Kapitel 8

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Die weiße Kätzin blickte Sonnenglanz unverwandt an. Ihre grünen Augen schienen Funken zu sprühen, die Sonnenglanz den Pelz versengten. Ihren Blick immer noch unverwandt auf sie gerichtet, sprach Wolke: „Ich gebe dir zwei Möglichkeiten: Entweder, du bleibst bei und, dann soll für dich gesorgt sein, oder" Ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, „du stirbst"

Entsetzt starrte Sonnenglanz die Kätzin an. Die Art, wie diese sie direkt mit der Auswahl konfrontierte, überrumpelte sie. Doch was hatte sie denn von gesetzlosen Streunern erwartet? Das jemand kommt und sagt: Komm, geh, wir haben dich verwechselt, tut uns echt leid, möge der SternenClan mit dir sein? Sonnenglanz schnaubte innerlich bei ihrem naiven Wunschdenken.

„Ich gebe dir bis morgen Zeit", riss Wolke sie aus ihren wirbelnden Gedanken. Dann tappte sie davon und die Wache positionierte sich wieder am Eingang.

Sonnenglanz begann, unruhig auf und ab zu tigern, soweit dies in der kleinen Höhle möglich war. Natürlich wäre es viel schlauer, sich einfach dafür zu entscheiden, bei den Katzen zu bleiben, statt sich umbringen zu lassen. Letzteres würde nämlich niemand mehr zu Nutzen kommen. Doch Sonnenglanz beschlich das ungute Gefühl, dass genauso wenig Sinn machen würde, bei gesetzlosen Streunern zu bleiben. Schließlich würde es das Gesetz der Krieger und alles, wonach sie ihr bisheriges Leben gerichtet hat, zerschlagen.

Oder waren diese Katzen doch nicht so schlimm, wie auf dem ersten Blick? Schließlich schienen sie alle zusammenzuleben und sich sogar die Beute zu teilen. Sonnenglanz spürte, dass beide Entscheidungen falsch waren und das regte sie noch mehr auf. Sollte sie heute Nacht noch einen Fluchtversuch wagen? Doch wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass er gelang?

Oh, SternenClan, hilf mir!

Bereits jetzt vermisste Sonnenglanz ihren Clan fürchterlich. Was Waldmeisterblüte gerade wohl machte? Und ihre Schwester? Ob es ihnen gut ging? Sonnenglanz hoffte, dass keiner von ihnen sich in Gefahr begab, um sie zu finden. Gerade das würde Eisblüte sehr ähnlich sehen.

Mit einem Mal fielen Sonnenglanz wieder die Worte von Erdbeerherz wieder ein. Hatte Goldkralle wirklich ihre Mutter Schmetterlingsblüte umgebracht? Sonnenglanz wollte das nicht glauben. Doch was für einen Grund hätte die Heilerin gehabt, sie anzulügen? Andererseits, hätte Goldkralle einen Grund gehabt, Schmetterlingsblüte umzubringen?

Die ganze Nacht über wälzte sich Sonnenglanz im Nest herum. Die Gedanken schwirrten durch ihren Kopf und ließen sie einfach nicht zur Ruhe kommen. Die Wache am Eingang blieb die ganze Zeit an Ort und Stelle, ohne auch nur eine Spur von Müdigkeit zu zeigen. Dafür konnte Sonnenglanz die Augen nicht mehr offen halten und schlief letztendlich ein.

***

Ein warmer Sonnenstrahl kitzelte Sonnenganz an der Nase. Sie schlug die Augen auf, nur um zu bemerken, dass es bereits nach Sonnenaufgang war. Sie gähnte. Sie hatte das Gefühl, die ganze Nacht im Halbschlaf zugebracht zu haben.

Jeden Moment könnte Wolke kommen!

Sie hatte letzte Nacht endgültig ihre Entscheidung gefällt. In ihrem Inneren rumorte es unangenehm. Das Gefühl, etwas Falsches zu tun ließ sie nicht los, ihr Verstand versuchte ihr jedoch einzureden, dass es die einzige logische Lösung war. Wahrscheinlich war das eh der Trick der Sache: Wolke tat so, als hätte sie eine Wahl, obwohl sie keine hatte.

Sonnenglanz schnaubte. In diesem Moment trat Wolke in den kleinen Bau. Aufforderns blickte sie Sonnenglanz an, offenbar nicht in der Absicht, Worte an ihr sie zu verschwenden. Sonnenglanz richtete sich indessen so würdevoll wie möglich aufzurichten und miaute: „Ich bleibe" Nach dieser Antwort wäre sie sehnlichst wieder zurück in das Moosnest gesunken, zwang sich jedoch, stehen zu bleiben.

„Wie schön, dass du zur Vernunft gekommen bist und eingesehen hast, dass ein Leben hier weitaus besser ist als bei den Clans Himmel wird dich nachher hier herumführen", schnurrte Wolke mit geheuchelter Freundlichkeit, die in Sonnenglanz Übelkeiten hervorriefen und verschwand.

Ein wenig ratlos blieb Sonnenglanz zurück. Jetzt hatte sie sich endgültig entschieden. Es fühlte sich kein bisschen besser an. Gerne würde sie den beengten Bau verlassen, um ein wenig frische Luft zu schnuppern, aber Wolkes Worten nach zu urteilen sollte sie auf diese Katze namens „Himmel" warten.

Eine im Eingang auftauchende Gestalt lenket Sonnenglanz' Aufmerksamkeit zurück in die Realität. Es war der graue Kater, der gestern ihren Bau bewacht hatte. „Was machst du denn hier?!", entfuhr es Sonnenglanz.

„Ich sollte dich herumführen, hat Wolke gesagt", entgegnete der Kater. Sonnenglanz sah entsetzt auf. Dieser nervige Fellball von einer Katze soll sie herumführen?

Der graue Kater, wahrscheinlich Himmel, winkte sie mit seinem Schweif herbei: „Also, ich bin Himmel und ich werde dich jetzt durch dein neues zuhause führen, auch wenn ich den Sinn dahinter nicht verstehe, hier gibt's nämlich nicht viel zu sehen. Also, komm mit" Mit diesem Redeschwall sprang er davon.

Sonnenglanz hätte sich eigentlich ärgern sollen, dass er vorhin so mit ihr geredet hatte, als wäre sie begriffsstutzig. Doch als sie ebenfalls aus der Höhle sprang, stockte ihr der Atem. Nachdem sie sich blinzelnd an das helle Licht gewöhnt hatte, blickte sie sich überrascht um.

Staunend betrachtete sie ihre Umgebung. Als sei das erste Mal hier vorbeigelaufen war, war es bereits spät gewesen und sie hatte dementsprechend die Landschaft nicht genauer betrachten können.

Vor ihr erstreckte sich, soweit das Auge reichte, eine saftig grüne Wiese. Sanft wiegten sich die Grashalme im Wind und einige wenige Blumen ragten über der Wiese heraus. Leises Rascheln verriet ihr, dass hier überall Mäuse herumhuschten. Zuhause beim NebelClan hatte sie sich immer darüber geärgert, unter Bäumen jagen zu müssen, da die Wiesen sehr wenig Beute boten. Allerdings war im Wald immer etwas herabgefallen, das geraschelt und sie beim Jagen gestört hatte.

„Wo bleibst du denn?", ertönte eine ungeduldige Stimme. Seufzend wandte sich Sonnenglanz von der Landschaft ab, die sie aus einem unerklärlichen Grund faszinierte und folgte Himmel, der im Eingang einer weiteren Höhle stand. Es war dieselbe, aus der Wolke letztens herausgeschaut hatte.

Himmel sprang hinein und Sonnenglanz folgte ihm, in Erwartung eines weiteren, kleinen Baus. Stattdessen erstreckte sich eine Höhle, so groß wie das NebelClan Lager vor ihr. Reihum an den Wänden standen mehrere aus Ästen und Zweigen gefertigte Baue und in der Mitte der gewölbten Decke ließen einige kleine Löcher Sonnenlicht herein.

Der graue Kater winkte sie erneut zu sich und deutete auf den ersten Bau. „Also, das ist der Schülerbau. Schüler sind Jungkatzen, die erst noch ausgebildet werden müssen" Sonnenglanz wunderte sich, dass diese Streuner ebenfalls ein Ausbildungssystem für die jungen Katzen hatten, kam aber nicht dazu, weiterzufragen, denn Himmel war schon weiter gehopst und stand schon vor dem nächsten Bau.

„Hier schlafen die erwachsenen Katzen. Ich schätze mal, du kannst jagen und einige grundsätzliche Kampfzüge?" Sonnenglanz nickte und verkniff sich den Kommentar, dass sie mehr als nur einige grundlegende Kampfzüge konnte. Daraufhin miaute der graue Kater erfreut: „Dann können wir nachher gleich dein Nest hier einrichten!"

Sonnenglanz wurde bei dem Gedanken, mit haufenweise fremden Katzen in einem Bau zu schlafen, unwohl, doch Himmel sauste schon weiter zu einem kleinen Tunnel, der offenbar in eine weitere Höhle führte.

„Dahinter liegt die Kinderstube, dort ziehen die Kätzinnen ihre Jungen groß", erklärte er. Sonnenglanz warf einen kurzen Blick hinein, konnte jedoch nur das leise Fiepen von Jungen und einen leichten Milchgeruch ausmachen.

„Das war's eigentlich schon", verkündete Himmel, „Wolkes Bau lieht außerhalb dieser Höhle, aber das dürfte auch nicht so wichtig sein" Sonnenglanz ließ ihren Blick durch das „Lager" schweifen. Vom Aufbau her erinnerte es sie ziemlich an ein Clanlager, bis ihr auffiel, dass der Heiler- und Ältestenbau fehlten.

Ein unsanfter Aufprall riss sie aus ihren Gedanken. Gerade wollte sie Himmel anschnauzen, als sie die kleine, cremefarbene Kätzin bemerkte, die offenbar in sie hineingerannt war. Diese setzte sich gerade wieder auf und murmelte ein: „Entschuldigung" Sie stockte und miaute dann: „Bist du die Neue? Willkommen bei den Wolken-Katzen!"


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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 15, 2023 ⏰

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