Fake People. Fake People everywhere.

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Mein Wecker klingelte um die gewohnte Uhrzeit. Das schrille Geräusch machte meine Stimmung schonwieder nieder. Am Liebsten hätte ich mich wieder umgedreht und weitergeschlafen. Doch ich musste aufstehen. Das hatte ich mir gestern, als ich stundenlang wachgelegen bin, versprochen. Ich würde mich vor nichts mehr zurückhalten und allen zeigen was wirklich in mir steckt. Müde erhob ich mich und rieb mir die Augen. Ich hatte eigentlich ganz gut geschlafen. Dann stand ich auf und zog mich an. Schwarzer Pulli, schwarze Leggin, schwarze Socken und schwarze Schuhe - Standart im Sommer.

Ohne einen Bissen zu Essen verließ ich schnell das Haus und 'überhörte', dass meine Mutter mir nachschrie.
Mein Schulweg war nicht allzu lang, aber trotzdem begab ich mich nicht sehr gerne nach draußen. Lieber saß ich daheim, spielte Ego Shooter, Zeichnete oder lernte mir selber Griechisch. Ich lebte eben in meiner eigenen kleinen Traumwelt, was 99% der Gesellschaft einfach nicht akzeptieren wollten.
Ich war so tief in meinen Gedanken versunken, dass ich den entgegenkommenden Radfahrer nicht schnell genug ausweichen konnte, zusammengefahren wurde und ehe ich mich versah, lag ich von einem dumpfen Geräusch gefolgt, am harten Asphalt.

Es dauerte eine Weile bis ich begriff was geschehen war. Ich rappelte mich auf und sah auf den Radfahrer der gerade sein Fahrrad kontrolliere. Dann blickte der junge Mann mich an.

"Pass das nächste Mal besser auf, du Fratz!"

"Entschuldigung, das war nicht mit Absicht, ich..."

Er ließ mich nicht ausreden sondern stieg auf sein Mountainbike, schüttelte den Kopf und radelte davon.

Nun kam ich auch noch zu spät.
Noch deprimierter als ich schon war, erreichte ich dann also das Schulgebäude. Ich trat ein, lief über die Marmorstiegen in den zweiten Stock und ging ans Ende des Flures, vorbei an dem Lehrerzimmer und unseren Parallelklassen.
Vor meinem Klassenzimmer, der 8a, schnaufte ich einmal tief durch und versuchte mich zu beruhigen. Ohne lang nachzudenken, klopfte ich zweimal, wartete nicht auf ein "HEREIN", sondern trat ein.

Die Blicke meiner Mitschüler durchbohrten mich regelrecht.
Es war eine langanhaltende peinliche Stille, die mein Kunstlehrer mit den Worten "Grüß Gott" unterbrach.
Ich nickte ihm zu und setzte mich auf meinen freien Platz in der hintersten Reihe am Fenster. Ich saß immer alleine. Das war schon seit Schulanfang so. Der Tisch war unverändert. Und auch meine Sachen lagen noch im Tischfach.
Noch immer sahen mich meine Mitschüler an, als ob sie einen Alien gesehen hatten. Ich lächelte frech und zufrieden. Damit hätten diese Schweine nicht gerechnet.
Mein Lehrer klopfte zweimal auf den Tisch - es drehten sich alle um - und führte die Stunde normal, aber doch ein bisschen verwundert, weiter.

Als es zur großen Pause läutete, holte ich mein Pausenbrot aus meinem Rucksack und begann zu essen.
Josh, der Anführer sozusagen der Klasse, schmiss sich auf den Holzstuhl neben mich und musterte mich aufmerksam.

"Noch immer so fett, du Elefant, hm? Deine Essensangewohnheiten hast du anscheinend nicht vergessen oder , hahahhah!"

Die Klasse lachte.

Ich ignorierte ihn gekonnt.

Dann trat Michelle hinter mich und fasste mir an die Schulter, nahm meine Jause und hielt sie in die Luft.

"Lass sie doch Josh, wenn sie eine Mayonese-Schnitzel Diet machen will, dann soll sie. Hm, Kleine, hast wohl auch vergessen wie man redet?"

Dann holte sie aus und schmierte mir mein Brot auf meinen Pulli.

Die Klasse lachte wieder. Diesmal hönischer und gemeiner.

Ich blickte auf den Pulli. Er war von meiner besten Freundin. Sie hat ihn mir zu Weihnachten geschenkt. 4 Wochen bevor sie... Naja egal. Jetzt war ich den Tränen nahe. Ich biss mir auf die Lippe. Nein, nicht weinen. Bleib stark. Bitte. Nur einmal.

Aus dem hinteren der Klasse hörte ich meine Mitschüler rufen.

"Seht mal, hab garnicht gewusst, dass Nilpferde auch heulen können."

"Wie man Aufmerksam bekommt, hat sie wohl auch nicht vergessen, HAHAH!"

Ich stürmte aus der Klasse und rannte mit Tränen in Gesicht aufs Klo. Sobald ich die Türe hinter mir verschlossen hatte, heulte ich. Lange. Und das schlimmste - ich konnte meine Klasse bis hierher lachen hören. Es hatte sich nichts verändert. Ich war nochimmer das Opfer der Klasse.
Sie wussten von meinem Selbstmordversuch und ihnen war es einfach scheißegal. Ich heulte noch ein bisschen, bis keine Tränen mehr kamen, sondern nur noch hilfloses Geschluchze. Dann sah ich runter auf meinen Pulli. Voll mit Mayonese und Brotkrümmel. Ich nahm einen Fetzem Klopapier und versuchte es wegzuwischen, doch das brachte nichts.

Ich musste abnehmen. Jetzt. Sofort.

Doch Essen war mein Freund. Mein einziger.

War ich traurig, aß ich.
War mir langweilig, aß ich.
Hatte ich gerade erst gegessen, aß ich nocheinmal.
Ich hatte auch Tage, da stand ich um 2 in der Früh auf, ging zum Kühlschrank, und aß.

Übergewicht? Nein. Das hatte ich nicht. Doch mein Bauch war richtig rund. Als wäre ich im 5. Monat schwanger. Ich musste etwas dagegen tun.

Die einzige Lösung, für heute, war zu schwänzen. Ich stand auf, wischte mir die Tränen aus den Gesicht, sperrte die Tür auf und ging zum Spiegel. Die verwischte Mascara wischte ich ab und auch meine Nase putzte ich gründlich.

Kurz lächelte ich mir sogar selber zu.

Ich joggte ich nach Hause. Meine Schulsachen ließ ich in der Klasse. Ich würde sowieso nicht mehr dorthin gehen.
Meine Mutter war auf der Arbeit und so konnte ich ungestört nach kalorienfreiem Essen suchen.
Ich wühlte im Schrank herum und betrachtete jede Verpackung genauestens. Ein Kornspitz hatte 343 Kalorien. Das war zuviel. Ein Vollkornmüsli hatte für eine Portion 404 Kalorien.
Diese scheiß Kalorien, dieses scheiß Essen.

Ich schloss den Schrank und ging zum Obstkorb. Dann hob ich einen Apfel hoch.
"Zu viel Fruchtzucker", schoss es mir.
Ich legte ihn sofort wieder zurück.

Ich kam schlussendlich auf die Lösung Wasser zu trinken bis ich voll war.

Doch zuerst rannte ich aufs Klo und kotze mein Pausenbrot wieder heraus.
Es fühlte sich gut an. Als hätte wäre ich dünner. Als wäre ich hübsch.

Ich stellte mich vor den Ganzkörperspiegel, hob meinen Pulli an und betrachtete mich.

Ich sah ein unglaublich hässliches Mädchen, ohne Selbstbewusstsein. Kopfschüttelnd zeigte ich mir selber im Spiegel den Mittelfinger. Dann wich ich nachdenklich ab.

Das mit den Wasser hatte übrigens gut geklappt. Ich hatte danach garkeinen Hunger mehr und hatte auch 0 Kalorien zu mir genommen.
Stolz ging ich in mein Zimmer und räumte meine Liebeskummerschokolade, unter meinem Bett, weg.

Ich werde abnehmen. Ich werde dünn sein. Und ich werde allen beweisen, dass ich auch so sein kann, wie sie.

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