Aussage

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ALISHA
Mein Handydisplay zeigte 02:24 Uhr als ich meine Füße aus dem Bett schwang.
Ich hatte die letzten Stunden keinen Schlaf gefunden. Meine Gedanken kamen einfach nicht zur Ruhe. Wäre ich nicht Alisha White, sondern jemand anderes, hätte ich mich Jack anvertraut, aber ich machte immer alles mit mir selber aus.
So ging ich zu meinem Kleiderschrank und schon einen Stapel Pullover zur Seite. Dahinter kam eine Schachtel zum Vorschein. Als ich sie aus dem Schrank zog, wirbelte ich Staub auf.
Wie lange es her war, dass ich mir den Inhalt zuletzt angesehen hatte!
Ein Aktenordner und ein paar alte Bilder; mehr war nicht in der Kiste. Den Ordner nahm ich heraus und schlug ihn auf.

Berichte im Fall Steven J. Weaver

Angaben zum Angeklagten:
geboren am 25. November 1981;
Kampftaucher bei der NAVI;
keine Familie

Anklage:
Vergewaltigung an Mary N. Farrar;
Körperverletzung

Ich blickte auf und war in Gedanken wieder 20 Jahre alt. Gerade hatte ich bei der NAVI angefangen und dann waren die Dinge passiert, die nie hätten passieren dürfen.
Und ich hatte es geschehen lassen und alles nur schlimmer gemacht. Mein Blick wanderte nach unten zu dem letzten Absatz.

Kim Deepwater und Kara Lewis können als Zeugen die Schuld des Angeklagten bestätigen. Ihre Aussagen haben sie bereits zu Protokoll gegeben und ihre Wahrheit mit einer Unterschrift besiegelt. Die Prüfverfahren laufen noch, aber die Richtigkeit ihrer Aussagen ist zu fast 100 Prozent bestätigt.

Das Problem hierbei war, dass dies eben nicht der Wahrheit entsprach. Wir hatten gelogen; wir hatten Falschaussagen gemacht. Warum? Das fragte ich mich manchmal selber.
Steven war ein Idiot und er hatte Frauen belästigt, aber Mary hatte er nichts angetan. Dafür war jemand anderes verantwortlich.
Weil jeder dachte, sie hätten den Täter, waren sie verfahren eingestellt worden.
Und so lief der wahre Täter immer noch irgendwo hier herum. Unwillkürlich sah ich mich in meinem Zimmer um.
Seit wann war ich so paranoid geworden?
Wieder einmal hatte sich meine Vergangenheit in mein Leben geschlichen; und ich konnte nichts dagegen tun.
Die Schachtel packte ich wieder in den Schrank zurück und legte mich anschließend wieder ins Bett, doch an Schlaf war nicht mehr zu denken.

Als ich um sechs Uhr schließlich zu meiner Joggingrunde aufbrach, sah ich schlimm aus. Ich hatte kaum geschlafen. Als meine Füße dann gleichmäßig auf den Asphalt trommelten, war ich nicht bei der Sache. Immer wenn wir vereinzelt jemand begegnete, zuckte ich leicht zusammen. Dieser Jemand, der in meinem Zimmer war, hatte sein Ziel erreicht: Ich hatte Angst davor, ihm oder ihr zu begegnen. Ich konnte nicht mehr allein sein, ohne dass meine Paranoia alles überlagerte! Ich lasse mich nicht unterkriegen, dachte ich und joggte ich noch eine Extrarunde, bis zwischen den Atemzügen kein Platz mehr für Gedanken war.

Jack und Alisha (Jacklisha) Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt