Kapitel 23

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Seit unserem Streit, vor etwa sieben Stunden, liege ich in meinem Bett und schmolle an die Decke hoch. Von dem ganzen Tumlut habe ich völlig vergessen das Ms. Stanley gekündigt hat. Ich bin mir nicht sicher weshalb sie gekündigt hat, aber ich hoffe es hat nichts mit Tyler zutun, sonst gibt es einen weiteren Grund ihn anzuschreien und ich weiss nicht ob das positiv oder negativ ist. Wie ein Blitzesschlag fällt es mir wieder ein.
Ich muss endlich diese Kapsel öffnen, die ich seitdem Tauchgang mit Hina ganz weit hinten in meinem Schrank versteckt habe.
Ich rapple mich von meinem Bett hoch und krame das Ding hervor, das mir vielleicht die Warheit bringen wird. Ich fahre langsam die metalligen Konturen nach und betrachte jedes einzelne Gewinde dass sich um diese Glaskuppel kringelt.
Vorsichtig öffne ich den Deckel und lege ihn neben mich auf den Boden.
Als ich das Innere auf den Boden leere rollt eine Tiki Figur vor mich hin. Kanaloa. Aber das ist doch der gleiche Gott der mir Nick tattowiert hat. Der Gott des Todes, der Dunkelheit und des Ozeans. Was geschieht hier? Was verbindet das alles miteinander? Was hat das zu bedeuten?
Ich schiebe die Kapsel unter mein Bett und betrachte Kanaloa näher. Die Schnitzerei ist fein eingearbeitet und sieht ziemlich antik aus, wie eine Figur vor 200 Jahren.
Ich muss unbedingt zu Nick. Er weiss bestimmt was das alles auf sich hat, weil sein Grossvater doch einer der ältesten Hawaiianer ist und sein Vater der bekannteste Tättowierer Hawaii's.

Ich schnappe mir mein Fahrrad und düse fort zum Surf Shop, wo Nick arbeitet. Ich komme gerade noch rechtzeitig und erwische noch Nick wie er den Laden abschliesst. "Nicki!" Noch fest umschlungen mit dem Tiki in der Hand gehe ich auf ihn zu und lasse mich von ihm in die Arme schliessen. Weiss er etwa dass es mir beschissen wegen Tyler geht und ich hier bin wegen Kanaloa? Irgendwie denke ich nicht, also zumindest nicht von dem Streit mit Tyler, denn ich habe ihm nichts von ihm erzählt.
Er stösst mich leicht von sich weg, damit ich ihm in die Augen schaue. Ich spüre wie sich seine nussbraunfarbenen Augen in mich hinein dringen und fühle mich plötzlich nackt, weil ich vor Nick keine Geheimnisse verbergen kann.
Vorsichtig strecke ich ihm meine Hand entgegen und öffne meine geballte Faust. Als Nick das Holz erblickt schliesst er sofort wieder meine Hand und tritt einen Schritt zurück. "Nicht hier." Er gibt mir das Zeichen ihm zu folgen, was ich natürlich tue. Sein gut geformter Körper lauft geschmeidig neben mir her und ich höre keine Geräusche bei seinen Schritten, als würde er schweben. Früher schleichte er sich oft an mich heran und erschreckte mich, bis ich endlich aufschrie und los heulte. Manchmal hasste ich ihn so sehr dass ich Palmen hochkletterte und ihm Kokosnüsse herunter warf, aber er war zu flink und weichte bei allen Angriffen aus.
Nach einer schweigsamen halben Stunde stehen wir vor einem hübsch gebauten Bungalow, das höchstwahrscheinlich seine Hütte ist. Vor dem Eingang bäumen sich geschnitzte Tiki, die ziemlich angsteinflössend wirken. Als Nick die Tür aufschliesst und das Licht anmacht, sieht es aus als wäre ich Nicks Herzen, denn alles ist am richtigen Ort und alles passt perfekt zusammen. Einige Tiki Masken hängen an den Wänden, viele Pflanzen recken sich in die Höhe und der Duft von der Frangi Pangi Blume steigt mir in die Nase.
In einem angenehmen Schweigen setzt sich Nick mir gegenüber hin und atmet tief durch.
"Mia, kennst du die Geschichte von Kanaloa?" Stumm schlüttle ich meinen Kopf und senke meinen Blick. "Kanaloa ist der Meeres Gott der mit anderen Götter die Welt schuf. Er wollte das der ganze Erdball voller Wasser ist, ohne Land, damit sein Volk, die Meerestiere, die Macht beherrscht. Er wurde besessen von dieser Vorstellung und lehnte sich gegen die anderen Götter auf, aber er schaffte es nicht. Sie verbannten ihn an einen Ort voller Dunkelheit und Tod, dem Meeresgrund. Er ist aber nicht nur ein schlechter Gott, sondern sorgt für sein Volk und seine Familie.
Bei uns wird dieser Tiki übergeben wenn man jemand aus dem Volk stossen möchte und ihn verbannt. Aber es ist auch ein Zeichen das der Tod in der Nähe ist oder Gefahr lauert." Ich bin sprachlos. Warum ich? "Nick, was hat das zu bedeuten?" Er sieht niedergeschlagen aus. "Es kann aber auch sein dass du Kanaloa's Nachfolger bist. Ich weiss echt nicht was das mit dir zu tun hat, aber bitte pass auf dich auf, Mia."
Das ist alles zu viel für mich. Der Streit zwischen mir und Tyler, Kanaloa und was sonst noch alles mit mir passiert.
Seit dem Tag an dem ich Tyler kennenlernte, fügen sich die Dinge anders als zuvor. Mein Herz pulsiert irgendwie schneller, meine Gefühle sind ein reinstes Chaos und irgendwie spüre ich das Meer anders als sonst, es ist viel näher und lebendiger.

"Kann ich hier bleiben für eine Nacht? Ich brauche Zeit." Frage ich erschöpft. "Natürlich bleib so lange du willst." Nick ist so fürsorglich und bietet mir sein Bett an. "Es macht mir nichts aus mit meinem Bruder im Bett zu liegen." Kommt leise aus mir hervor. Er zeigt mir sein süssestes Lächeln das ich vermisst habe und führt mich in sein Zimmer. Er bietet mir höflich seine Kleidung an, dreht sich selbstverständlich auch um als ich mich umziehe und rutscht im Bett ganz an die Kante, damit er mir nicht zu nahe kommt. Irgendwie komisch wie distanziert er sich benimmt. Wahrscheinlich braucht er Zeit, bis er sich wieder an mich gewöhnt und wir wieder wie früher rumalbern können.
Ohne Angst wandere ich zur Traumwelt hinüber und begrüsse meine Fantasien.

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