Kapitel 1

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Ich sehe was in dir, was du nicht siehst.

POV | 𝒜𝓇𝒹ℯ𝓃

Schon seit Tagen laufe ich wie eine wandelnde Leiche herum. Sogar meine Lehrerin hat mich schon auf die tiefen Schluchten angesprochen, die sich mehr als nur deutlich unter meinen Augen abzeichnen.

Jede einzelne Faser meines Körpers schmerzt und ich schlafe andauernd im Unterricht ein, weswegen ich erst vor einer Woche, für mehrere Tage, suspendiert worden bin.

Ich lasse mich auf einen der knarzenden Stühle in der Cafeteria sinken und gähne einmal ausgiebig. Dabei recke ich mich gen Fenster, wo die warmen, einfallenden Sonnenstrahlen meine fade Haut sanft küssen. Es fühlt sich beinahe so an, als würden sie versuchen, mich ins Leben zurückzuholen. Als würden sie versuchen, die beißende Kälte in mir zu verdrängen. Ich sauge sie auf, wie ein Schwamm und seufze dabei ausgiebig.

»Hey, Grandma Wallis! Hast du es dabei?«, dringt plötzlich eine Stimme an mein Ohr.

Es ist Seven O'Brian, der Foodballstar unserer Schule und zugleich auch mein Peiniger, der mir andauernd das Leben schwer macht.

Im Grunde denke ich, dass es nicht seine Schuld ist, weil irgendwas in seiner Kindheit schief gelaufen ist. Vielleicht haben seine Eltern ihn zu oft vom Wickeltisch fallen lassen, oder seine Brüder haben ihm, im Entwicklungsalter, zu viele Footballs gegen den Kopf geworfen. Immerhin bekommt man als »Sandwich«-Kind auch weniger Aufmerksamkeit, weil man schlichtweg nicht existiert. Sein älterer Bruder Colby hat es vom College-Football in die NFL geschafft, während sein jüngerer Bruder Dean erst letztens den Wissenschaftspreis an unserer Schule gewonnen hat. Seven steht also unter einem enormen Druck, was sich in seinen zahlreichen Versuchen, immer einhundert Prozent geben zu wollen, widerspiegelt. Zusätzlich hat er noch ein Problem mit seinem Zeit-Management.

Jepp, daran wird es wohl liegen.

Jedenfalls ist der Grund, weshalb er mich Grandma Wallis nennt, mein kaum zu übersehendes, schneeweißes Haar. Ich bin so geboren worden und habe zusätzlich noch das Pech, es nicht ändern zu können. Im Normalfall können Haare gefärbt, Nasen operiert und Körper trainiert werden. Es gibt immer irgendeine Möglichkeit, sein Äußeres so anzupassen, wie man es gerne haben würde. Allerdings nicht bei mir, denn jeder Versuch meine Haare zu färben, ist bisher kläglich gescheitert. Spätestens nach der zweiten Haarwäsche, ist die Farbe komplett ausgewaschen und mein weißes Haar scheint wieder durch.

»Oh man, ich bin immer total verwirrt in welches Auge ich sehen soll ...«, er lacht.

Heterochromie - eine typische Genveränderung, wenn sich zwei Föten im Mutterleib befinden, oder, wenn man einen schweren Unfall gehabt hat. Manchmal jedoch, tritt die Veränderung auch so in Erscheinung. Und obwohl O'Brian maßlos übertreibt und mich ständig darauf aufmerksam macht, dass ich anders aussehe als meine Mitschüler, fühle ich mich mittlerweile wohl in meiner Haut. Zudem habe ich ein blaues und ein grünes Auge, was die Heterochromie wesentlich unscheinbarer macht, als bei anderen Betroffenen.

»Dann such dir eins aus, O'Brian«, entgegne ich in einem gleichgültigen Ton.

Er grinst dämlich und rückt sich einen der Stühle zurecht, um sich neben mich zu setzen. Dann stützt er seinen muskulösen Arm auf dem Tisch ab und sieht mir tief in eines meiner Augen.

So ein Idiot.

»Gut, ich nehme das blaue. Das ist weniger gruselig, als das Grüne.«

Letzteres habe ich geflissentlich überhört.

»Fein«, entfährt es mir in einem genervt-stöhnenden Ton, während ich meine Augen verdrehe.

»Folgendes, Wallis ... ich habe am Samstag ein wichtiges Spiel, bei dem einige Talentscouts anwesend sein werden. Zudem wird Nigel Hammilton anwesend sein, und wie du ja sicher weißt ...«

Grey Moon - I can see your SoulWo Geschichten leben. Entdecke jetzt