•eins•

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vivienna apolline de valois

Fröstelnd strich ich mir eine Haarsträhne hinter die Ohren, welche sich schon wenige Minuten nach verlassen des Hauses aus meinem geflochtenen Zopf gelöst hatte.
Die kühle Novemberluft umhüllte mich und tauchte alles um mich herum in ein schimmerndes weiß, auf welchem die Sonne reflektierte.
Die leise Musik, welche aus meinen Kopfhörern tönte ließ mich fühlen, als wäre ich in einem von diesen romantischen Weihnachtsfilmen, in welchen die Hauptcharaktere sich unsterblich ineinander verliebten und zusammen das wundervollste Weihnachtsfest feierten, dass sie jemals hatten. Bei diesem Gedanken legte sich ein Lächeln auf meine Lippen. Es war eine schöne Vorstellung, dass ich irgendwann auch so ein Weihnachtsfest verbringen würde.

Ungeduldig warf ich einen Blick auf die bereits etwas mit Rost bedeckte Uhr. 07:43 Uhr, der Bus hätte schon vor fünf Minuten an der kleinen Bushaltestelle stehen sollen, damit er pünktlich an der Schule war. Auch den wenigen anderen Schülern, die in dem winzigen Viertel Brooklyns wohnten merkte man an, wie sie sich langsam unruhig wurden.
Normalerweise hätte ich nichts dagegen ein wenig zu spät zum Unterricht zu erscheinen, doch heute schrieb ich im ersten Unterrichtsblock einen Geschichtstest, für den ich seit mehreren Wochen lernte und in welchem ich unbedingt eine gute Note brauchte.
Nervös scharte ich mit meinem Fuß ein wenig auf dem nassen Asphalt herum und bildete einen kleinen Haufen aus herabgefallen Blättern vor meinen Füßen. Mein Blick fiel auf meine Schuhe. Vermutlich war es bereits zu kalt für meine schon ein wenig abgetragenen Adidas Sambas, doch ich war viel zu verliebt in diese, als dass ich sie gegen meine Winterstiefel austausche könnte.

Frustriert atmete ich aus.
Jeden Morgen kam der Bus mehr als überpünktlich, doch wenn man  einmal wirklich rechtzeitig zur Schule erscheinen musste dauerte es Ewigkeiten, bis er endlich mit quietschenden Reifen zum Stehen kam, nur um dann mit viel zu hoher Geschwindigkeit über die glatten Straßen zu hetzen.
Es war zum verrückt werden. Warum musste das Leben denn so verkorkst sein? Warum konnte nicht einfach alles wie mit einer bunten Feder niedergeschrieben ablaufen?
Natürlich waren meine Probleme nicht die Größten, sie waren klein. Doch sobald eine Handvoll von diesen zusammenkamen wogen  kleine Probleme ein schweres Gewicht.

Ein kalter Windzug pfiff durch die Gasse, welche mehr einer Allee ähnelte.
Ich liebte das Viertel, in welchem ich lebte. Es war unglaublich süß und eher am Rande Brooklyns gelegen. Zwar war es trotzdem hektisch und voller Menschen, doch gleichzeitig hatte es einen gewissen Charme.

Zitternd zog ich meine Jacke etwas enger und schlang meine Arme um meinen Körper.
Mein Blick fiel auf meine Arme. Das ausgewaschene dunkelrot meiner Lederjacke harmonierte absolut nicht mit dem cremefarbenen Ton der Handstutzen, welche ich mir vor wenigen Wochen selber gehäkelt hatte und dem grau meiner Hose. Aber ich mochte es. Es war nichts was alle anderen auch trugen. Es hatte etwas das nur ich hatte.

Das kreischende Geräusch einer veralteten Bremse ließ mich aus meinen Gedanken aufschrecken. Ich hob meinen Kopf an und versuchte, den Grund für dieses grässliche Geräusch auszumachen.
Nur einen Wimpernschlag später trugen meine Beine mich bereits zu der offenstehenden Tür des Busses, welcher nun endlich auf dem mit Blättern bedeckten Straßenstreifen zum Stehen gekommen war. Sobald ich auch nur einen Fuß in den völlig überfüllten Bus setzte war mein kompletter Körper in eine Wärme gehüllt, die es mir um einiges leichter machte, dem anstehenden Geschichtstest entgegenzuschauen.

Ich liebte den Herbst und ebenso liebte ich es, wie man der Natur dabei zusehen konnte, wie auch sie den Herbst mit offenen Armen empfang.
Es wurde kälter und die einst grünen Blätter färbten sich in alle warmen Farben des Regenbogens. Senfgelb, Bordeauxrot, Apricot. Es sah unglaublich hübsch aus, wie sich die Blätter nach und nach von den Bäumen lösten und sich vom Wind tragen ließen.
Wie sie sich tragen ließen und in der Luft herum wirbelten. Man könnte meinen, sie wären sorglos.
Es begann häufiger zu regnen und die nächtlichen Gewitter hielten mich oft wach. Ich saß da und schaute den Blitzen zu, wie sie den Himmel erleuchteten.

Ich liebte es. Den Herbst und den Winter. Es war so gemütlich. Alle saßen eingepackt in bunten Schals und Mäntel, die bis auf den Boden reichten in Cafés zusammen, tranken eine heiße Schokolade und redeten über Gott und die Welt, während auf der andern Seite der Fensterscheibe die hauchdünnen Schneeflocken im Schein der Straßenlaternen auf den asphaltierten Gehweg schwebten.

Natürlich lag auch der Sommer und der Frühling nah am Herzen.
Der Duft von frischen Blumen und das kitzeln der Sonnenstrahlen auf meiner Haut.
Doch die Glücksgefühle im Winter überwogen.

Das wunderbarste war es, wenn ich nach der Schule meine Sachen packte und auf meinem, schon etwas verrosteten und klapprigen Fahrrad in Richtung des alten Gebäudes zu fahren.

Das Gebäude, in welchem ich beinahe meine gesamte Kindheit verbracht hatte.
Es war wunderschön, hatte eine mausgraue Fassade aus Stein und war mit gemeißelten, feinen Schnörkeln und Blumen geschmückt.

Die Balletschule, welche nur wenige hundert Meter hinter dem riesigen Park lag, vor welchem ich bis vor wenigen Minuten noch stand war mein zweites zu Hause. Dort verbrachte ich den Großteil meiner Jugend.
Tag und Nacht blieb ich dort und arbeitete an den kleinsten Fehlern, welche mir unterliefen.
Der Tanz musste perfekt sein. Ich musste perfekt sein.

Ich liebte diesen Ort. Er war gefüllt mit Erinnerungen und an jeder Wand von der Eingangshalle, bis zu den Umkleideräumlichkeiten befanden sich Bilder. Bilder, von den besten Ballerinas die diese Schule besucht hatten.
Darunter war ich. Und ich war unglaublich stolz.

An meiner Schule wussten nicht viele, dass ich so gut tanzte, was ziemlich verwunderlich war, da meine Auftritte schon weit über Brooklyn hinaus gereicht hatten...
Doch ich schätzte, die meisten Jugendlichen in meinem Alter interessierten sich nicht mehr allzu sehr für Ballett.
Lediglich meine beste Freundin saß bei jedem meiner Auftritte in der ersten Reihe.
Hermine van Windsor.
Eine unglaublich begabte, wunderschöne Eiskunstläuferin und dazu noch äußertst empathisch und liebenswert.

Durch ein Ruckeln schreckte ich auf. Mein Blick viel durch die beschlagene Fensterscheibe hinaus auf den dunklen Torbogen, auf welchem der Name unserer Schule aufwändig gemeißelt war.

Zügig verließ ich den Bus und ließ so die Wärme die mir dieser gespendet hatte hinter mir.
Ich gab mich der kalten Herbstluft hin.

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