Nicht mal 45 Minuten später klettert Lukas wieder durchs Fenster in ihr Zimmer: „Ich hab dir Sushi mitgebracht." „Woher weißt du, dass ich Sushi mag?", in der Zwischenzeit war Mila duschen und bürstet sich gerade ihre noch nassen Haare. Er zwinkert ihr zu, als er das Essen auf dem Bett abstellt. „Es reicht doch, dass ich recht hab." Während sie essen, schauen sie eine Serie. Die Kopfschmerzen sind schon besser geworden durch die Tablette und Dusche.
„Warum verstehst du dich mit deiner Mutter eigentlich nicht?", er spielt mit einzelnen Haarsträhnen von ihr, als sie wieder mal an seine Brust gelehnt liegt. Eigentlich hat sie keine Lust darüber zu reden, aber sie beginnt trotzdem zu reden: „Als ich vor fünf Jahren das erste Mal in Therapie war, hat sie das runtergemacht und mich als Versagerin dargestellt. Sie war immer nur mit dem Besten vom Besten zufrieden. Das hat sich danach nie gelegt. Du hättest ihre Enttäuschung sehen müssen, als ich ihr gesagt habe, dass ich eine Ausbildung in der Pflege beginne. Für sie ist das unverständlich und das hat sie mich lange spüren lassen." Sie legt eine kurze Pause ein. Lukas hat zwischenzeitlich aufgehört, mit ihren Haaren zu spielen, sondern streichelt ihr nun über den Rücken mit seinen Fingerspitzen. „Sie hat mir immer vorgehalten, dass sie für mich wertvolle Jahre ihrer Karriere hat sausen lassen. Irgendwann hab ich es nicht mehr ertragen und dicht gemacht. Klar, sie ist meine Mutter, aber ihr Verhalten hat so viel kaputt gemacht", sie atmet einmal tief ein und aus „Wirst du mir erzählen, warum du es zuhause nicht aushältst?" Seine Finger hören auf, über ihren Rücken zu fahren. Das war einer zu viel. Sie hätte es nicht fragen sollen. Schritt für Schritt und nicht direkt los rennen. „Meine Eltern haben sich scheiden lassen, als ich 10 war oder so. Mein Vater hat meine Mutter geschlagen und sie hat es dann anschließend an mir ausgelassen. Es ist mit den Jahren weniger geworden, aber wenn sie trinkt, kommt es trotzdem noch manchmal vor. Sobald ich merke, dass sie etwas getrunken hat, hau ich ab", seine Stimme ist so viel ruhiger und zerbrechlicher als sonst. Wie es wohl für ihn gewesen sein muss, als sie ihn betrunken angerufen hat? Das darf auf jeden Fall nicht noch einmal vorkommen. „Das tut mir leid... ich hätte dich gestern nicht anrufen sollen." „Ich weiß lieber die Person in Sicherheit, als es mir hinterher vorwerfen zu müssen. Nur, weil meine Kindheit und Jugend so ablief, muss niemand anderes auf Alkohol verzichten." Sie kann den Schmerz in seiner Stimme hören und sie kann nicht anders, als tiefstes Mitleid mit ihm zu haben. „Warum hast du eigentlich angefangen zu klauen?", die Neugier ist so stark, dass sie nicht anders kann, als zu fragen. „Meine Mutter versäuft oft das ganze Geld. Ich hab immer nur geklaut, um Essen zuhause zu haben." Das sitzt richtig. Einige Minuten lang sagt keiner von beiden etwas. Stumm schauen sie die Serie. Seine Hand noch immer auf ihrem Rücken liegend. Würde er das nochmal machen? Oder hat er mittlerweile aus seinen Fehlern gelernt?
Trotz allem wünscht sich Mila, dass Lukas heute nochmal bei ihr schläft. Wenn er bei ihr ist, lenkt er sie ab. Sie weiß, dass sie sich dringend weiter damit beschäftigen muss, ob sie diese Ausbildung nun zu Ende bringt oder nicht. Die letzten Tage waren nur so schön ohne diese Gedanken.
„Kannst du heute Nacht wieder hier bleiben?", sie dreht ihr Gesicht hoch zu seinem. Er überlegt kurz: „Ich hab morgen wieder Frühschicht... ist das nicht blöd für dich?" „Ach, ich muss sowieso kurz danach aufstehen, um mich für die Schule fertig zu machen." Ihr Herz schlägt schneller und mittlerweile sollte sie sich Sorgen machen, dass das ungesund werden könnte. Gibt es tatsächlich Menschen, die sich in so kurzer Zeit verlieben können? Ist das überhaupt verliebt sein? Woran merkt man so etwas? Bisher fand sie die Typen immer nur gut und sobald sie sich nicht nach ein paar Stunden hin und her schreiben mit ihnen treffen wollte, war sie uninteressant für diejenigen geworden. „Ich bleib hier", er kneift ihr in die Wange, sodass sie lachen muss.
Den weiteren Tag verbringen sie damit, im Bett zu liegen und zu kuscheln. Zwischendurch klettern sie aufs Vordach, um eine Zigarette zu rauchen. „Ich muss gleich aber nochmal kurz weg." Wahrscheinlich will er sich neue Sachen holen. „Bringst du mir ein neues T-Shirt von dir mit?", das andere ist schließlich zur Zeit in der Wäsche, denkt sie sich im Anschluss. In ihrem Bauch geht gefühlt eine Explosion an Schmetterlingen los, als er ihr über die Wange streichelt, bevor er vom Dach runter in den Vorgarten springt.
Mila legt sich zurück ins Bett und schnappt sich ihr Handy. Auf Instagram und TikTok ist nicht viel Spannendes los, dennoch vertreibt sie sich erstmal damit die Zeit. Um morgen früh mit Clara zusammen zur Schule zu fahren, schreibt sie ihr. „Bin bei Jenni, fahr von hier", ist die Antwort. Sie versucht sich nicht rein zu steigern, aber hat trotzdem das Gefühl, als ob Clara sauer ist. Wäre natürlich verständlich, schließlich hat sie ohne ein Wort den Club verlassen und sich die ganze Nacht nicht mehr gemeldet. Dann fährt sie morgen alleine, das hat sie schon 100 Mal in den letzten Monaten gemacht. Jedes Mal, wenn Clara bei ihrer Freundin geschlafen hat.
Jenni wohnt ein Dorf weiter, von dem man nur mit einer anderen Buslinie aus zur Schule fahren kann. In dem Moment wird ihr klar, dass sie Lukas noch gar nicht gefragt hat, wo er wohnt. Es dürfte aber nicht allzu weit von ihr weg sein, denn er geht im selben Park und Wald joggen.
Sie bereitet für Morgen ihr Outfit und Schultasche vor, macht sich fertig fürs Bett und ist schon kurz davor einzuschlafen, als Lukas erneut durch ihr Fenster reinkommt. „Hey, schläfst du etwa schon fast?" „Ich warte eine halbe Ewigkeit, das macht müde", sie gähnt theatralisch hinter vorgehaltener Hand. Er wirft ihr etwas zu. Knapp fängt sie es noch auf. Es sind ein schwarzer Hoodie und ein weißes T-Shirt von ihm. „Danke", der Duft von frisch aufgetragenen Parfüm steigt ihr in die Nase „Dann schmeiß ich mein Outfit für morgen doch nochmal um."
Er wirft seine Tasche in eine Ecke. Fast schon zögerlich zieht er seine Jeans aus, als er vor dem Bett steht. Als sie sein Zögern bemerkt, steht sie auf, um die neuen Oberteile wegzulegen. Dabei kann er sehen, dass sie selbst nur ein langes Oberteil trägt und seine Haltung entspannt sich direkt. Er soll doch nicht in Jeans schlafen müssen.
„Sollen wir noch die Serie weiter gucken oder bist du zu müde?", er streckt wieder seinen Arm bereitwillig aus, damit sie sich bei ihm anlehnen kann. „Im schlimmsten Fall schlafe ich bei der Serie ein, lass uns ruhig noch weiter gucken." Mit tausend Schmetterlingen im Bauch platziert sie ihren Kopf wieder auf seiner Brust, die sich viel schneller hebt und senkt als heute Nachmittag. Vielleicht, weil er hier hochgeklettert ist. Nach weiteren Minuten hat sich seine Atmung nicht beruhigt. „Ist alles gut bei dir? Du atmest ziemlich schwer", besorgt setzt sie sich auf und schaut ihm prüfend ins Gesicht. Sie bekommt keine Antwort. Er starrt sie durchdringend an. Sollte sie Angst um ihn haben? Mila streckt eine Hand nach ihm aus und legt sie an seine Wange: „Lukas? Ist alles gut bei dir?"
Die nächsten paar Minuten kommen ihr vor wie in einem dieser typischen Teenie Filme, die man bei Netflix ohne Ende findet. Nachdem sie ihn nochmals angesprochen hat, haben sie sich für einen kurzen Moment nur angeschaut. Schließlich hat Lukas ihr Gesicht zwischen seine Hände genommen, sie mehr zu sich gezogen und noch einmal inne gehalten, bevor sie seine Lippen auf ihren gemerkt hat. Sie konnte sich nie vorstellen, mit wem sie ihren ersten Kuss haben würde oder wie sich sowas anfühlt. Aber sie ist sich sicher, dass das gerade jede Vorstellung übertreffen würde. In ihrem Kopf ist kein klarer Gedanke mehr vorhanden, ihr Herz hüpft fast aus ihrer Brust heraus und es würde sie nicht wundern, wenn sie etwas in der Luft schweben würde. So fühlt es sich zumindest an. Seine Lippen sind warm und ziemlich weich. Zwar gibt es niemanden, mit dem sie es vergleichen kann, trotzdem kann sie sich nicht vorstellen, jemals einen schöneren Kuss zu erleben. Seine Atmung geht immer noch merkbar schneller. Sie will nicht, dass es aufhört, weswegen sie ihre Arme um seinen Nacken legt und er sie daraufhin näher zu sich heranzieht. Letztendlich ist es Lukas, der sich als erstes von ihr löst. Stirn an Stirn müssen beide lächeln. Es ist absolut unrealistisch für sie, dass das gerade wirklich passiert ist. Mit einem Finger zeichnet sie seine Lippen nach. Sie scheinen sich wirklich geküsst zu haben. Ihr ist warm und sie glüht förmlich, bekommt dieses dumme Grinsen aber auch nicht aus ihrem Gesicht. „Ich hoffe, es war in Ordnung für dich", flüstert er. Hat er darüber wirklich nachgedacht? „War es..." Sie beugt sich zu ihm, um ihm einen Kuss zu geben. Kurz, aber es löst dasselbe Gefühl in ihr aus. Dass das etwas ist, woran sie sich gewöhnen könnte.
Gemeinsam schlafen sie Arm in Arm ein.
Als Mila am nächsten Morgen von ihrem Wecker wach wird, kommt Lukas in dem Moment mit nassen Haaren aus dem Bad. „Du hast so fest geschlafen, ich wollte dich nicht eher wecken", er hebt ihr Kinn an und küsst sie. Also war es kein Traum. Das ist anscheinend alles echt passiert. Nachdem er wieder ins Bad gegangen ist und sie den Föhn hört, lässt sie sich zurück in ihre Kissen fallen. Keine Ahnung, wie sie den Tag überstehen soll. Ist das für alle Menschen so ein krasses Ding oder übertreibt sie nur?
Mittlerweile ist sie selbst dabei, sich fertig zu machen und Lukas ist bereits gegangen. Sie zieht sein weißes T-Shirt mit einer schwarzen Jeans an. Simpel, aber hübsch. Während sie in der Küche Frühstück für die Schule zubereitet, kommt ihr Vater rein. „Guten Morgen, kommst du auch mal wieder aus deinem Zimmer?", er gibt ihr einen schnellen Kuss auf die Wange und fängt an, sich einen Kaffee zu machen. „Ich musste mich ausruhen", grinsend packt sie ihr Brot in ihre Tasche „Wir sehen uns, Dad." Zum Abschied winkt sie ihm zu und marschiert aus der Haustür. Es ist viel wärmer, als es aussieht. An der Bushaltestelle stehen einige Leute. Hoffentlich ist der Bus nicht von vornherein schon voll.
„Wilma ist auch wirklich jeden Tag gestresst, oder?", liest sie, als Lukas ihr schreibt. Auf der Fahrt zur Schule, bei der der Bus zum Glück nicht allzu voll ist, hört sie Musik und beobachtet die Umgebung durch das Fenster.
Sollte sie Clara gleich direkt davon erzählen? Würde sie überhaupt normal mit ihr sprechen? Solche Situationen hatten die beiden schon öfter, weil Clara schnell und oft eingeschnappt ist. Diesmal ist es natürlich verständlich, was nicht direkt bedeutet, den anderen ignorieren zu müssen.
Wie erwartet, steht Clara bereits vor dem Schulgebäude. Mila macht sich eine Zigarette an, als sie aus dem Bus steigt und geht auf ihre beste Freundin zu. Diese hebt nur eine Augenbraue. „Hey, können wir das bitte direkt klären, ohne unnötig lange sauer zu sein?" „Unnötig sauer?", Clara wirft ihre Haare über ihre Schulter „DU bist einfach abgehauen! Du hättest wenigstens etwas sagen können!" Bis es zur ersten Stunde klingelt, diskutieren die beiden nun darüber, ob Mila sich richtig verhalten hat oder nicht.
„Ich muss dir aber noch was ganz anderes erzählen", flüstert sie Clara zu, als sie in der Klasse Platz genommen haben und der Dozent mit dem Unterricht beginnt. In absoluter Kurzfassung und flüsternd berichtet sie ihr vom gestrigen Abend. „Und das erzählst du mir jetzt, wo ich nicht vor Freude über deinen ersten Kuss ausrasten darf?", Clara hält sich beide Hände vor den Mund und wackelt merkwürdig vor Freude auf ihrem Stuhl herum. Mila kaut auf ihrem Bleistift rum: „Ich war mir nicht sicher, ob du dich wirklich freuen wirst." „Natürlich freue ich mich! Ich war nur etwas enttäuscht darüber, dass du einfach gar nichts erzählt hast." So schnell wie das alles gegangen ist zwischen ihr und Lukas die letzte Woche, blieb auch kaum Zeit, um irgendwas zu erzählen.
Um 14 Uhr ertönt das erlösende Klingeln. „Denken Sie bitte daran, dass wir am 03. April eine Klausur zu allen bereits bearbeiteten Themen schreiben!", ruft Herr Hochtal den Schülern hinterher. Noch knapp anderthalb Wochen und das Thema liegt Mila sowieso. „Fahren wir zusammen nach Hause?", fragt Clara sie, als sie gemeinsam zur Bushaltestelle laufen. „Klar." Sie holt ihr Handy raus und ist etwas enttäuscht darüber, dass sie keine neue Nachricht von Lukas hat. Aber er ist auch noch arbeiten. Wilma wird ihn, jetzt wo die Azubis nicht mehr da sind, wahrscheinlich die ganze Drecksarbeit alleine machen lassen. Sollte sie ihm nochmal schreiben und fragen, was er heute so macht? Auf gar keinen Fall will sie wie eine Klette rüberkommen, aber wie verhält man sich dann?
Während der Busfahrt reden die zwei Freundinnen über die anstehende Klausur und wie froh sie darüber sind, dass sie nun erstmal jedes Wochenende frei haben.
„Wir sollten als Wiedergutmachung nochmal feiern gehen", schlägt Clara vor und Mila erinnert sich peinlich berührt an den Abend zurück. „Ja... mal sehen."
Zuhause angekommen, sind ihre Eltern noch arbeiten. Sie macht sich Toast und beginnt in ihrem Zimmer etwas zu lernen. Von Lukas hat sie bisher nichts gehört, dabei müsste er seit knapp einer Stunde Feierabend haben.
Als sie fast mit dem Lernen fertig ist, klingelt ihr Handy. „Hallo?", warum auch immer sie so fragend dran geht, wenn sie ganz genau weiß wer sie anruft. Lukas klingt erschöpft: „Was machst du? Hast du Lust auf Joggen oder kuscheln?" „Interessante Auswahlmöglichkeiten. So wie du dich anhörst, klingt das zweite nach der besseren Wahl." Keine 5 Sekunden später klopft es an ihrem Fenster. „Ich besitze auch eine Haustür", lacht sie, als sie ihm öffnet und er zu ihr rein klettert. Sofort drückt er sie an sich und stützt seinen Kopf auf ihrem ab. „Du hast heute auf der Arbeit gefehlt", stöhnt er und schmeißt sich anschließend auf ihr Bett. „Weshalb?" „Wilma! Wie kommst du mit ihr klar?" Sie fängt an, ihre Lernsachen zusammen zu packen und sich dann neben ihn zu legen. „Glaub mir, ich weiß es nicht. Irgendwann weißt du, wann was gemacht wird und musst weniger mit ihr reden, das macht es erträglicher." Seine Haare sind durcheinander und seine Augen starren sie müde an. „Willst du etwas schlafen?", Mila mustert ihn. Er schüttelt den Kopf: „Nein, nein. Ich hab aber Hunger, du auch?" Essen geht immer. „Bleib liegen, ich mach uns was", schon springt sie auf und verschwindet in Richtung Küche.
Gina ist ebenfalls dort, als sie die Küche betritt. „Hi", fängt Mila an, als sie sich ihr nähert „Kochst du gerade?" Gina dreht sich zu ihr um und wirkt überrascht sie zu sehen: „Ähm, ja, ich mach Lasagne. Willst du gleich was? Ich bring dir was, wenn sie fertig ist!" Ist das unverschämt, nach zwei Portionen zu fragen? „Lukas ist da...", beginnt sie ihren Satz, wird jedoch direkt unterbrochen. „Oh, ich bring ihm auch was", ihre Mutter hört auf, die Lasagne zu schichten „War er die Nacht über bei dir?" Das kann jetzt nur unangenehm werden. Hätte sie einfach nichts gesagt und etwas anderes zu Essen gemacht. Jetzt muss sie wohl dadurch. „Ja, war er." „Ist er dein Freund?" Ach du scheiße. Sie hat sich darauf eingestellt, dass es unangenehm wird, aber sie ist keine 12 Jahre alt mehr. Eigentlich geht es Gina nichts an. Es ist ihr Leben. Bevor sie antwortet, atmet sie tief ein und aus, um eine schnippische Antwort zu unterdrücken: „Wir sind Freunde, ja. Mir ging es gestern nur nicht besonders gut, deswegen ist er geblieben." Weniger saufen, dann geht es einem auch besser. Das wäre normalerweise eine typische Antwort gewesen, die Mila zu hören bekommen hätte. Stattdessen lächelt ihre Mutter sie mehr oder weniger ungezwungen an: „Das ist nett. Ich bring euch gleich das Essen, wenn es fertig ist." Auf dem Weg zurück zu ihrem Zimmer denkt sie darüber nach, wie es anscheinend auf andere wirken muss, dass sie so viel Zeit mit Lukas verbringt und er bei ihr schläft.
Er liegt schlafend im Bett, als sie die Tür öffnet. Bemüht, leise zu sein, holt sie nochmal ihr Schulbuch hervor und lernt noch ein wenig. Nebenbei schreibt sie mit Clara, die ebenfalls am Lernen ist. Die Klausur wird wahrscheinlich denkbar einfach werden, trotzdem ist es nicht verkehrt, sich auf das Schlimmste vorzubereiten.
Eine halbe Stunde später bringt Gina zwei Teller mit dampfender Lasagne rein. „Danke", Mila nimmt ihr das Essen ab und deutet mit ihrem Zeigefinger auf ihre Lippen, dass Gina leise sein soll. Diese nickt nur und verschwindet sofort wieder. Da sie weiß, dass Lukas Hunger hat, überlegt sie nun, ob sie ihn wecken soll oder nicht. Vorsichtig balanciert sie die Teller in ihrer Hand, während sie sich aufs Bett setzt. In dem Moment macht er auch schon seine Augen auf und grinst, als er das Essen sieht: „Du hast jetzt nicht extra gekocht, oder?" Ihr gefällt es, wie verschlafen seine Stimme klingt. „Nein", sie schüttelt den Kopf und reicht ihm einen Teller, als er sich aufsetzt „Gina war sowieso dabei, als ich in die Küche gegangen bin."
Gegen Abend will Lukas sich auf den Weg nach Hause machen. „Schlaf nachher gut", er küsst sie. Erst auf den Mund, dann auf die Stirn. Milas Knie werden weich. „Schreib mir, wenn du zuhause angekommen bist." Obwohl er schon längst weg ist, starrt sie aus dem Fenster, dorthin, wo er Minuten vorher rausgeklettert ist.
Sie macht sich fertig fürs Bett und hängt am Handy rum. Nach einer Stunde hat sie immer noch nichts von ihm gehört. Also schreibt sie ihm: „Alles ok?" 15 Minuten später. Keine Antwort. Langsam fängt sie an, sich Sorgen zu machen. Es war schon dunkel, als er gegangen ist. Bevor sie irgendwelche Dummheiten macht, versucht sie ihn anzurufen. Mehrfach. Er geht nicht dran. Zweifelnd, ob das eine gute Idee ist, zieht sie sich wieder um und klettert raus. Sie beginnt zu joggen. Zwischendurch versucht sie ihn immer mal wieder zu erreichen. Keine Chance. Plötzlich bleibt sie stehen. Was macht sie da überhaupt? Rennt sie wegen eines Typen Abends durch die Dunkelheit, nur weil er ihr nicht antwortet? Fast schon bemitleidenswert muss sie über sich selbst lachen. Zurück nach Hause will sie aber auch nicht. Das erste Mal, dass sie sich bewusst umschaut, wo sie mittlerweile gelandet ist. Sie ist im Wald, in der Nähe von der Hütte, wo sie mit Lukas im Regen Unterschlupf gesucht hat. In dem Fenster erkennt man ein Licht leuchten. Dort wohnt offensichtlich wirklich jemand. Gut, dass die beiden nicht erwischt wurden.
Es wird kalt, also beginnt sie zurück zur Straße zu joggen. Knapp, bevor sie den Waldboden verlässt, bleibt sie an einem Ast hängen und fällt hin. Ihre Leggings ist am Knie aufgerissen und es blutet leicht. Dafür schmerzt ihr linker Knöchel umso mehr. Sie stemmt sich hoch und versucht aufzutreten. Es geht, aber bei jedem Schritt durchfährt sie höllischer Schmerz. Ihre Hände und Kleidung sind von Laub und Erde beschmutzt. Für den Heimweg braucht sie nun doppelt so lange. In ihrer Bauchtasche hat sie immer den Haustürschlüssel dabei. Rauf aufs Dach würde sie so nicht kommen. Damit ihre Eltern sie so nicht sehen, schleicht sie sich ins Haus und verschwindet sofort in ihrem Badezimmer. Die Leggings kann sie wegschmeißen. Während sie ihre Wunde am Knie säubert, ärgert sie sich noch mehr über sich selbst, dass sie für jemand anderen im Dunkeln durch den Wald gelaufen ist. Sie hat keine Angst, dass ihr jemand etwas antun könnte, aber die Schmerzen hätte sie sich gerne erspart. Zumal Lukas sich bis jetzt nicht gemeldet hat.
Erschöpft und mit pochendem Knie und Knöchel liegt sie nun im Bett. Weiterhin reagiert er auf keine ihrer Nachrichten oder Anrufe. Erst jetzt fällt ihr auf, dass sie niemanden aus seinem Umfeld kennt. Nicht mal einen Namen. Sonst hätte sie sich bei denjenigen absichern können, dass es Lukas gut geht. Sie redet sich ein, dass er sich spätestens morgen früh vor seiner Schicht bei ihr melden wird. Es gibt bestimmt eine absolut plausible Erklärung für seine Abwesenheit und dass er nicht erreichbar ist. Mit ihrem Handy in der Hand und möglichen Gründen im Kopf, die sein Verhalten erklären würden, schläft sie ein.
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Keiner weiß
RomanceMila ist hin- und hergerissen zwischen ihrer Ausbildung, dem Wunsch abzubrechen, der Bewältigung von anbahnenden Depressionen und ihres normalen Alltags, bis sie Lukas kennenlernt und alles so viel einfacher erscheint...