Kapitel 5

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So leise und schnell wie es ging kletterte ich mein provisorisches Seil hinab. Ich hatte schon den größten Teil geschafft, als ich ein leises Geräusch hörte: ritsch. Als ich nach oben schaute, erschrak ich mich fast zu Tode. Vor lauter Panik wurde ich ganz weiß. Mein Seil war dabei zu reißen. Bis zur Hälfte war es schon gerissen.

Das konnte nicht wahr sein. Ich hatte es soweit geschafft und jetzt riss mein Seil.

Mit dem Gedanken, was wohl auf meinem Grabstein stehen würde, fiel ich in die Tiefe.

Ein Gefühl der Schwerelosigkeit ergriff mich. Die Sekunden vergingen so langsam wie Stunden und mein ganzes Leben zog an mir vorbei. Hier würde meine Flucht ein tragisches Ende nehmen. Zum zweiten Mal am heutigen Tag hätte ich mich Ohrfeigen können. Wieso hatte ich nicht auf diese blöde Stimme in meinem Kopf hören können? Wieso?

Der Aufprall kam unweigerlich näher. Und dann war es auch so weit: ich landete hart auf dem Boden. Das Seil noch immer mit meinen Händen umklammert. Wie einen Rettungsanker hielt ich es, obwohl es mir jetzt wohl nichts mehr bringen würde. Die Luft wich aus meiner Lunge.

Doch irgendetwas war hier komisch. Irgendetwas fehlte. Ich wurde endgültig unsicher. Wieso war ich noch nicht tot? Und wieso bohrten sich keine Kieselsteine, die eigentlich auf dem Weg lagen, in meine Haut? Und wieso stöhnte da etwas unter mir?

Ich schaute das erste Mal geschockt unter mich. Dort war kein Boden. Da war ein Mensch unter mir. Erschrocken blickte ich ihn an. Jetzt wurde mir jetzt einiges klar, zum Beispiel, warum ich mir nicht sämtliche Knochen gebrochen hatte. Ein glückliches Grinsen stahl sich auf meine Lippen. Meine Flucht war noch nicht vorbei. Mein Glück hatte mich doch noch nicht verlassen. Bis ich wieder realisierte, dass ich auf jemandem saß.

"Könntet Ihr bitte von mir runtergehen", ertönte plötzlich eine männliche Stimme unter mir. Die Stimme klang kraftlos und fertig. Die Situation war für mich sehr unerquicklich. Seine Worte sickerten langsam zu mir durch und ich beeilte mich, aufzustehen. Ein erneuter kraftloser Stöhner entwich ihm. Leicht bedrückt schaute ich zu ihm hinunter.

Schmerzerfüllt rieb er über seinen Bauch und murmelte leise vor sich hin: "Da wollte man nur einmal im Garten spazieren und dann fällt aus heiterem Himmel jemand auf einen drauf." Ich musterte ihn. Er war kein Bediensteter, aber auch kein Adeliger,  der hier auf dem Schloss wohnt.  Lakaien konnten sich solch sündhaft teure Gewänder nicht leisten. Wenn man mich fragen würde, ob ich die Entlohnung der Lakaien richtig fände, würde ich mit einem klaren Nein antworten. Jedoch fragte mich niemand nach meiner Meinung. Ich war mir sicher, dass ich ihn noch nie zuvor gesehen hatte, da er mir ansonsten mit seinen grünen Augen in Erinnerung geblieben wäre.

Irgendwann schien er zu bemerken, dass ich noch da war. Ich hatte eigentlich gerade vorgehabt, mich möglichst schnell zu entfernen. Doch daraus wurde wohl nichts. Nun war es an ihm, mich kritisch zu mustern. Nachdenklich wanderte sein Blick über meine Gewänder. Bis er bei dem Seil, das ich noch immer in der Hand hatte, stockte. Sein Blick ging hoch zum Fenster und ich konnte sehen, wie er zwei und zwei zusammenzählte. "Ihr seid geflohen", stellte er nüchtern fest und stand auf. "Nein, so war es nicht", versuchte ich zu widersprechen, doch er unterbrach mich "Wie sollte es sonst sein?" Seine Stimme klang kühl wie der Winter und mein Herz zog sich vor Angst zusammen. "Nein, Ihr müsst mir glauben!" Verzweifelt sah ich ihn an. "Still!", herrschte er mich an. "Eine adlige Dame, die aus dem Fenster fliehen will." "Hören sie mir bitte zu", flüsterte ich verzweifelt, "und wenn sie mir noch immer nicht glauben, Eure..." Ich stockte, hatte keine Ahnung, wie ich ihn richtig ansprechen sollte. "Es tut nichts zur Sache, wer ich bin", gab er von sich. "Jetzt hören Sie mir endlich zu!" Langsam wurde auch ich wütend. 

Mein tief vergrabenes Temperament zeigte sich. Ich hatte es von meiner Mutter. Mein Vater hatte probiert, es mir auszutreiben, doch wie sich gerade gezeigt hatte, waren seine Versuche nicht von Erfolg gekrönt.

Er hatte mich noch nicht mal angehört und zog schon Schlüsse aus meiner misslichen Situation. Eigentlich hatte er verstanden, worum es ging. Würde er auch noch meinen Namen herausfinden, wäre das mein Todesurteil. Erschrocken sah er mich an. Erst jetzt wurde mir bewusst, was ich gesagt hatte. Erstaunlicherweise fühlte es sich befreiend an. Wie ich all diese Regeln doch immer gehasst hatte. Als wäre ein Bann gebrochen, kam mein wahres Ich hervor, das keinen Wert auf Regeln legte. Noch immer wortlos starrte er mich an. So hatte wahrscheinlich noch nie jemand mit ihm geredet. Ein Gefühl der Genugtuung breitete sich in mir aus. Dieses Mal nutzte ich meine Chance. "Es stimmt. Ich bin adlig. Mein Mann wollte meine Unschuld. Doch ich konnte einfach nicht. Ich liebe ihn nicht. Deshalb bin ich auf der Flucht." Er zog eine Augenbraue hoch. Man sah ihm an, dass er überlegte, ob meine Geschichte wirklich stimmt. "Ich glaube Ihnen", antwortete er nach kurzen Zeit. Erleichtert seufzte ich auf. "Werden sie mich melden?" Selbstbewusst kam von ihm: "Natürlich werde ich Sie...."



Hey, hier kommt nach längerer Zeit wieder ein neues Kapitel. Ich hoffe, dass es euch gefällt! :)

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⏰ Letzte Aktualisierung: May 05 ⏰

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(K)eine PrinzessinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt