und er beschloss, sich seiner Arbeit zu widmen. Zuerst öffnete er den Briefkasten und nahm einen Stapel aus 4 Briefen heraus. Mit zittrigen Händen las er die Adressen der Absender und überprüfte hastig, ob all diese Menschen in der Welt lebten. Schnell frankierte er die Briefe mit den Briefmarken aus seiner gelben, kleinen Kiste und schob sie in den Briefkasten zurück. Herr Y. beeilte sich, die Nummer des Briefkastens zu notieren. Dann schloss er seine Kiste mit den Briefmarken und machte sich auf die Suche nach dem nächsten Nachttelefon.


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