Kapitel 18 - Instinkte?

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Dexter ließ Mr Hurt einfach weiter reden. Der erzählte und erzählte einfach immer weiter. Aber was wichtig wäre, würde Dexter hoffentlich auch so noch irgendwo lernen. Denn er konnte das einfach nicht alles auf einmal aufnehmen.

"- Da muss man dann schauen. Die Charaktereigenschaften sind äußerst interessant im Hinblick auf mögliche Rangfolgen. Es gibt Untersuchungen, die darauf hinweisen, dass man ein Kind theoretisch dazu erziehen könnte, später in jedem Fall die Alpharolle einzunehmen. Also es ist ein Zusammenspiel von Anlagen, Erziehung, Neigung und Interesse. Tatsächlich ist auch derjenige, der einen infiziert relevant, selbst wenn sich die beiden Personen nie sehen. Es können nicht alle Indianer Häuptlinge sein, sage ich immer. Aber es scheint in den meisten Fällen tatsächlich sehr friedlich abzulaufen. Man sollte meinen, es wären richtige Kämpfe. Aber untereinander agieren Werwölfe meist ausgesprochen sozial. Wie ging es dir bei deinem ersten Vollmond?"
"Äh... Ich hab mich in einem alten Hundezwinger verschanzt und äh.... Da waren große kräftige Wolfsrüden und äh....", machte Dexter. Wie sollte er das denn jetzt erzählen???

"Ah, verstehe. Ja, die Sexualität ist bei Werwölfen äußerst komplex. Es ist sehr spannend, dass du das erlebt hast.", begeisterte sich Mr Hurt und wirkte absolut nicht angewidert.
"Äh... Ich hätte lieber drauf verzichtet."
"Das ist gut zu wissen. Der erste Vollmond ist für die meisten prägend. Es könnte sein, dass du beim nächsten Mal an deiner menschlichen Form klammerst, um nicht noch einmal Erfahrungen zu machen, die dich beim ersten Mal im Nachhinein auf eine negative Weise beschäftigt haben. Das sind für uns wichtige Basisinformationen, um dich korrekt einzuschätzen. Demnach hattest du aber keine Lust gegen die anderen Wölfe zu kämpfen?"
"Äh... Nein? Äh... aber die wollten ja auch nicht kämpfen. Und selbst wenn... Die waren drei Mal so groß, drei Mal so schwer und zehn Mal so stark wie ich. Ich wollte meine Ruhe und das möglichst heil überstehen. Und der Wolf..."
"Ja? Was wollte dein Wolf? Du brauchst dich für nichts zu schämen. Wir haben hier alles schon gehört und gesehen. Steh darüber. Wir wissen dass der menschliche Teil ohne Trank, besonders untrainiert, absolut keinen Einfluss nehmen kann."
"Äh... Der wollte... Also... Äh..."
"Wollte er gezielt gedeckt werden oder ging es generell um den Sexualakt? Also nicht auf eine Position bezogen?"
"... Ersteres..."
"Gut. Gut. Sehr gut. Das ist ausgesprochen gut."
"Ach echt?"
"Ja. Das bedeutet, dass dein Wolf kein Problem hat sich zu unterwerfen und Dominanz auf ihn sogar eine gewisse Wirkung hat. Das sind für eine Integration in ein Rudel beste Voraussetzungen."
"Oh... Gut...", murmelte Dexter und fragte sich, ob er dann geil werden würde, wenn ihn wer angreifen würde... Das wollte er bitte lieber nicht.

"Keine Sorge. Beim nächsten Vollmond könnte sich dein Wolf völlig anders verhalten. Was war das bestimmende Gefühl der Nacht aus deiner Sicht?"
"Er wollte nicht allein sein. Er hatte Angst allein zu sein..."
"Ja. Das ist der Rudeltrieb. Das ist wirklich ausgesprochen gut. Sehr gut. Also wusstest du- Oh, ich rede zu viel, oder?"
"Äh..."
"Für ein glaubhaftes Nein ist es jetzt zu spät. Entschuldige bitte. Es ist nur... Mich faszinieren Werwölfe. Immer schon. Ihr Sozialverhalten. Die Ausprägungen. Wer wird dominant und wer nicht? Ich hab schon Leuten gegenüber gesessen, bei denen war die Diskrepanz diesbezüglich zwischen Mensch und Wolf sehr sehr groß. Bei einigen ist sie absolut gering. Es ist faszinierend. Auch das Alter, in dem man es bekommt ist sehr ausschlaggebend und - Oh. Da fange ich schon wieder an. Verzeih."
Dexter nickte.

"Gut. Ich würde sagen, ich zeige dir dein vorläufiges Heim. Solange Adam hier ist seid ihr im Gästehaus. So kommt sich geruchstechnisch keiner in die Quere."
"Oh. Okay."
"Die nächsten zwei Tage aklimatisierst du dich erstmal. Der Ernst des Lebens beginnt dann erst nach dem Vollmond. Passt das soweit?"
"Oh. Ja. Natürlich."
"Sehr gut. Dann komm. Adam müsste schon da sein."

-

Dexter konnte sich nicht davon abhalten, seinen Kopf gegen Adams Brust zu reiben, sobald er ihn in einer kleinen Holzferienhütte außerhalb des Schulgeländes sah.

"Ach, da biste ja wieder.", murmelte der.
"Danke", murmelte Dexter.
"Schon gut, Nervensäge, schon gut.", schnaubte Adam und versuchte erfolglos Dexter weg zu schieben. Bei einem Knurren würde der sofort parieren. Das wussten sie beide. Und sie wussten auch beide, dass Adam sein Verhalten okay fand, wenn er nicht knurrte.

In den letzten Tagen waren sie zu einem abgefahreren kleine Rudel geworden und Dexter wusste, dass er Adam sehr vermissen würde, wenn der gehen würde. Auch wenn der nicht wirklich nett war oder irgendwas. Aber sie waren eben die ganze Zeit zusammen und wenn auch notgedrungen, Adam kümmerte sich um ihn. Kontakt über das Handy zu halten klang super. Aber Adam besaß keins. Vermutlich würden sie sich irgendwann wieder über den Weg laufen. Aber wenn alles nach Plan verlaufen würde, wäre Dexter dann Mitglied eines Rudels und könnte Adam damit nicht zu nah kommen. Ihre gemeinsame Zeit hatte also eine Deadline. Und Dexter war unendlich dankbar, dass Adam diese nochmal um zwei Tage verlängert hatte.

"Nun, wir beliefern euch mit Essen aus der Schulkantine. Wir sind ausgezeichnet für unser Gutes Essen. Die nächsten zwei Tage könnt ihr euch frei bewegen. Aber danach-"
"Gehe ich. Ja.", sprach Adam und fixierte Hurt.

Dexter hatte das Gefühl, als würden seine Ohren zucken. Die Stimmung war komisch. Warum?
Alles in ihm schrie danach, sich hinter Adam zu begeben und weil er sich dagegen eh nicht wehren konnte, tat er genau das.
Adam und Hurt lächelten sich knapp zu. Augenscheinlich war alles in Ordnung. Aber er war sich sicher, dass etwas komisch gewesen war. Warum? Was war?

Ihm entkam ein hilfloses Fiepen, woraufhin Adam ihn im Nacken zu sich zog und die Hand dort lies.
Dexter genoss diese externe Beruhigung, die sich sofort wohlig warm in ihm ausbreitete.

"Nun, dann wäre das ja geklärt. Dann wünsche ich einen angenehmen Aufenthalt. Wir sehen uns spätestens bei Vollmond."
Dexter sah instinktiv zu Adam. Er würde erst nach seinem Rudelführer sprechen.

"Tschüss.", brummte der.
"Bis dann.", sprach Dexter schüchtern und drückte sich enger an Adam. Sah so nicht, wie Mr Hurt ging und hörte es nur. Und roch es.

"So. Wieder Werwolf oder noch länger Kuscheltier?", fragte Adam und ging wieder zu diesem schroffen Tonfall über.

"Was war das eben?"
"Ach was? Kriegen wir so langsam unsere Instinkte geregelt?"
"Ja...."
"Eine persönliche Unstimmigkeit zwischen mir und dem Hampelmann. Für dich nicht relevant."
"Äh... Aber ich soll hier bleiben?"
"Ja."
"Äh..."
"Komm. Wir gucken uns den Wald an."
"Ada-"
"Ich sagte: Für dich nicht relevant und dass es persönlich ist. Es geht dich nichts an. Komm."

Es war nur ein unterschwelliges, ganz leichtes Knurren. Trotzdem reichte es. Dexter fragte nicht mehr. Aber er merkte sich das trotzdem.

Werwolf wider Willen - wird fortgeführt auf StorybanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt