31. Noah

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 Es konnte nie alles gut laufen. Es gab immer Baustellen im Leben... erst die eine, dann die andere und dann kommen immer und immer mehr Baustellen dazu, bis irgendwann alles zugesperrt und unzugänglich ist. Dann hatte ich immer das Gefühl, stehen zu bleiben und nicht weiter zu kommen, während alles andere um mich herum einen Weg fand. Alles zog an mir vorbei, sodass ich irgendwann in einer völlig anderen Welt lebte, als all die anderen Menschen. Normalerweise waren mir diese Menschen egal. Diese Kuppel in mir schloss mich immer von ihnen weg und ich konzentrierte mich einfach darauf, dass sie es nicht auch noch von Colin tat. Denn wenn das passieren würde, war ich alleine. Dann hatte ich nicht mal mehr mich selbst, denn kein Mensch ließ mich so viel empfinden, wie er. War er nicht da, waren es die Gefühle in mir auch nicht mehr und dann war ich bloß noch eine leere Hülle meines selbst. Ich wusste, dass es nicht die ganze Wahrheit war, dass ich alles hoffnungsloser und drastischer sah, als es war und dass ich an mir arbeiten konnte, aber manchmal fühlte es sich eben so an. Und es ist so verdammt einfach, sich von all den negativen, dunklen Mächten in einen herunterziehen zu lassen.

„Woran denkst du gerade?"

Ich lächelte leicht auf und sah ihn an. „Das ist deine Lieblings Frage oder?" Wir saßen gerade auf dem alten Holzstamm am See, mit jeder Sekunde wurde es dunkler und kälter, aber die Ruhe hier und diese reine Natur war es wert.

„Und Ablenkung deine Lieblings Antwort auf diese Frage?" Nicht schlecht. Er hatte mich durchschaut. „Ich weiß, dass ich dich durchschaut habe."

Ich ließ meinen Kopf kurz auf seine Schulter sinken und atmete tief durch.

„Ich möchte nur wissen, wie es dir ehrlich geht und was zwischen dir und deinen Eltern passiert ist. Denn es beschäftigt dich offensichtlich sehr", flüsterte er mir sanft zu und ich wusste, dass er es nur gut meinte. Ich fühlte mich auch nicht unter Druck gesetzt, es fiel mir nur einfach schwer, darüber zu sprechen.

„Ich weiß", hauchte ich zurück. „Aber wenn ich über meine Eltern spreche, dann muss ich bewusst über sie nachdenken und das will ich nicht."

„Lass es raus, Noah. Sprich es aus, lass mir dir helfen." Er legte einen Arm um mich und hielt mich fest an ihn. Und ich, ich ließ mich in seinen Arm fallen und spürte, dass er mich auffing.

„Wir hatten Streit. Ziemlich großen." Ich gab ein bitteres Lachen von mir, als ich daran zurück dachte. „Ich hatte mich mit zwei Freunden getroffen, mit denen ich damals viel Zeit verbracht hatte. Das passte meinen Eltern nicht, weil sie der Meinung sind, dass sie es waren, die mich auf die Idee mit der Kunst gebracht haben und dann... ich habe ihnen klar gemacht, dass ich das alles nicht will: die Arztpraxis, das Medizinstudium, alles."

„Noah, das ist so mutig von dir."

„Aber sie sind so enttäuscht!", sagte ich schnell. „Und obwohl ich mehr als deutlich war und sie es für einen Moment wirklich zu begriffen schienen, haben sie am nächsten Tag so getan, als wäre nichts von all dem geschehen. Mein Vater hat mich zurück zum Internat gefahren und das war's." Ich richtete mich wieder etwas mehr auf und sah auf das Wasser. „Ich bin nicht gut genug. Nicht für meine Eltern."

„Hey, Noah. Schau mich mal an." Sein Ton wurde ernster, war aber noch immer voller Trost. „Ich verstehe, dass dir nicht egal ist, was deine Eltern über dich denken. Aber so wie sie sich verhalten, verhalten sich keine wirklichen Eltern und deshalb sollte es dich nicht kümmern, welche Meinung sie von dir haben. Sie ignorieren eindeutig deine wirklichen Seiten und behandeln dich wie einen Menschen, der du nicht bist." Er machte eine kurze Pause. „Sie sehen dich nicht."

„Ich weiß", sagte ich und spürte, wie die Kraft meine Stimme verließ. „Aber es ändert nichts an all dem. Weißt du, ich kann meinen Weg nicht alleine gehen. Ich kann nicht so tun, als würden sie nicht existieren oder als würden sie hinter meiner Entscheidung stehen, wenn sie es doch eigentlich nicht tuen."

||nolin|| zarte kontrasteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt