3. Dezember

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AU -  Was sind wir wirklich?


Bei leichtem Schneefall betritt Louis den Stall. Harry kommt heute etwas später, weshalb er sich alleine zu den Pferden begibt. „Wie siehst du denn schon wieder aus?", fragt er den Schimmel. Kopfschüttelnd holt Louis seinen Putzkasten, vielleicht schafft er es, bevor Harry da ist, sein Pferd wieder schneeweiß zu bekommen. Harrys schwarze Stute ist natürlich nicht so schrecklich dreckig, weshalb Louis sich echt beeilen muss, um fertig zu werden.

„Du hast ja schon angefangen.", begrüßt Harry seinen Freund, als er die Box neben Louis betritt. „Dir auch einen schönen ersten Advent, Darling. Wie geht es dir?" Überrascht schaut Harry zu Louis, verlässt die Box seiner Stute und geht in die des Schimmels, wo er Louis in eine feste Umarmung zieht. „Was ist los?" Der Angesprochene ist sich selbst nicht so ganz sicher, warum er plötzlich so genervt ist, eigentlich ist er gut gelaunt aufgestanden und freut sich auf den Ausritt mit seinem Freund, bevor sie am Abend bei dessen Eltern zum Essen eingeladen sind. „Eigentlich nichts. Es tut mir leid." murmelt der Kleinere. „Das muss es nicht. Du musst dich nicht dafür entschuldigen, dass du nicht gut gelaunt bist. Was hältst du davon, wenn wir zu Ende putzen und dann ausreiten gehen. Es schneit mittlerweile dicke Flocken und eine Schneeschicht bedeckt den Boden." Mit einem Brummen stimmt Louis zu und wendet sich wieder seinem Pferd zu.

Nach etwa 15 Minuten sind die Pferde geputzt, getrenst und bereit für den Ausritt. Als Louis und Harry den Stall verlassen, werden sie von dicken Schneeflocken begrüßt. „Du solltest dein Pferd heute besser nicht loslassen, sonst finden wir ihn im Schnee nie wieder." „Dann muss ich wohl alleine ausreiten, weil du nicht ohne meine Hilfe aufs Pferd kommst." Damit zieht Louis Harry gerne auf, denn dieser ist etwas größer als Louis und die Rappenstute ist etwas kleiner als der Schimmel, der im dichten Schneefall tatsächlich kaum zu erkennen ist. „Dann geh doch alleine, dann fahre ich nach Hause." „Red nicht so viel und setz einfach deinen Helm auf!" Sofort kommt Harry der Aufforderung nach, er möchte schließlich nicht riskieren, dass Louis ihm wirklich nicht aufs Pferd hilft und er zu Fuß nebenhergehen muss. Elegant springt Louis auf den Schimmel und folgt der schwarzen Stute durch den Schnee in Richtung Wald, wo sie vorsichtig nebeneinander her reiten.

„Es tut mir leid wegen vorhin. Ich weiß wirklich nicht, was los war. Wahrscheinlich lag es daran, dass dieses Wesen komplett dreckig war und ich zu dem Zeitpunkt schon eine halbe Stunde geputzt habe. Außerdem weiß ich noch nicht so ganz, was ich davon halten soll, dass ich heute Abend bei deinen Eltern eingeladen bin." Auch Harry weiß nicht, was er davon halten soll. Seine Eltern haben ihm nur gesagt, dass er Louis zum Adventsabendessen einladen soll.
Außerhalb vom Stall haben sie sich noch nicht so oft gesehen, eigentlich nur, wenn es wieder Chaos bei der Bahn gab und Louis einen riesigen Umweg von der Uni nach Hause nehmen musste. Kennen tun die Zwei sich seit sie sieben sind, mittlerweile also seit 14 Jahren, ihre Eltern kennen sich aus der Zeit, als sie noch in den Stall gefahren wurden und ungefähr so lange ist es her, dass Louis zuletzt Harrys Eltern gesehen hat, bei Harry ist es etwas länger her, doch das macht keinen wirklichen Unterschied. So richtig offiziell zusammen sind sie auch nicht, eigentlich haben sie auch noch nie über ihre Gefühle geredet, es denken nur alle anderen, dass sie zusammen sind, so auch ihre Eltern. Jede Art von Protest hat eher das Gegenteil ausgelöst, weshalb weder Harry noch Louis noch eine Idee haben, wie sie das Problem lösen können.

„Wie gesagt, du musst dich nicht entschuldigen. Und was meine Eltern betrifft, eigentlich kennst du sie ja schon und sie dich auch. Was sie von uns erwarten, weiß ich nicht.", erklärt Harry.
„Wir reden immer über so viel, aber ich habe, glaube ich, nie gefragt, was du davon hältst, dass alle denken, wir wären zusammen." Louis versucht seine Worte mit Vorsicht zu untermalen, weil er nicht weiß, wie Harry reagiert und sich selbst nicht sicher ist, was für eine Antwort er sich wünscht.
„Ich weiß es gar nicht so genau. Es ist ein wenig traurig, dass uns niemand glaubt, dass wir nicht zusammen sind, weil ich keine Ahnung habe, wie man das Problem lösen kann, aber mich stört es auch nicht wirklich, weil wir die Wahrheit kennen. Es würde mich auch nicht stören, wenn sie recht hätten." Der letzte Satz ist eher ein leises Murmeln, doch Louis hat jedes Wort verstanden. „Wie siehst du das?", hängt Harry die Gegenfrage an.
„Ich sehe das so wie du, alles. Mich stört es, dass uns niemand glaubt, was mich auch das ein oder andere Mal hat zweifeln lassen, ob wir die Wahrheit erzählen.", gesteht Louis.
„Aber wir erzählen doch die Wahrheit, oder?" Harry stellt die Frage eher so, als würde er nach einer Bestätigung suchen, weil er sich selbst nicht mehr sicher ist.
„Das dachte ich zumindest immer."
„Wir sind uns aber immer noch einig, dass wir das gleiche fühlen?"
„Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass du mir alles bedeutest, du bist die wichtigste Person in meinem Leben. Den anderen im Stall würde ich nicht so sehr vertrauen. Und bei dir fühle ich mich wohl, du warst die erste Person nach über 5 Jahren wieder umarmen durfte und bisher bist du die einzige Person, bei der ich das zulasse, obwohl das schon wieder zwei Jahre her ist." Louis versucht all seine Gefühle in der Antwort zu erläutern, doch er weiß selbst, dass es nicht unbedingt eine passende Antwort auf Harrys Frage ist.
„So sehe ich das eigentlich auch, nur dass ich gerne Menschen umarme und das war schon immer so."
Louis nickt, das ist nichts Neues.
„Und was machen wir dann heute Abend bei deinen Eltern?"
„Ihnen etwas vorspielen, das nicht ist. Uns etwas vorspielen, was wir vielleicht sind oder eigentlich eher nicht. Oder wir versuchen gemeinsam ihnen zu erklären, was wir sind."
„Also spielen wir etwas vor. Das gemeinsame Erklären funktioniert doch sowieso nicht. Dann spielen wir ihnen lieber etwas vor, dann haben wir vermutlich schneller unsere Ruhe." Louis spricht aus, was sie beide denken.

Irritiert schaut Harry auf, seine rabenschwarze Stute ist einfach stehen geblieben, das tut sie sonst nur, wenn sie auf ihrer Waldlichtung am Teich angekommen sind.
„Wie sind wir den hier angekommen?", fragt er und dreht sich zu Louis um, der nur mit den Schultern zuckt.

Vorsichtig und dennoch elegant schwingt Louis sich vom Pferd, Harry tut es ihm gleich. Gemeinsam setzen sie sich auf den umgekippten Baum, der am Seeufer liegt. Sofort landet Harrys Kopf auf Louis' Schulter und Louis' Hand auf Harrys Knie, es ist wie immer, mit der Ausnahme, dass es diesmal schneit.
„Wenn ich uns so ansehe, ist es kein großes Wunder, dass alle denken, wir wären zusammen.", murmelt der Größere leise.
„Aber es fühlt sich richtig an.", widerspricht Louis.
„Ich habe auch nie das Gegenteil behauptet.", schmunzelt Harry.
„Seien wir ehrlich, wir sind nur nie weitergegangen als Freundschaft, weil wir Angst haben, was passiert, wenn es nicht mehr funktioniert."
„Weil wir dann alleine dastehen würden und keine richtigen Freunde hätten. Außerdem wüssten wir nicht, wie wir im Stall miteinander umgehen sollten.", beendet Harry Louis' Aussage.
„Alleine, dass du meine Sätze so beenden kannst..." Louis spricht den Satz nicht zu Ende und auch Harry greift ihn nicht auf, denn an dieser Stelle wäre es unangebracht.

Vorsichtig greift Harry nach Louis' Hand, die immer noch auf seinem Knie ruht. „Was sind wir?", fragt er mindestens genauso vorsichtig. „Lass es uns gemeinsam herausfinden. Schritt für Schritt.", schlägt Louis vor. „Okay.", stimmt Harry zu.

Nach kurzer Zeit machen sie sich auf den Rückweg, es ist bereits Nachmittag als sie am Stall ankommen, die Pferde zurückstellen und dann gemeinsam zu ihren Autos gehen. „Ich schreibe dir nachher, wenn ich losfahre, damit du Bescheid weißt, wann ich ungefähr da bin." „Okay, ich schreibe dir gleich die Adresse. Schaffst du es bis 18 Uhr? Dann können wir vorher noch reden?" „Natürlich, so lange werde ich schon nicht zu dir brauchen. Muss ich irgendwas mitbringen?" „Eigentlich nicht.", antwortet Harry. „Okay, dann bis später." Mit diesen Worten verabschiedet Louis sich, umarmt Harry noch einmal und steigt dann in sein Auto.

Pünktlich um 18 Uhr parkt Louis vor Harrys Haustür. Es ist zwischenzeitlich echt knapp geworden zeitlich, weil das Badezimmer natürlich besetzt war, als er duschen wollte, aber immerhin ist er pünktlich, ordentlich angezogen und hat die kleinen Geschenke dabei. Sogar seine Schlafsachen hat er dabei, falls es am Abend zu spät wird, darüber hatten sie in den vergangenen Tagen gesprochen, bevor sie sich auf diese merkwürdige Beziehung geeinigt haben.

Harry öffnet die Haustür und führt Louis geschickt in sein Zimmer, ohne dass seine Eltern mitbekommen, dass Louis da ist, denn sonst hätten sie keine Zeit zu zweit mehr. In Harrys Zimmer stellt Louis seine Tasche ab, legt die kleinen Geschenke auf den Schreibtisch und umarmt dann seinen Freund.

Das Abendessen verläuft entspannt, Louis erzählt ein wenig von sich und im Gegenzug erzählen Harrys Eltern Kindergeschichten von Harry. Fast sofort wird Louis zu Weihnachten eingeladen, doch darüber muss er natürlich erst mit seinen Eltern reden, die noch gar nicht wissen, dass Harry und er mittlerweile irgendwie wirklich zusammen sind. Insgesamt war der Abend sehr schön und noch viel schöner wird es, als Louis und Harry mit je einer Tasse Tee in Harrys Bett liegen und im sanften Licht der Lichterketten über den Abend reden.

Larry Adventskalender 2023Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt