März 2005

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Shouta war im Nebel und der Nebel machte ihm Angst. Darin waren nasser, kalter Asphalt und Sirenen. Und Schmerzen. Unvorstellbare Schmerzen.

Im Nebel gab es Monster. Sie waren gesichtslose Kreaturen. Ihre Hände waren überall an ihm, und er konnte ihre Stimmen nicht verstehen.

Shouta schlief, aber er schlief nie wirklich. Träume und Nebel gingen nahtlos ineinander über. Meist wusste er nicht, ob er wach war, und wenn er wach war, wollte er schlafen.

Er wollte Kevin suchen. Wo war Kevin? Er musste Kevin suchen. Er musste wissen, wo Kevin war. Er musste jetzt sofort aufstehen und Kevin finden. Irgendetwas war passiert. Irgendetwas war mit Kevin passiert. Vielleicht war Kevin auch im Nebel. Oder er war im Regen. Denn wenn Shouta an Kevin dachte, regnete es. Doch jedes Mal, wenn er aufstehen wollte, übermannte ihn die Müdigkeit und er konnte sich nicht mehr bewegen. Das war der Fluch des Nebels.

Es war nie still im Nebel. Es piepste schrill, es schepperte metallisch, die Monster brüllten durcheinander. Manchmal weinten sie auch. Sie rannten vorbei. Mal leise, mal laut und polternd. Sie schüttelten sein Bett und dann explodierten die Schmerzen. Shouta wollte schreien, aber er konnte nicht, es kostete zu viel Kraft. Er konnte nur daliegen, während die Monster ihm weh taten.

Am schlimmsten war, dass Andrej hier war. Er trat ans Fußende seines Bettes, wenn niemand da war, und lächelte. Andrej lächelte, weil er wusste, dass Shouta ihm nicht entkommen konnte. Nicht einmal hier. Nirgendwo. Niemals.


Irgendwann schlief Shouta doch ein, und er wusste, dass er schlief.


Als Shouta erwachte, lichtete sich zum ersten Mal der Nebel und er konnte sehen. Es war blendend hell. Er musste blinzeln. Weiße Decke. Weiße Wände. Rechts von ihm ein Fenster und Dinger, und vor ihm eine offene Schiebetür, die auf einen Flur führte. Auch weiß. Shouta schloss die Augen wieder. Er war nicht zuhause, aber er war auch nicht bei Andrej. Irgendwo anders.

Es klapperte zu seiner Rechten. Es dauerte hundert Jahre, den Kopf zur Seite zu drehen und hinzusehen, und es tat weh.

Rechts von seinem Bett stand eine Frau. Sie war jünger als Sarnai, hatte das lange, blonde Haar zu einem geflochtenen Zopf zurückgebunden und trug eine blaue Uniform. Sie wechselte große Spritzen an einem Gerät aus, das Shouta nicht recht erkennen konnte. Seine Sicht war verschwommen, wie durch Milchglas.

„Bin ich im Krankenhaus?", fragte er heiser. Seine Stimme war leise und klang kaum nach ihm selbst.

Die Frau blickte überrascht auf.

„Ja", sagte sie und dann noch etwas, was er nicht verstand.

„Was?", fragte er nach.

„Du bist im Krankenhaus. Wie geht es dir?", wiederholte sie.

Shouta überlegte.

„Ich weiß es nicht."

Sie erwiderte etwas, aber er verstand wieder nichts. Er war so müde und alles kostete so unendlich viel Kraft. Der Nebel kam wieder. Er kroch durch die geöffnete Tür ins Zimmer und hinein in Shoutas Gedanken. Der Nebel erstickte ihn. Shouta fror. Unter ihm der Asphalt. Kalt und nass. Es gab nur noch Schmerzen. Die ganze Welt war Schmerzen. Eine helle Jungenstimme schrie und schrie und schrie.

„Kevin!"

Shouta versuchte sich aufzurichten, doch der Schwindel zwang ihn zurück ins Kissen.

„Was?", fragte die Frau.

„Wo ist Kevin?"

Als das – was auch immer das war – passiert war, war Kevin bei ihm gewesen. Sie waren zusammen gewesen. Sie hatten miteinander gesprochen. Draußen. Regen. Oder? Cola mit Wodka. Shouta wurde schlecht.

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