Prolog

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„Alsoooo… Mr Lewis, ich habe Ihnen hier einige Flyer mitgebracht. Wie Sie sehen, muss so etwas ja nicht das Ende bedeuten, nicht wahr? Kommen Sie nach ihrer Entlassung nur bitte unbedingt in der Behörde zur Registrierung vorbei. Ich habe Ihre Daten bereits aufgenommen. Das ist wirklich ganz unkompliziert und der Chip tut kein bisschen weh und danach können Sie durchstarten. Wir haben sogar extra geförderte Flächen für Vollmondnächte.“, sprach ein nervöser Mann im Anzug und streckte sich, um fünf Flyer auf dem Fußende von Dexters Bett ablegen zu können.

Peinlich berührt zog der seine Beine an. Der Mann hatte Angst vor ihm. Eindeutig.

„Es gibt auch Programme. Extra für Lykanthropen. Sie könnten Seminare besuchen. Die Kosten werden fast vollständig übernommen. In der orangen Broschüre im Mittelteil finden Sie genauere Informationen. Sie könnten direkt nächsten Monat anfangen.“

„Ähm… Entschuldigung. Aber ich… ich habe gerade mein Abi gemacht. Ich wollte ein Auslandsjahr machen und dann studieren. Ich… nächsten Monat bin ich doch schon gar nicht mehr hier.“

„Auslandsjahr? Sie? Also das sehe ich ja jetzt so gar nicht. In viele Länder dürfen Sie ja gar nicht einreisen. Und in so gut wie allen anderen müssen sie einen entsprechenden Impfschutz und Gesundheitszeugnisse nachweisen. Die Wartezeiten und die ganzen Tests… Also bis nächsten Monat… also das wird nichts.“

„Was?!“, fragte Dexter fassungslos.

„Ich kann ihnen aber diese Seminare hier wirklich wärmstens empfehlen.“

„Hören Sie… ich… ich wurde doch erst vor einer Woche… infiziert… ich.. ich hab doch Pläne…“

„Also wie lange Sie schon krank sind ist gar nicht von Belang. Nur ob oder ob nicht. Ganz einfach eigentlich. Aber gerade, wenn Sie noch nicht so viel Ahnung von Ihrer Krankheit haben, also da können unsere Seminare wirklich nur helfen. Habe ich erwähnt, dass die Kosten fast vollständig übernommen werden?“

„Sir… bitte… vielleicht.. vielleicht kann ich mich noch an der Uni einschreiben? Und meinen Studienstart vorverlegen?“

„Also studieren können sie selbstverständlich nicht. Das Risiko wäre ja viel zu groß. Und falls es Ihnen ein Trost ist: in den entsprechenden Berufen arbeiten ohnehin keine Lykanthropen. Aber es gibt tolle Zukunftsaussichten… entsprechend Ihrer… Bedürfnisse. Im Straßenbau und im Bereich Garten- und Landschaftsbau werden immer Hilfskräfte gesucht.“

„Ich soll eine Ausbildung in dem Bereich machen?“, fragte Dexter verstört. Er hatte immerhin Kunstgeschichte studieren wollen.

„Eine Ausbildung in diesen Bereichen kommt für Sie nicht in Frage. Schon die Berufsschule wäre da ganz ganz schwierig. Auch vom Intellekt ist das ja auch sehr anspruchsvoll und –„

„Ich habe einen NC von 1,8 und-„

„Letztlich wollen die Betriebe natürlich auch nur in Mitarbeiter investieren, die zuverlässig sind und Lykanthropen neigen da ja nun eher nicht dazu. Also, wie ich bereits sagte: Hilfstätigkeiten sind da genau das Richtige. Sie wären auch viel draußen und könnten sich viel bewegen. Alles nur Vorteile.“

Stumme Tränen rannen über Dexters Wangen. Er wollte schreien. Ganz laut. Er wollte dieses doofe Krankenhaus zum Einsturz bringen. Er wollte die Welt zum Einsturz bringen, wie er eingestürzt war.
 
„Hören Sie doch bitte… ich… mein Leben… ich hatte doch Pläne und… und…“, stammelte er und wischte sich mit dem Handrücken den Rotz aus dem Gesicht.

„Ja, aber wie ich sagte: das ist nicht das Ende der Welt. Und wenn Sie erst bei unserer Behörde waren zur Registrierung, dann gibt’s auch dort nochmal Hilfsangebote. Zum Wohnungsmarkt zum Beispiel. Oder eine Karte, in welchen Restaurants Sie in jedem Fall bedient werden. Gibt’s seit Neuestem sogar per App. Gern eine positive Bewertung da lassen.“, sprach der ängstliche Mann, der so unendlich selbstsicher wirken wollte.

„Danke.“, sprach Dexter dann nur noch. Es brachte ja doch nichts.

„Sehr gern. Ich lege Ihnen hier noch einen Fragebogen hin, wie zufrieden Sie mit dem Termin und mir als Berater waren. Gerne ausfüllen. Gibt sogar einen Einkaufsgutschein zu gewinnen.“

„Wow…“, murmelte Dexter desinteressiert und war froh, als er sehr plötzlich wieder allein im Raum war.

Seine Hände krallten sich in die Decke und sein Atem ging viel zu schnell. Er stolperte zum Fenster und riss es auf. Also er hätte es aufgerissen, wenn das denn gehen würde. Aber er konnte sie nur ein wenig kippen. Schnell streckte er seine Nase, soweit das eben ging, aus dem Fenster. Er brauchte Luft. Hatte Angst zu ersticken.

Neue Tränen schossen ihm immer wieder in die Augen. Unaufhaltsam rannen sie an seinem Gesicht herunter. Wie hatte ihm das nur passieren können? Es war eine Party gewesen. Wie sie so viele hatten, seit sie ihren Schulabschluss hatten. Eine Party von vielen. Sie hatten getanzt, gelacht, gegrölt und getrunken. Dexter sah es bruchstückhaft wie einen Film vor sich ablaufen. Aber dann… dann hatte er einen Filmriss. Zu viel getrunken. Klar. Passierte. War doch kein Drama.

Erwacht war er auf einer Bank am Radweg. Wie so ein Penner, hatte er noch gedacht und war ein bisschen traurig gewesen, dass er nicht, wie in einem schlechten Film, nackt neben einem Adonis mit Arschschmerzen aufgewacht war. Gut, sein erstes Mal würde er schon gern bewusst erleben, aber so lief sowas doch ab, oder?
Nein, Dexter war auf einer Bank aufgewacht. Voll bekleidet und voll verkatert. Er hatte vermutet, dass er einfach allein los gelaufen war und sich dann da hingehauen hatte. Gut, das wäre ein Umweg gewesen, aber seinem besoffenen Hirn würde er sowas durchaus zutrauen.

Erst zu Hause hatte er die komische Wunde gesehen und sich erstmal nichts weiter dabei gedacht. Aber zwei Tage später hatte das Ding reichlich entzündet ausgesehen und tat weh. Also war er zum Arzt gegangen und dann schnell hier gelandet. Ein Lykanthrop hatte ihn gebissen und damit alles verändert. Dexter konnte noch gar nicht überblicken, was nun alles auf ihn zukommen würde. Aber was er bereits deutlich bemerkte, waren die Blicke. Angst, Abscheu und Ekel lagen in ihnen.

Er sah aus dem schmutzigen Fenster nach draußen. Er fühlte sich bislang nicht anders. Ab wann würde er es merken? Die Ärzte hatten seinen Blutstatus gemessen. Er hatte sich definitiv infiziert. Nur leider keine Ahnung, was das für ihn und sein Leben bedeuten würde…

Werwolf wider Willen - wird fortgeführt auf StorybanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt