Kapitel 1

38 3 0
                                    

«Ohne mich hättet ihr nur halb so viel Spass.», scherzte ich und schaute meine zwei Cousinen, die vor mir sassen mit einem schiefen Grinsen an. Belustigt verdrehten beide die Augen und konnten sich ein Lachen nicht verkneifen. Aufgrund der Semesterferien hatten wir alle drei beschlossen unsere freie Zeit in unserer Heimatstadt Strugë zu verbringen. Es war so unglaublich schön wieder hier zu sein. Sooft sehnte ich mich nach diesem Ort. Manchmal sind es die kleinsten Momente und Dinge, die mich zurückbringen, wie zum Beispiel der Geruch von verbranntem Holz, manchmal ist es eine Eule, die in der Abendstunde ruft oder aber das Zirpen der Grillen in der Nacht. Es sind die kleinen Dinge und obwohl ich in der Schweiz geboren und aufgewachsen bin, fühlte ich wie mein Herz an diesem Ort aufblühte. Hier konnte ich mich entspannen, glücklich sein und alle Probleme dieser Welt vergessen. Die Heimat ist meine Art von Zufluchtsort, wo ich unbeschwert bei meinen Liebsten sein kann. Ich liebte es hier, die Leute, das Essen und die wunderschöne Atmosphäre. Ist es nicht das was eine Heimat ausmacht?

Obwohl wir uns eigentlich so gut wie immer in Strugë befanden, waren wir heute mal zusammen in Ohër, in der achtgrössten Stadt Nordmazedoniens. Sie liegt im Südwesten des Landes am Ohridsee, unweit der albanischen Grenze. Die gut erhaltene Altstadt mit den vielen Kirchen, Klöster und Moscheen sowie der grosse, Millionen Jahre alte See ziehen nicht nur Fremde aus den Balkanländern, sondern auch Menschen aus dem übrigen Europa an – genauso wie uns. Gerade sassen wir in einem kleinen aber schönen Restaurant ganz nah am kristallklaren Wasser, wo wir umgeben von den malerischen Bergen waren. Die tollen Lichter der Stadt konnte man von hier aus erkennen, die wie Lichterketten wirkten, weil überall eine andere Lichtfarbe zu sehen war. Mit der ruhigen Musik im Hintergrund und der warmen Abendluft, herrschte eine angenehme Stimmung.

«Ich muss meinen Flug unbedingt einchecken, aber ich habe hier so ein schlechtes Netz. Funktioniert es bei euch?», fragte ich die Beiden, während ich meine Stirn runzelte und mein Internet immer wieder an und aus machte. «Nein, ich habe auch kein Netz. Versuch es mal vor dem Restaurant.», sagte Florentina kurz und knapp, da sie gerade zu sehr damit beschäftigt war Fotos von sich zu schiessen. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, stand ich auf und lief mit meinem Handy in der Hand aus dem Restaurant raus.

Als ich schliesslich die ganzen Treppen vor mir sah, seufzte ich leise auf, als liesse sich meine Lustlosigkeit mit diesem einen Atemstoss beseitigen. Da das Restaurant sich ganz unten am Wasser befand musste ich mich hier jedoch hoch zwingen, um zurück zum Gehweg zu gelangen. Als ich endlich an einer Sitzbank angekommen war liess ich mich dort erschöpft nieder und versuchte erneut meinen Flug einzuchecken, bis mich ein gewaltiger Geruch von Marihuana überkam. Ekelerregend verzog ich mein Gesicht. Ich hasste diesen Geruch! Mir war bewusst, dass wir uns ganz nah an der albanischen Grenze befanden und diese Art von Konsum dort nichts Besonderes ist, schliesslich war Albanien von 2015 bis 2019 einer der sechstgrössten Cannabis-Produzenten der Welt und zeitgleich der grösste in Europa, jedoch verstand ich nicht wie man so leichtsinnig mit seinem eigenen Leben umgehen konnte? Genervt drehte ich mich um und sah ein duzend riesiger in schwarz gekleidete Männer dort stehen, die alle rauchten und sich wild zu unterhalten schienen. Ist das deren ernst? Haben sie eigentlich eine Ahnung wie schädlich das für sie ist? Desinteressiert wendete ich meinen Blick jedoch schnell ab und liess mich wieder auf die Sitzbank nieder, während ich versuchte diesen Gestank so gut es geht zu ignorieren.

«Zisch ab Kleines, was machst du hier um diese Uhrzeit? Es könnte gleich unschön werden für so jemanden wie dich.», hörte ich plötzlich eine so unfassbar tiefe raue Stimme, wodurch sich augenblicklich eine Gänsehaut auf meinen gesamten Körper bildete. Wie bitte? Wer gab jemanden das Recht mich Kleines zu nennen verdammt! Wutentbrannt blickte ich direkt auf und sah wie einer der vielen Männer einige Schritte auf mich zukam. Sein Gang war so elegant und gar fast majestätisch. Er strahlte eine pure Dominanz und Arroganz aus, was mich stark schlucken liess. Wie ein Raubtier kam er auf mich zu und durchbohrte mich mit seinem eisernen Blick. Seine grünbraunen Augen musterten mich aufdringlich, wodurch ich nervös wurde.

PergjithmonëWo Geschichten leben. Entdecke jetzt