Bookboyfriend

Kapitel vier

»Okay, Cole. Woran kannst du dich aus dem Buch erinnern?«, frage ich meinen Nachhilfeschüler, als wir es uns auf dem Boden bequem gemacht haben. Zwei Stühle für den Schreibtisch besitze ich nicht und ich würde gerne vermeiden, dass sich Cole auf mein Bett setzt. Die Vorstellung will in meinem Kopf einfach keine Gestalt annehmen. Deshalb sehe ich meinem Schicksal in die Augen und ignoriere meinen schmerzenden Hintern. Fazit: Mein Boden war mal gemütlicher.

Cole zuckt nur mit den Schultern und zupft an einer losen Faser seines Shirts herum. »Weiß nicht mehr viel. Die Hauptfigur heißt Jay Gatsby. Daher der Name des Buches. Er hat in seinem Haus auf dem Land ziemlich viel Party gemacht, um diese Frau zu beeindrucken. Daisy hieß sie, glaube ich.«

Ich ziehe eine Augenbraue nach oben und lege den Kopf schief. »Das könntest du jetzt aber auch aus dem Internet haben«, stelle ich das offensichtliche fest. Ich traue ihm einfach nicht, was diese Informationen angeht.

Seufzend lässt er den Kopf in den Nacken fallen. »Du magst mich echt nicht, hm?«, fragt er, ohne mich anzusehen, völlig aus dem Kontext gerissen.

Blinzelnd starre ich ihn an. »Das tut hier doch überhaupt nichts zur Sache.« Außerdem kann er doch mir überlassen, wen ich mag und wen nicht. Auch, wenn ich ihm leider recht geben muss. Ich war noch nie ein großer Fan von Cole. Er ist einfach ... Argh! Er bringt mich immer auf die Palme. Und mal abgesehen davon, dass er mich auch nicht leiden kann, mag ich Menschen nicht, denen die Schule total egal ist. Zwar kenne ich Coles Noten nicht, aber ich leite von seinen Nachhilfestunden ab, dass er im Unterricht nicht die hellste Kerze auf der Torte ist. Sorry, aber so wirkt er nun einmal.

»Und du weichst meiner Frage aus«, schlägt Cole den Tennisball zurück auf meine Seite und lässt in meinem Kopf eine Vielzahl an Flüchen umher fliegen. Idiot ist noch der mildeste.

»Weil sie hier nichts zu suchen hat. Die Zusammenfassung, die du mir gegeben hast, findet man sofort, wenn man den richtigen Suchbegriff in den Internetbrowser eingibt.«

Leugnen hilft ohnehin nichts. Er kann also auch einfach zugeben, dass er das Buch nicht gelesen hat und es auch niemals lesen wird.

»Ich wusste es«, ist seine einzige Antwort und ein trauriges Lächeln stiehlt sich auf seine Lippen. Als hätte er ernsthaft etwas anderes geglaubt.

Warum sollte es jetzt noch abstreiten? Er hat ja recht. »Kann sein«, sage ich dazu, weil ich nicht wirklich weiß, worauf Cole hinaus will.

»Warum auch?«, seufzt er und lässt seinen Kopf wieder zurück fallen. Ein paar Sekunden starrt er Löcher in die Luft, bevor seine Augen ruckartig meinen Blick suchen. Und auffangen. Vollkommen überrumpelt schaffe ich es nicht, wegzusehen. Ozeanblau trifft auf Waldgrün. Und ich verliere mich in seinem Blick. In seiner Tiefe. Ich falle in ein Meer aus Gefühlen, die ich nicht verstehe. Ich werde verachluckt. Beinahe erwarte ich, Fische in seinen Augen schwimmen zu sehen. Dafür tun sich mir Geheimnisse auf, die tief vergraben worden und nicht dafür bestimmt sind, jemals an die Wasseroberfläche zu gelangen. Aber ich will sie aufdecken - erfahren, was niemand über ihn weiß.

Mein Herz schlägt hart und schnell gegen meinen Brustkorb und ich spüre, wie meine Kehle austrocknet. Mein Atem geht nur noch stoßweise voran und in meinem Bauch bildet sich ein angenehmes Kribbeln. Nichts davon kann ich auch nur in irgendeiner Weise zuordnen. Mein Kopf ist wie in Nebel getränkt. Es gibt keinen Sinn mehr. Für nichts. Und gleichzeitig stimmt alles, was hier gerade passiert, weil ich weiß, dass es so sein muss. Warum auch immer.

Coles Räuspern reißt mich aus unserer Blase und ich frage mich augenblicklich, was mich geritten hat, seinen Blick solange festzuhalten. Ich hätte die erste sein müssen, die den Augenkontakt unterbricht. Warum habe ich das nicht getan?