Prolog

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"...bitte im Buch die Übungen 34, 37 und 38 bis nächsten Dienstag machen."
Mit diesem Satz beendete mein Mathelehrer die Stunde. Zum Glück. Beinahe hätte ich meinen schweren Kopf auf der holzigen Tischplatte nicht mehr aufstützen können und wäre eingeschlafen. Ich hörte die Stühle hinter mir, die zurück geschoben wurden und wie sich alle aufmachten, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen. Da fiel mir ein, dass ich heute auch den Bus nehmen musste. Meine Miene wurde ernster und genervter. Ich hob die Hand und fuhr mir langsam durch das lange dunkelblonde Haar um es zu lockern und riss an ein paar Haarknoten an der Kopfhinterseite. Herr Schindler schien mein Desinteresse am Nachhilfekurs für Angewandte Mathematik mitbekommen zu haben, denn er zwinkerte mir aufmunternt zu während er Papiere zusammenkramte und schielte dann auffordernd zur Tür. Also nahm ich seufzend meine Bücher, klaubte das zerbrochenes Lineal und den angekauten Kulli zusammen, packte es in den Rucksack, schob meinen Stuhl ebenfalls nach hinten und genau jetzt, wo ich das erste Mal seit einer Stunde so richtig aufblickte und mich umsah, merkte ich erst, dass schon längst alle verschwunden waren. Ich nahm meine Sachen und packte die Jacke unter meinen Arm. Hastig lief ich also zur Tür, immer den Gedanken im Hinterkopf, nicht den letzten Bus nach Hause zu verpassen. In meiner Tollpatschigkeit übersah ich aber die kleine Stufe zwischen dem Klassenzimmer und dem Schulflur. Bevor ich wusste wie es mir geschah, stürzte ich auch schon elegant über dieses Hindernis. Zum
Glück konnte ich dieses Malheur noch retten, indem ich mich mit meinen zerkratzen Händen am Boden aufstützte um somit einen lauten Sturz verhindern zu versuchte, was leider fehlschlug. Kurz lachte ich gespielt, während ich mich selbstbewusst aufrappelte und meinen Rock abklopfte. "Man hat diesen Aufprall bestimmt durch die ganze Schule gehört", dachte ich und ich spürte wie mir das Blut ins Gesicht schoss. Ich nahm meine Jacke von der ich erst jetzt merkte, dass sie am Boden lag und ging weiter, ohne einen Blick zu meinem Mathelehrer zurückzuwerfen, der sich das hönische Lachen nicht verkneifen konnte. Ich war schonwieder den Tränen nahe und es stellte sich wieder die gewohnte, tägliche Frage: "Warum passiert soetwas immer mir?".

Ich verließ das alte, schlichte Schulgebäude ärgerlich und ging den kurzen, langweiligen und unebenen Weg zur Bushaltestelle wo schon alle anderen auf den Bus warteten. Mein gewohnter Sitzplatz auf der Bank neben dem Mülleimer war wie immer frei. Es roch nach Schweiß, Zigaretten und Alkohol. Kurz und ehrlich gesagt, eben hald nach meinen Mitschülern. Mir verdrehte es bei dem Geruch immer den Magen, also hielt ich mir eine Hand vor die Nase. Als ich langsam zu meinem gewohnten Platz schritt, starrten mich alle an. Ich blieb stehen und schaute mich um. Konnte ich nicht einfach einmal normal auf den Bus warten? Mit meiner noch freien Hand, strich ich mir den Staub von meinem schwarzen Rock. Ich blickte auf und meine Miene wurde jetzt noch ernster - vielleich ein bisschen zu Ernst, denn ein kleiner Junge gegenüber von mir begann zu weinen. In mit brodelte es, doch von außen war ich kalt. Meine Mitschüler flüsterten miteinander, kicherten, und schauten dann wieder zu mir. Ich ignorierte dieses kindische Getue, und so setze ich meinen Weg zu meinem Platz fort, der aber von der Hupe des Busses der gerade auf die kleine, angesammelte Haltestelle einbog, unterbrochen wurde. Ich blieb stehen und kontrollierte ob es auch der richtige war. Leider ja, und so hatte ich keine Zeit mehr, neue Sprüche auf meinem Tumblr-Account zu posten.

Ungeduldig drängelte ich mich zwischen den Leuten zur Bustür und stieg ein. Mein gewohnter Busplatz war frei und so stellte ich meinen Rucksack dort ab, legte meine Jacke auf den Sitz und komfortierte mich auf den weichen Platz. Die Viertelstunde Busfahrt verbrachte ich damit nachzudenken. Wie immer war es nicht einfach, denn der Bus war überfüllt und es war laut und stickig.

An meiner Haltestelle schubste mich jemand aus dem Bus und schon zum zweiten Mal an diesem Tag flog ich durch die Luft. Diesmal konnten meine Hände sich nicht abstütze und ich schlug mit dem Kopf auf dem Asphalt auf. Das letzte was ich hörte bevor der Bus seine großen Türen verschloss, war dumpfes, hönisches Lachen meiner Mitschüler. Zitternd rappelte ich mich auf und sah auf meine Beine. Auf meinem, mit Narben übesähtem Schienbein tropfte Blut. Ich biss die Zähne zusammen und sah wie es langsam auf den grauen Asphalt auf dem ich meine abgeschürften Hautfetzen erkannte, hinunter kullerte. Doch dann lächelte ich und freute mich über mehr Narben die ich an den Beinen hatte. Doch jetzt, genau in diesem Moment, schoss mir ein Gedanke. Und einen Augenblick später hatte ich mir diesen Gedanken schon in den Kopf gesetzt. Ich rannte den kurzen Weg, an der alten Schneiderei und der Kirche entlang, vorbei an den neuen Wohnblöcken in denen mein Cousen nun wohnte, hin zu einem kleinen Einfamilienhaus. Hastig und aufgeregt suchte ich meine Schlüssel in meinem 'Chaosrucksack' , wie meine Mutter ihn immer nennt, um so schnell wie möglich in mein Zimmer zu kommen.

Als ich die massive Holztür endlich wegstieß und ins Haus gelang sah ich einen Zettel von meiner Mutter. "Mirabella, bitte Zimmer aufräumen." Ich schnaufte. Wie ich es hasste, wenn sie meine ganzen Namen nannte. Ich griff mir auf den Kopf und spürte eine Flüssigkeit. Als ich meine Hände vor mein Gesicht hielt, sah ich Blut. Ach ja, da war ja was. Genervt hing ich meine Jacke auf und sah, dass sie lauter Risse hat. Dies würde mich aber trotzdem nicht von meinem Beschluss abhalten und so lief ich über den knarrenden Lioleumboden zu meinem Zimmer.

Ich öffnete die mit Postern und Schildern versähte Tür, trat ein, warf den Rucksack in die Ecke und blickte in den Spiegel. Er zeigte er unglaublich hässliches Gesicht mit viel zu großer Nase, Pickeln, riesen Ohren und zu hoher Stirn. Mir rannen bei diesem Anblick die Tränen über das Gesicht die sich mit dem Blut meiner Platzwunde vermischten und für einen kurzen Moment, hinter all meinen Tränen und Narben, sah ich ein glückliches Mädchen. Doch dann wich ich langsam zurück und schmiss mich aufs Bett. Mir war schwindelig und um mich drehte sich alles. Meine Augen schlossen sich wie von selber und ich heulte in mein rosanes Kissn. Immer mehr Tränen kullerten über meine Hamsterbacken, es wollte garnicht mehr aufhören. Dann nahm ich all meinen Mut zusammen und holte die schlicht weiße Tablettenschachtel ohne Beschriftung mit einem Seufzen unter meiner staubigen Matratze hervor.

~ Puuuuuh mein erstes 'Kapitel' sozusagen :3 Ist ein bisschen lang, aber ich wollte gleich von Anfang an euch Mirabellas Leben ein bisschen näher bringen :) Fortsetzung folgt bald ^-^

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