Es ist mittlerweile Samstag Mittag. Die letzten Tage hat Mila ausschließlich im Bett verbracht, sich ausgeruht und viel geschlafen. Immer abwechselnd kam entweder ihr Vater oder Gina ins Zimmer, haben ihr neuen Tee gebracht oder sich einfach etwas zu ihr gesetzt. Davon hat sie meistens sowieso nicht viel mitbekommen. Von Clara, Finn oder Lukas hat sie kaum etwas gehört, weil sie ihr Handy die meiste Zeit nicht nutzt. Am Freitag war sie das erste Mal wieder draußen für ein paar Minuten, um ihren Kreislauf etwas anzukurbeln.
Das Antibiotikum zeigt Wirkung, weshalb es ihr heute schon besser geht. Sie hat am Esstisch mit ihren Eltern zusammen gefrühstückt und konnte anschließend duschen gehen. Dafür saß allerdings Gina im Zimmer und hat auf sie gewartet, falls ihr Kreislauf doch zusammengebrochen wäre. Zwischen den beiden gab es in den letzten Tagen keine weiteren Streitereien. Mila hätte eh keine Kraft dafür übrig gehabt.
Frisch geduscht liegt sie auf ihrem Bett. Das Fenster hat sie sperrangelweit offen, denn draußen scheint die Sonne und es ist angenehm warm.
Clara ruft an: „Hey, geht's dir besser?" „Ja, langsam wird es immer besser", sie nippt an ihrer Teetasse. „Perfekt, dann können wir heute Abend doch feiern gehen, wie wir es mit Finn besprochen haben! Wir wollten ja eigentlich gestern gehen." Oh Gott. Nur, weil es ihr besser geht, heißt es nicht, dass sie direkt feiern gehen kann. So ist Clara nun mal. Mila überlegt, wie sie da am besten rauskommt: „Ich nehme noch Antibiotikum, zu 100% bin ich noch nicht wieder fit." Wie soll es schon anders sein, sie lässt sich von ihrer besten Freundin so bequatschen, dass sie für den Abend zusagt. Genervt von sich selbst, schmeißt sie sich stöhnend in die Kissen zurück. Ab und an mal feiern gehen ist ja ganz lustig mit den beiden zusammen, aber nicht wenn sie noch auf dem Weg der Erholung ist. Sie sollte ganz dringend an ihrer Standhaftigkeit arbeiten.
Bevor sie sich auf die Suche nach einem Outfit für heute Abend begibt, will sie noch schnell Lukas updaten. Ihm geht es zum Glück auch ohne Antibiotikum besser. Von ihrem Vorhaben für den Abend ist er nicht begeistert. „Willst du dich nicht lieber noch das Wochenende ausruhen?" Mila weiß ganz genau, dass er recht hat und dennoch schreibt sie zurück: „Ich hab Clara jetzt schon zugesagt." Frisur und Make-up wird sie zusammen mit Clara machen. Nachdem sie ein paar Outfits rausgesucht hat, zieht sie alle nacheinander an und schickt ihrer besten Freundin Bilder davon. „Zieh dich dann wenigstens bitte nicht zu dünn an, sonst liegst du morgen direkt wieder flach", Lukas schickt ihr erneut eine Nachricht. Ohne zu überlegen schickt sie ihm die Bilder ebenfalls: „Welches Outfit ist dazu am geeignetsten?"
Ein paar Minuten später folgt seine Antwort. Er hat ein Bild markiert, auf dem sie einen schwarzen Lederrock mit einem Oversized T-Shirt trägt, was sie hoch in ihren BH gesteckt hat. So sieht es etwas bauchfrei aus, aber nicht zu viel: „Zieh aber stattdessen mein T-Shirt an." Jetzt fängt er schon an, Ansprüche zu stellen. Aus lauter Trotz würde sie am liebsten Nein sagen, aber da sie sich heute schon einmal zu etwas hat überreden lassen, gibt sie sich nicht mal sonderlich Mühe. „Ich werd's tragen", ist ihre Antwort und damit hätte sie das leidige Thema erledigt.
Es klopft an ihrer Tür und Gina kommt herein: „Du bist ja auf! Klappt alles mit deinem Kreislauf?" „Ja, danke. Ich hab mir grad ein Outfit für heute Abend rausgesucht. Ich gehe mit Finn und Clara feiern", Mila hält sich probeweise verschiedene Schuhe an den Fuß. Gina mustert sie kurz und greift über ihren Kopf hinweg nach einem Paar Schuhe im Schrank. „Zieh die mal dazu an", sie hält ihr schwarze Stiefeletten hin. Damit würde sie sich definitiv wohl fühlen. „Mila, kann ich dich etwas fragen?", Gina setzt sich auf ihr Bett. „Klar." „Wer ist der Junge, der dich Anfang der Woche abends nach Hause gebracht hat?" Sie hat ihn gesehen? Es war eigentlich viel zu dunkel dafür. Seit wann interessiert sie sich überhaupt dafür, mit wem Mila sich abgibt? Dadurch, dass es die letzten Tage aber etwas harmonischer zwischen ihnen ablief, will Mila nicht direkt wieder Streit anfangen. „Das war Lukas. Er ist bei mir im Heim Praktikant und ich hab ihn beim Joggen getroffen", möglichst unauffällig betrachtet sie sein T-Shirt, während sie weiter redet „Weil es dann schon so dunkel war, hat er mich nach Hause begleitet." Kurzzeitig bleibt es still und Mila überlegt, wie ihre Mutter darauf reagieren wird, wenn sie irgendwann einen Freund hat oder ob sie ihr es überhaupt erzählen will. „Er sah nett aus. Ist er in deinem Alter?" Bitte lass das jetzt kein Verhör werden. Durch die sonst so angespannte Stimmung zwischen ihnen, ist das Gespräch sowieso schon unangenehmer als normalerweise. „Ja, er ist so alt wie ich", unbeholfen schaut sie zu Gina, die in dem Moment aufsteht und Richtung Tür geht. „Übertreib es heute Abend nicht und viel Spaß." Noch bevor sie antworten kann, ist die Tür schon wieder zu.
Gegen Nachmittag kommt Mila bei Clara zuhause an. Sie wohnt mit ihren Eltern ebenfalls in einem Haus, was etwas kleiner, dafür moderner ist. Abgesehen davon gibt es im Kellerbereich einen Pool und einen Partyraum. Etliche Geburtstage seit der fünften Klasse wurden bereits in diesem Keller gefeiert. Clara's Eltern scheinen nicht zuhause zu sein, denn die Auffahrt steht leer. „Gut siehst du aus!", ruft Clara und fällt Mila um den Hals „Ich dachte schon du willst dich mit deiner Erkältung drücken!" Um ehrlich zu sein, war das auch ihr Plan, aber sie kann einfach so schlecht Nein sagen. In ihrem Zimmer angekommen, fällt Mila direkt eine Weinflasche auf, die demonstrativ auf dem Schminktisch steht. Zwei Gläser stehen ebenfalls parat. „Ich sollte keinen Alkohol trinken, ich nehme Antibiotikum...", setzt sie an und bekommt schon das erste Glas in die Hand gedrückt. Clara zwinkert: „Ist doch nur zum Einstimmen, stell dich nicht so an." Leider ist es immer so, dass Mila sich in Claras Augen einfach nur anstellt. Ein Glas wird wahrscheinlich nichts bewirken, also setzt sie an, nachdem die beiden angestoßen haben.
Eine Stunde später kommt Finn dazu und es wird noch das ein oder andere Glas Wein getrunken. Damit sie nicht auf allzu leeren Magen trinken, bestellen sie Pizza.
In der Zwischenzeit haben sie sich zu Ende gestylt und sind alle drei bereit für den Abend. Mila sucht in ihrer Tasche nach ihren Medikamenten und spült diese, ausnahmsweise, mit Wasser runter. Ihr Handy leuchtet auf. „Pass auf dich auf heute Abend", schreibt Lukas. „Mach ich", tippt sie bereits etwas mühselig „Was machst du?" Sie setzt sich zurück zu den anderen beiden, konzentriert sich aber eher auf das Schreiben mit Lukas. Laut seiner Aussage verbringt er seine Zeit nur zuhause im Bett. Es ist schwer vorstellbar, dass er seit Tagen nur zuhause ist, wobei er sonst jegliche Möglichkeit nutzt, um von dort weg zu kommen. Entweder nimmt sie es falsch wahr oder es ist tatsächlich angespannter, seitdem sie sich das letzte Mal gesehen haben. In manchen Nachrichten kommt es nicht so rüber, doch dann liest es sich wieder so, als ob er sich über irgendwas ärgern würde. Nachzufragen traut sie sich aber auch nicht. Wahrscheinlich bildet sie sich das alles nur ein. „Mit wem schreibst du?", plötzlich beugt sich Finn zu ihr rüber, um auf ihr Handy zu schauen „Mit einem Jungen? Warum wissen wir da noch nichts von?" Er und Clara starren sie ungläubig an. „Was? Mit wem? Du hast gar nichts erzählt!", Clara stellt empört ihr Glas ab.
Super. Genau das wollte sie eigentlich vermeiden. Es gibt nichts zu erzählen, also wollte Mila es für sich behalten. Außerdem, wie soll sie anfangen? Wir waren im Regen zusammen im Wald, dann sind wir krank geworden und als er bei mir war, hatte ich eine Panikattacke, weil er mich näher bei sich liegen haben wollte? Sollte sie es so formulieren, könnte sie sich eigenständig in die Klapse einweisen lassen. Ihre Wangen werden langsam glühend heiß. Ob das jetzt vom Alkohol oder wegen Lukas ist, lässt sich von alleine beantworten. „Ähm... also, es gibt eigentlich nichts zu erzählen", versucht sie sich zaghaft aus der Affäre zu ziehen. Clara schüttelt den Kopf: „Nenn uns doch wenigstens einen Namen und woher du ihn kennst." „Ich meine, ich hab Lukas gelesen", ruft Finn dazwischen. Mila traut sich kaum, ihre beste Freundin anzusehen. Es ist die Hölle. Warum kann nicht plötzlich der Boden unter ihr einbrechen oder es kommt ein Einbrecher und kidnappt sie? „Lukas? Der Praktikant?", Claras Augen werden immer größer, als Mila fast unmerklich nickt „Aber natürlich! Ihr habt euch beide Mittwoch Morgen krank gemeldet! Das mir das nicht eher aufgefallen ist." Mit einer Hand haut sie sich gegen die Stirn, als ob sie eine Erleuchtung hätte.
Finn schaut etwas verwirrt zwischen den beiden Freundinnen hin und her: „Kann mir einer jetzt mal genau erklären, was hier gerade abgeht?" Genervt stöhnt Mila auf und drückt sich ein Kissen vor ihr Gesicht. „Lukas ist seit Anfang der Woche Praktikant bei uns. Angeblich fand Mila ihn komisch am ersten Tag, aber sie fand ihn offensichtlich direkt so gut, dass sie mit ihm zusammen krank macht", erneut nimmt Clara ihr Glas und leert es in einem Zug. Wenn sie zu viel Alkohol trinkt, kann sie wirklich ekelhaft werden. Muss sie sich jetzt vor ihnen erklären? Bringt es überhaupt noch etwas, sich zu erklären oder steht ihre Meinung fest? „Das stimmt doch gar nicht!", protestiert sie und beginnt, den beiden alles zu erzählen. Bis auf den Mittwoch Morgen. Die Panikattacke und dass sie zusammen eingeschlafen sind, verschweigt sie lieber. Ebenso erwähnt sie sein T-Shirt nicht. Das würde nur weitere, unnötige Fragen mit sich ziehen. „Ich hätte euch schon noch davon erzählt, wenn es einen Anlass dazu gegeben hätte." „Eine Sache verstehe ich aber nicht", Finn setzt sich aufrechter hin „Warum freuen wir uns nicht einfach für Mila, dass sie anscheinend dabei ist, jemanden kennenzulernen, den sie mag?"
Die Stimmung lockert nach und nach wieder auf, was teilweise daran liegt, dass sie immer mehr gemeinsam trinken. Gegen 22:30 Uhr machen sich die drei auf den Weg zum Club. Dort angekommen, müssen sie nicht lange anstehen, bis sie drin sind. Es ist für die frühe Uhrzeit schon ziemlich voll. Die laute Musik dröhnt in den Ohren. Mila richtet nochmal ihr Oberteil und lässt sich von Finn auf die Tanzfläche ziehen. Kurze Zeit später drückt Clara ihr ein Glas in die Hand. „Danke!", brüllt sie ihr entgegen, weil man sich sonst kaum versteht. Ohne genau zu wissen, was sie ihr überhaupt mitgebracht hat, trinkt sie einen großen Schluck. Malibu mit Sprite. Das ist eins ihrer typischen Club Getränke. Nach und nach fängt sich ihre Umgebung an zu drehen. Mila verliert jegliches Gefühl für Ort und Zeit, doch sie muss auf Toilette. Finn trifft Freunde von seiner Uni und macht sie miteinander bekannt. Als ob sie sich davon einen einzigen Namen oder das Gesicht merken könnte. Suchend schaut sie sich nach Clara um. Diese steht an der Bar und scheint mit dem Barkeeper zu flirten, um ihre Getränkerechnung niedriger zu halten. Kurzerhand beschließt sie, alleine aufs Klo zu gehen. Sie kennt diesen Club so gut wie ihr Zuhause. Betrunken hier durch Stolpern ist nichts Neues. Da Finn mit seinen Freunden beschäftigt ist, verschwindet sie einfach in der Menge. Die Luft ist extrem stickig, ständig berührt sie ein anderes Körperteil von fremden Menschen. „Nur nicht stehen bleiben, immer weiter gehen", denkt sie sich und kämpft sich erneut durch eine Gruppe. Plötzlich geht es nicht mehr weiter. Die Tür zur Toilette ist nur noch ein paar Meter entfernt. Auf ihrer Stirn bilden sich die ersten Schweißtropfen. Ein Mädchen steht so nah an sie gedrängt, dass sie ihren Ellenbogen in ihrer Hüfte spürt. „Ich muss hier raus", schießt ihr durch den Kopf.
Anstatt sich die paar Meter zur Toilette noch durchzukämpfen, dreht sie um und beginnt, sich einen Weg Richtung Ausgang zu suchen. Als sie in den Ohren anfängt, ihren Herzschlag zu hören, verspürt sie Panik. Die Menschen, um sich herum, nimmt sie nur noch wie betäubt wahr. Gesichter, Stimmen und Musik vermischen sich zu einem ekligen Gefühl in ihrem Kopf. Wenn sie nicht bald hier rauskommt, würde sie umkippen. Ihr Hals fühlt sich zugeschnürt an, gleichzeitig dreht sich weiterhin alles vom Alkohol. Es war unfassbar dumm zu trinken. Sie versucht nicht zu weinen, doch die Tränen fließen bereits unbewusst. Obwohl sie umgeben von Hunderten Menschen ist, fühlt sie sich so alleine. Am liebsten würde sie jetzt in ihrem Bett liegen. Ihr Brustkorb schmerzt, weil sie so heftig versucht einzuatmen. Der Weg zum Ausgang kommt ihr wie eine Ewigkeit vor. Als ob er kein Ende nimmt. Am Rücken läuft ihr eiskalter Schweiß runter. Die offenen, gelockten Haare kleben in ihrem Nacken, als ob sie sich in die Haut reinfressen wollen. Ein Mann kommt ihr entgegen. Er kann ihr nicht sofort ausweichen, weswegen sie ihn leicht zur Seite schubst. Alles fühlt sich unwirklich an. Die Musik wird im Kopf immer lauter und dröhnender.
Endlich erreicht sie den Ausgang. Die frische Nachtluft lässt sie etwas durchatmen, doch die Panik kehrt schnell zurück. Was soll sie jetzt machen? Alleine nach Hause? Wieder reingehen? Auf keinen Fall. Sie hat sich nicht mal von ihren Freunden verabschiedet. Über eine sinnvolle Erklärung für ihr Verhalten kann sie sich zum jetzigen Zeitpunkt keine Gedanken machen. Nervös und hektisch fummelt sie ihr Handy aus der Handtasche. „Mila? Was ist los?" Scheiße. Warum zur Hölle ruft sie Lukas an und nicht ihre Eltern? Wie soll sie ihm das erklären? Sie schweigt und fängt diesmal bitterlich an zu weinen. Am Telefon wird Lukas langsam ungeduldig, weil sie ihm nicht antwortet und er sie nur weinen hört. „Schick mir deinen Standort, ich komme zu dir!" Zitternd schickt sie ihm ihren Standort und lässt sich auf den Boden sinken. Zusätzlich zu ihrer Panik kommt nun noch Scham dazu. Mila weiß nicht, wie sie ihm gleich in die Augen sehen soll. Ihr wird übel. Wenn sie sich gleich auch noch vor ihm übergibt, würde er wahrscheinlich auf dem Absatz kehrt machen. Ganz ehrlich, sie könnte es verstehen. Sie muss schrecklich verheult aussehen.
Ihr Brustkorb schmerzt noch immer, in ihren Ohren rauscht es und ihr Kopf wird schwer. An ihr laufen so viele Menschen vorbei, von denen sie aktuell nicht die Gedanken lesen möchte. Die Angst, das einer von denen sie blöd ansprechen könnte, kommt immer wieder hoch. Was fällt ihr überhaupt ein, alleine vor einem Club im Dunkeln nachts zu sitzen? Mühsam versucht sie, sich zu konzentrieren, um die Uhrzeit zu checken. 1 Uhr. Wo bleibt Lukas? Den Kopf legt sie in ihre Hände, die sie auf ihren angezogenen Knien abstützt.
Ihr Körper ist schwach. Kurz bevor sie einschläft, wirft etwas einen Schatten auf sie. „Mila...", er kniet sich vor sie hin und berührt vorsichtig ihre Wange. Mit einem Ruck hilft er ihr hoch. Da sie etwas wackelig auf den Beinen ist, legt Lukas seinen Arm um ihre Hüfte. „Luuukaaaas", ihre Stimme hört sich super brüchig und lallend an. Stirnrunzelnd mustert er sie: „Ich bin da. Komm, ich bring dich nach Hause."
Es dauert ewig, bis sie bei Mila zuhause ankommen. „Hast du deinen Schlüssel dabei?", er nimmt ihre Handtasche, als sie ihm diese hinhält. Leise schließt er die Tür auf. Mila ist kaum noch in der Lage, sich aufrecht zu halten und stolpert ins Haus. Bevor sie noch mehr Krach machen kann, nimmt Lukas sie an der Hand und zieht sie leicht hinter sich her in ihr Zimmer. Zuallererst geht sie endlich auf Toilette und als sie anschließend ihr Bett sieht, lässt sie sich sofort drauffallen. Sie murmelt irgendwas Unverständliches und es scheint fast so, als sei sie direkt eingeschlafen.
„Kannst du hier bleiben?", fragt sie, als Lukas gerade gehen will. „Bist du sicher?" „Ja! Ich will nicht alleine sein", Mila setzt sich auf und blinzelt gegen das Licht der Nachttischlampe. „Du musst dich am besten umziehen", er geht zu ihrem Schrank und schaut sich fragend davor um „Wie kann man SO viele Klamotten besitzen?" Obwohl sie ihn nur sehr gedämpft hören kann, muss sie lachen. Umständlich steht sie auf und stellt sich neben ihn: „Ich schlaf einfach in deinem T-Shirt." Währenddessen zieht sie das Umgekrempelte unter ihrem BH hervor. Sein Blick ruht auf ihr. Jetzt kann er besonders gut erkennen, wie fertig sie aussieht. Doch sie will viel eher gerade aus diesem Rock raus, als sich damit zu beschäftigen, wie sie im Gesicht aussieht. Mit einer Hand hält sie sich an Lukas' Arm fest, um den Rock auszuziehen.
Sofort ändert sich sein Gesichtsausdruck und er starrt absichtlich an die Decke. Für einen kurzen Moment denkt Mila sich, wie unangenehm aufdringlich es ist, dass sie nur in T-Shirt und Unterwäsche vor ihm steht. Doch ihre Gedanken sind komplett vernebelt. Lukas bewegt sich erst wieder, als sie im Bett liegt. Mit sichtlich geröteten Wangen legt er sich neben sie. „Ist dir das nicht zu unbequem zum schlafen?" Seit wann ist sie so direkt? Normalerweise ist sie froh, wenn sie anderen in die Augen schauen kann. „Frag mich nüchtern nochmal, dann können wir drüber reden", grinst er und beugt sich zu ihr rüber, um ihr einen Kuss auf die Haare zu geben „Aber jetzt schlaf bitte einfach." Kurz bevor sie endgültig einschläft, merkt sie, wie Lukas sie in seinen Arm zieht und sie beide so einschlafen.
Morgens wacht Mila mit schrecklichen Kopfschmerzen auf. Sein Arm ist noch um sie geschlungen. Oh nein. Was ist denn gestern Nacht bitte alles passiert? Weshalb liegt sie mit Lukas in ihrem Bett? Als sie die Decke ein Stück zur Seite schiebt, sieht sie, dass sie untenrum nur Unterwäsche trägt. „Bitte, bitte nicht! Oh Gott, bitte nicht", ihre Gedanken schreien sie förmlich an. Ein Blick auf Lukas und sie befürchtet das Schlimmste. Er trägt T-Shirt und Boxershorts. Pulli und Jeans liegen unordentlich neben dem Bett. Hatte sie was mit ihm und kann sich tatsächlich nicht mehr daran erinnern? Das kann doch gar nicht sein. An so etwas würde sie sich doch erinnern. Ihr Handy vibriert auf dem Nachttisch. Mist, sie hat sich anscheinend nicht von Clara und Finn verabschiedet. „Alles in Ordnung??? Kannst du mal an dein Handy gehen?" „WO BIST DU?" „Wo treibst du dich rum?" „Mila, alles ok?", sind nur ein Teil der Nachrichten, die sie über die Nacht gesammelt bekommen hat. „Meld dich, wenn du endlich mal auf dein scheiß Handy guckst!!!", ist die neueste Nachricht von Clara. Beschämt schreibt Mila ihr, dass alles in Ordnung ist und sie gerade erst aufgewacht ist. Lukas und die Abholaktion vor dem Club behält sie allerdings wieder lieber für sich.
Er scheint aufzuwachen, denn sein Griff um ihren Körper wird lockerer. Mit seiner Stirn drückt er gegen ihren Hinterkopf: „Hey..." Entweder ist das Einbildung oder es ist weiterhin angespannt zwischen ihnen. Seine Stimme klingt so rau und verschlafen. Sie darf gar nicht weiter darüber nachdenken, sondern sollte einfach normal antworten: „Guten Morgen... gut geschlafen?" Ihr Herzschlag verdoppelt sich, als sie spürt, wie Lukas sich auf einem Arm abstützt, damit er sie ansehen kann. Nach kurzem Zögern dreht sie sich auf den Rücken und schaut ihn ebenfalls an. In ihrem Kopf ist weiterhin die Frage ungeklärt, ob etwas zwischen den beiden in der Nacht passiert ist oder nicht. Keiner von beiden sagt was.
Ihre Zimmertür wird plötzlich aufgerissen und Gina steht mit Handy am Ohr im Türrahmen. Mila sitzt kerzengerade im Bett und schaut ebenso erschrocken wie Gina. Lukas hat sich zurück auf den Rücken fallen lassen und beobachtet verwirrt, was da vor sich geht. „Oh, es tut mir leid! Finn hat angerufen, aber ich wusste nicht, dass du..." „Psssst! Sag nichts!", fleht Mila leise „Sag, Papa hat mich abgeholt, bitte!" Erstaunlicherweise nickt Gina einfach nur: „Finn, ich hab das gar nicht mitbekommen die Nacht. Bernd hat sie abgeholt. Sie liegt in ihrem Bett." Während sie redet, klebt ihr Blick an Lukas. Sobald sie aufgelegt hat, kommt sie rein und schließt die Tür hinter sich. „So, was geht hier vor sich?" „Ich... ähm, ich weiß es selbst nicht mehr so genau...", sie kratzt sich am Kopf und schaut Lukas an. Spätestens jetzt wird sich herausstellen, was die Nacht gelaufen ist. Er räuspert sich kurz: „Mila hat mich angerufen. Ich hab sie abgeholt und hergebracht. Als ich gehen wollte, hat sie mich darum gebeten, bei ihr zu bleiben. Das ist alles." Das... ist alles? Also lief gar nichts? Also mag er sie doch nur als Freundin. Sonst hätte er doch bestimmt seine Chance genutzt, wenn sie sich offensichtlich knapp bekleidet zu ihm ins Bett gelegt hat. Ein kleines bisschen Enttäuschung macht sich in Mila breit. Klar würde sie sich lieber daran erinnern, wenn sie ihre ersten Erfahrungen sammelt, aber dass er kein Interesse an ihr zu haben scheint, trifft sie. Trifft sie mehr, als sie gedacht hat.
Sie halten noch einen kurzen Smalltalk mit Gina, in dem Mila die beiden offiziell aneinander vorstellt. „Ich lass Papa noch nichts wissen", sagt Gina, als sie das Zimmer wieder verlässt.
„So übel wie du sie beschrieben hast, ist sie gar nicht", Lukas legt wieder einen Arm um sie und zieht sie zu sich, sodass sie mit ihrem Kopf auf seiner Brust liegt. In ihren Gedanken ist da kein Platz für. Sie denkt nur darüber nach, was heute Nacht wirklich passiert ist. „Was ist heute Nacht wirklich gewesen?", sie hält den Atem an, nachdem sie zu Ende gesprochen hat. Es dauert einen Moment, bis er antwortet. „Es war so, wie ich es gerade deiner Mutter erklärt hab. Wieso?" „Deine Sachen liegen auf dem Boden und ich... ich dachte dann...", während sie redet, merkt sie selbst, wie unfassbar lächerlich sie sich anhören muss. Ohne dass sie weiter reden muss, lacht Lukas und erzählt ihr schließlich, was in der Nacht passiert ist. Das macht es nicht besser, da es ihr ziemlich unangenehm ist, dass sie sich so offensichtlich an ihn rangeschmissen hat. „Im betrunkenen Zustand wollte ich nichts mit dir haben, das macht man nicht", fügt er hinzu. Warte. Im betrunkenen Zustand wollte er nicht. Was ist, wenn sie nüchtern ist? Jetzt wäre der perfekte Moment, um nachzufragen, also nimmt sie ihren ganzen Mut zusammen: „Und nüchtern?" Kann sie nicht einmal ihren Mund halten? Es ist absolut peinlich, so etwas anzusprechen. Vor ihrem inneren Auge sieht sie Lukas schon aufspringen und das Haus verlassen, ihre Nummer im selben Atemzug blockiert. Wer bettelt denn bitte schon förmlich darum, dass die andere Person sich dazu äußern muss?
„Wird sich zeigen, Zicke", er drückt ihr einen Kuss aufs Haar und steht auf. Wie soll sie diese Antwort bloß werten? Positiv oder negativ? Sie gibt sich mittlerweile nicht einmal mehr Mühe, unentdeckt zu bleiben, während sie ihn beobachtet, als er sich anzieht. Als er es bemerkt, grinst er: „Ich geh jetzt." Ihr Kopf wird es ihm danken, er pocht immer noch extrem. Gleich muss sie sich erstmal eine Tablette holen. „In einer Stunde bin ich spätestens wieder da, dann bring ich dir Essen vorbei", ohne zu überlegen, macht er das Fenster auf und nimmt den Weg über das Vordach nach unten. Mit zu vielen Fragen bleibt sie in ihrem Bett zurück. Am liebsten würde sie schreien, was mit großer Sicherheit aber keines ihrer Probleme lösen wird.
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Keiner weiß
RomansaMila ist hin- und hergerissen zwischen ihrer Ausbildung, dem Wunsch abzubrechen, der Bewältigung von anbahnenden Depressionen und ihres normalen Alltags, bis sie Lukas kennenlernt und alles so viel einfacher erscheint...