VII. Zwischen Himmel und Sternen

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„Willst du nichts essen, Liebes?"

Tamina schüttelte den Kopf.

„Etwas schwimmen? Deine Schuppen sehen ganz matt aus."

Sie verneinte erneut.

„Was ist mit Muscheln und Sternenstaub sammeln? Du liebst Muscheln und Sternenstaub!"

Ihre Zofe gab sich alle Mühe, sie aus dem Bett zu bekommen, doch Tamina hatte keine Lust. Das Einzige, was sie liebte, war Prinz Eldrik. Die Art, wie er sie angesehen hatte. Wie er gelächelt hatte. Ihrdas Universum zeigte. Aber diese Zeiten waren vorbei, so wie auch andere Menschen ihrer Familie Leid zugefügt hatten.

„Danke, Lidia", sagte sie. Seit sie im Sternenmeer angekommen war, hatte Tamina kaum ihr Zimmer verlassen. Die rosa Macht der letzten Gabe prickelte noch um ihre Finger, aber etwas hielt sie zurück, ihre Erfahrung in das Zepter zu setzen. Es würde vollkommen sein - aber es wäre geprägt von Leid und Trauer und Tamina wollte nicht diejenige sein, die seine Macht so vollendete.

„Gut, dann schwimme ich alleine und bringe dir was mit." Lidia verschwand aus dem Raum und Tamina blickte zu den Sphären. Sie wollte mit Eldrik reden. Je mehr Zeit verging, desto mehr Zweifel hegte sie dennoch, dass er sie hintergangen hatte. Ja, sie waren Umwege geflogen und er hatte sich ihrem Vater gegenüber falsch verhalten, aber vielleicht gab es einen Grund? Tamina hoffte, dass wenigstens seine Gefühle ehrlich gewesen waren. 

Ein Klopfen ließ sie aufblicken. Ihre Schwestern traten ein.

„Es ist Zeit", sagte Avalia.

„Genug getrauert", meinte Erina.

„Du musst deine Mission abschließen. Neptunius braucht dich." Isella zog sie aus dem Bett und Malika und Vaiala geleiteten sie in den Thronsaal. Ihr Vater erwartete sie. Er hielt das Zepter, dessen freier Platz begierig schimmerte, und Taminas Hände kribbelten aufgeregt.

Wollte sie das Zepter wirklich mit Verrat krönen?

„Nimm dir die Zeit, die du brauchst", wisperte er. Tamina ließ ihren Blick schweifen, bis er an ihren pink leuchtenden Händen hängen blieb. Sie hatte die Macht gefunden, die Neptunius retten konnte. Sie musste sie nur einsetzen. Doch in der Legende hatte nie jemand etwas von diesem Kummer gesagt.

Die Prinzessin reckte das Kinn. „Nein." 

„Nein?"

„Nein - ich werde diese Macht nicht einsetzen."

Tamina sah, wie ihre Zofe wiederkam, die Arme voller Dinge, die sie im Meer gefunden hatte. Plötzlich hatte sie das Gefühl, dass jemand sie absichtlich ins Meer geworfen hatte. Ihrer Hoffnung wuchsen Flügel.

„Es gibt immer zwei Seiten, immer Licht und Schatten. Jahrelang habt ihr euch nur auf die Gefahr konzentriert, die vom Weltenraum ausging, und auf die Enttäuschung, die ihr erlebt habt. Gefahr, Missgunst, Nutzen, Enttäuschung, ... Auch ich habe es erlebt - das Gefühl von Verrat. Aber ich konnte es nur spüren, weil ich auch die Liebe spürte."

Neptun zog eine Augenbraue hoch. Tamina spürte ihre Brust wieder glühen, diesmal fühlte es sich besser an. „Ich weiß nicht, was die Wahrheit ist, aber ich weiß, dass ich den Verrat niemals ohne die Liebe gespürt hätte. Ich liebe die Menschen, ich liebe ihre Welt und ich liebe den Prinzen - darum entscheide ich mich, nicht den Verrat in das Zepter zu geben, sondern die Liebe."

Ihre Hände leuchteten heller. Tamina formte ihre Erfahrung aus dem Weltenall zu einer Kugel und setzte sie als Krone in das Zepter. 

„Vielleicht könnt ihr auch das Andere sehen. Da war Sicherheit vor der Gefahr, Bewunderung vor Missgunst, Macht vor Nutzen. Freundschaft vor Enttäuschung, Offenheit vor Geheimnissen und Wille vor Verzicht. Vielleicht sind das die Gaben, mit denen wir das Zepter nähren sollten - nicht mit Kummer. Neptunius wird auch so sicher sein."

Ihre Schwestern überlegten. „Du hast recht ...", murmelten sie. „Da ist tatsächlich was dran ..."

Auch ihr Vater kratzte sich am Kopf. Das Zepter leuchtete heller, als es je geleuchtet hatte. Zum ersten Mal spürte Tamina bei dieser Macht keine Gänsehaut, sondern einen wohligen Schauer.

„Vielleicht können wir alle von dir lernen."

„Dann lasst mich euch zeigen, dass nicht alle Menschen böse sind." Sie drehte sich lächelnd um, befreit von ihrer Mission. „Ich muss los."

„Wohin?"

„Nach den Sternen greifen!" 

Die Prinzessin rauschte nach oben. Hoffnung und Furcht erfüllten ihre Brust gleichermaßen, während sie durch die Wellen jagte, gleichzeitig spürte sie ihr Herz stärker als jemals zuvor. Bitte lass ihn da sein. Doch als sie die Oberfläche des Sternenmeeres durchbrach, wurde ihre Sorge fortgewaschen.

Knapp über dem Meer schwebte ein Raumschiff, auf dessen Planke ein Junge in blauem Anzug saß. Er schmiss wahllos Dinge in das Wasser. Als er sie sah, blickte er auf.

„Hallo", sagte Tamina.

„Du bist zurück", freute sich Eldrik.

Tamina lächelte. „Ich wollte nur wissen, warum du mich nicht aufgehalten hast. Dass die Crew mit Kanonen geschossen hat, verstehe ich mittlerweile, denn ihr wusstet nicht, dass es mein Vater ist. Außerdem folgt auf einen Angriff immer Verteidigung - zum Schutz meiner Freunde hätte ich das auch getan."

Prinz Eldrik neigte den Kopf. „Du bist sogar noch gutherziger, als ich dachte." 

Tamina wurde rot.

„Dein Vater hatte das Zepter auf uns gerichtet. Ich wollte dir sagen, dass ich dich liebe, aber dann hätte er vermutlich unser Raumschiff zerstört. Allerdings hätte ich schon vorher ehrlicher sein sollen: Space-Heaven liegt neben einem schwarzen Loch, darum flogen wir Umwege, und ich wollte dir die Schönheit des Universums zeigen." Er streckte ihr die Hand entgegen. „Verzeihst du mir bitte?"

Sein Lächeln war so warm und liebevoll, dass Tamina nickte. Als er sie auf sein Schiff zog, blickte sie nochmal zurück. Sie sah das Leuchten des Zepters im Zentrum des Sternenmeeres, wo es eine schillernde Kuppel über allem schuf, was ihr wichtig war. Die Farben im Stab waren vollkommen. Sie erstrahlten in vollem Glanz wie ein leuchtender Regenbogen.

Vielleicht waren Liebe, Freundschaft, Offenheit und Bewunderung eher die Gaben der Unendlichkeit, die es brauchte, um Sicherheit zu schaffen. Tamina wusste, das Königreich hatte nun alles, was es brauchte.

Sie war endlich frei für ihre Zukunft.

Wunder aus dem Sternenmeer - Die kleine MeerjungfrauWo Geschichten leben. Entdecke jetzt