Episode 1

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Zur nächsten Seite blätterte ich um, kniff die Augen zusammen. Seit gut einer Stunde verharrte ich angestrengt in derselben Position. Normalerweise beruhigte mich Lego-Bauen, aber heute war es etwas Anderes. Ausschließlich tat ich es, um mich vom Handy abzulenken. Ständig trifteten meine Gedanken ab. Dummerweise zum Handy.
Mit beiden Händen tätschelte ich meine Wangen und fokussierte mich auf die Anleitung. Tippte auf den Stein, welchen ich als Nächstes brauchte. Den Haufen an Legosteinchen wirbelte ich durcheinander, zerrte einen nach dem anderen hinaus, bis ich meinte, den Richtigen gefunden zu haben. Mehrmals glich ich diesen mit der in der Anleitung ab. Wandte ihn tausend Mal. Mehr aus Frust als tatsächlichem Wissen schätzte ich ihn als den Richtigen ein und drückte ihn fest auf den unteren Stein. Seltsam stand er ab und schloss nicht annähernd mit den anderen Kanten auf. Dazu ähnelte die Farbe zu dem darunter nicht im Entferntesten. Genervt stöhnte ich auf und pulte den Stein mühselig ab. Am liebsten hätte ich ihn über die Tischplatte gepfeffert, aber das Raumschiff sollte irgendwann doch fertig werden. Plus ich mochte keine Unordnung auf dem Boden. Joongies Chaos reichte mir-
Abrupt stoppten meine Gedanken, als hätte jemand in Sims die Aktion gelöscht. Vor rund drei Stunden hatte ich ihm eine Nachricht geschrieben, wann er nach Hause kam. Hatte ich bisher eine Antwort bekommen? Natürlich nicht.
Jeden einzelnen Stein musterte ich. Zum größten Teil, um mich wieder von meinen Gedanken an Joongie abzulenken. Doch sobald ich nur seinen Namen dachte, erinnerte ich mich an die unbeantwortete Textnachricht. Vermutlich war er im Studio. Wenn er dort war, hatte er keine Zeit, aufs Handy zu schauen.
Innerlich spürte ich Wut, die in mir brodelte. Wandelte sich dann schnell zu Trauer. Wie sehr ich ihn-
Ich zwang mich, auf die einfarbigen Steine zu konzentrieren. Gefühlt jeden hielt ich gegen die Zeichnung in der Anleitung, bis ich mich schließlich für einen entschied. Perfekt schmiegte er sich an den Darunterliegenden. Freude kroch durch meinen Körper, was mir einen Funken Motivation verlieh, das Raumschiff zu Ende zu basteln. Doch der nächste Stein passte schon wieder nicht. Ungeduld löste die Motivation ab und ich sank erneut in mich zusammen. Automatisch wanderten meine Gedanken zu Joongie, zur unbeantworteten Textnachricht...
Im Augenwinkel erhaschte ich ein Aufblinken. Joongie, mit Sicherheit. Sofort rollte ich hinter zu meinem Bett und griff nach dem Handy. Enttäuschung füllte meinen gesamten Magen. YouTube. Jemand hatte ein neues Cooking-ASMR Video hochgeladen. Kurz davor war ich, mein Handy gegen die Wand zu schleudern.
Ich war ihm egal. Seine Musik war ihm wichtiger. Was mit mir war, interessierte ihn nicht annähernd.
Seufzend legte ich den Kopf in den Nacken und hievte meine Füße aufs Bett. Ich starrte zum Stockbett, in welchem Joongie schlief. Gott. Ich vermisste ihn, dass es wehtat. In meinem Magen rumorte es, bis zum Schluss üble Bauchschmerzen zurückblieben.
Mehrmals blinzelte ich, um aufkommende Tränen zu verdrängen, aber dazu war es zu spät. Vor Weinen bebte mein gesamter Oberkörper. Alle zehn Sekunden hallte dieselbe Phrase durch meinen Kopf; ich war ihm egal.
Durch meine Finger erspähte ich sein Chaos. Jacken, Hosen und Socken sammelten sich rechts vom Bett in einem Haufen. In mir stieg Ekel und Wut auf, dass ich mich aufrichtete und das Zeug packte. Für einen Moment hielt ich Inne. Seine Jacke verströmte den Duft seines Parfüms. Ich erwischte mich dabei, dass ich zwei, dreimal tiefer einatmete. Leer starrte ich gen Tür. Was war aus mir geworden? Wie verzweifelt war ich mittlerweile?
Erneut bildeten sich Tränen in meinen Augen, die ich glücklicherweise noch verdrängen konnte. Wenn ich gleich das Zimmer verließ, wollte ich ungern, dass mich jemand heulen sah. Vielleicht waren sie auch beim Training? Zumindest wusste ich von Yeo Sang und Jong Ho, dass sie im Dorm waren, aber die waren meistens auf ihren Zimmern.
Einhändig öffnete ich die Tür und spähte hinaus. Die Luft war rein. Ich schlüpfte durch den Spalt und blieb automatisch stehen, als ich Woo Youngs Hexenlache hörte. Ständig wiederholte er Sannie. Manchmal fragte ich mich echt, ob mehr zwischen Beiden lief. Wie sie sich ansahen, anfassten und miteinander kuschelten. In meiner Brust spürte ich Eifersucht.
Den Flur schlich ich entlang und erhaschte im Augenwinkel die Küche. Woo Young stand am Herd und rührte in einem großen Topf, dicht hinter ihm hielt sich San, welcher sich eng an ihn schmiegte. Sanft küsste er Woo Youngs Nacken.
Beide starrte ich an. Mein Magen rumorte, was weder mit Unverträglichkeit noch mit Hunger zu tun hatte. Ich wollte das auch. Mit Joongie. Nur würde ich ihn niemals in die Nähe der Küche lassen. Erinnerungen an Teig, der aus dem Waffeleisen quoll, fielen mir ein. Jedenfalls hatte ich nun die Antwort auf meine Frage, ob sie was miteinander hatten.
>> Hyung? <<, hörte ich Sans Stimme fernab der Realität. Weit standen nun beide voneinander entfernt. Dachten sie, ich war deswegen stehengeblieben? Indirekt.
Ohne eine Erklärung querte ich den Flur zum Badezimmer. Seine Kleidung sortierte ich in die Wäschekörbe nach Farbe und Temperatur. Nun füllte wieder Leere meinen Körper. Dringend musste ich etwas tun.
>> Hyung? <<, sagte diesmal Woo Young, als ich auf dem Rückweg an der Küche vorbeikam.
Eiskalt ignorierte ich ihn. Stattdessen beschleunigte ich meine Schritte. Hinter mir schloss ich die Tür und lehnte mich rücklings gegen diese. Im Zimmer guckte ich mich um. Sehr staubig war es nicht, aber ich brauchte Beschäftigung. Über Bluetooth verband ich meine AirPods und entschied mich für die neuste Folge eines True-Crime-Podcasts. Erst später im Verlauf der Folge stellte ich fest, dass die Frau den Typen aus Eifersucht umgebracht hatte, weil er ihr ständig Avancen gemacht hatte, allerdings sich nicht zu ihr bekannte. Etwas zu nah an der Realität.
Jede Fläche staubte ich ab, saugte übergründlich und wischte feucht über den Boden. Dort, wo Licht hinfiel, blinkte es.
Zufrieden ließ ich mich auf dem Bett nieder und schaute mich im Raum um. Keine Sekunde später kehrte die Leere zurück, sodass ich kurzerhand beschloss, den restlichen Dorm auch noch sauber zu machen.
Ich saugte durchs Wohnzimmer, was Yun Ho und Min Gi beim Zocken nervte. Durch die Küche wischte ich, in welcher ich San und Woo Young beim Rumturteln störte. Aus Frust über mein miserables Liebesleben genoss ich ihr genervtes Aufstöhnen umso mehr. Letzter Stop war das Bad. Wanne, Toilette und Becken schrubbte ich gründlich. Reinigte die Fließen auf Hochglanz. Zum Schluss ging ich zu Yeo Sang und sagte ihm, dass er gefälligst die Socken unter seinem Bett hervorholen sollte. Ohne sein Kommentar abzuwarten, schloss ich die Tür.
Zurück im Zimmer setzte ich mich an meinen Schreibtisch, begutachtete die verteilten Lego-Steine. Im selben Moment erklärte der Podcast-Host, wie die Frau ihren Crush zerteilt hatte. Stopp. Jetzt reichte es. Joongie wollte ich nicht in Stücke hacken. Ich wollte, dass er in meiner Nähe war. In meinen Armen. Seine Lippen wollte ich auf meinen spüren. Wollte ihn berühren. Zusammen mit ihm einschlafen... in einem Bett.
Bevor sich wieder Tränen in meinen Augen sammelten, startete ich den nächsten Ablenkungsversuch. Aus der Nachttischschublade zerrte ich mein iPad. Pyjama kramte ich unter der Bettdecke hervor. Mit allem ging ich ins Bad hinüber und ließ Wasser ein. Lavendelöl träufelte ich hinein. Das Tablet positionierte ich auf der Wannenablage.
Vorsichtig stieg ich ins heiße Wasser und suchte bei Netflix ein angefangenes Rom-Com-Drama. Egal, wie sehr ich mich konzentrierte, dachte ich an Joongie. Dass ich dabei meinen eigenen Körper anfasste, machte es nicht besser. Insbesondere, als ich-
Zum ersten Mal tat das Drama, was es sollte, mich nämlich abzulenken. Der Hauptprotagonist war hinreißend schön.
Fünfzehn Minuten vor Folgenende wusch ich meine Haare. Ich ließ das Wasser ab und stieg aus der Wanne. Wickelte mich in mein Handtuch. Bevor ich Skincare machte, schlüpfte ich in meinen Seidenpyjama. Sanft drückte ich die Tuchmaske zum Schluss an.
Kurz reinigte ich die Wanne und verließ das Bad. Nachdem ich mein Zeug im Zimmer abgelegt hatte, setzte ich mich mitsamt Handy aufs Sofa. Obwohl ich nicht sollte, öffnete ich KakaoTalk. Nach wie vor hatte Joongie meine Nachricht nicht gelesen. Traurigkeit schwoll in meiner Brust an.
Ich wechselte zu Pinterest. Sogar dort verfolgte mich Joongie. Jedes Bild schaute ich mir im Detail an. Gott. Er war so attraktiv. Irgendeins, auf welchem er umwerfend aussah, lud ich mir runter und stellte es als mein Homescreen ein. Eine Weile starrte ich ihn darauf an, bis ich mein Handy sperrte. Mit der Displayseite nach unten schob ich dieses unter meinen Hintern. Automatisch blickte ich zum Fernseher, auf welchem Min Gi als Luigi und Yun Ho als Mario sich ein Autorennen lieferten.
Mir war langweilig. Langweile ließ mich an Joongie denken. Ich schloss die Augen und stellte ihn mir bildlich vor. Sein süßes Lächeln, sein hübsches Seitenprofil und sein nackter Ober-
Der Timer für die Tuchmaske riss mich aus meinem Tagtraum. Einesteils war ich ihm dankbar.
Unterm Gehen streifte ich die Maske vom Gesicht und schmiss sie in den Mülleimer im Bad. Leicht klopfte ich das restliche Serum ein und setzte die letzten Schritte meiner Skincare-Routine fort.
Als ich auf dem Rückweg an der Küche vorbeikam, blieb ich gleich dort. Woo Young meinte, dass er bald mit Kochen fertig war. Am Tisch ließ ich mich nieder und zählte acht Schüsseln. Plötzlich begann mein Herz zu rasen. Kam Joongie früher nach Hause?
Allerdings wurde ich enttäuscht, San hatte sich beim Tischdecken verzählt. Lustlos schlürfte ich die Nudeln hinunter. Am liebsten wäre ich aufgestanden, aber ich wollte nicht unhöflich sein.
>> Es ist nicht giftig <<, hörte ich Woo Young. Dies ging wohl an Yeo Sang, der skeptisch in seinem Essen stocherte. >> Wir kennen uns schon soooooo lange. <<
Yeo Sang lächelte.
>> Deswegen ja <<
Ich massierte meine Schläfen. Für sowas hatte ich jetzt keinen Nerv. Wenn ich etwas sagte, würde Woo Young sowieso nicht auf mich hören, also ließ ich sie streiten. Streiten war ein schlechtes Wort, eher sich gegenseitig triezen, bis Yeo Sang schließlich gewann.
San half ich beim Abwasch. Ständig warf er mir Seitenblicke zu.
>> Hyung <<, sagte er nach einer Weile. Da ich nicht reagierte, stupste er mich an. >> Ist alles oke? Du bist den ganzen Abend schon so komisch. <<
Ich griff nach der nächsten Schüssel und rubbelte mit dem Geschirrtuch schnell drüber. Anscheinend verband er mein Schweigen mit Ablehnung.
>> Woo Youngie und ich- <<
>> Mir ist egal, was zwischen euch ist <<, erwiderte ich, >> Seid nur vorsichtig, ja? <<
Zu einem Schmollen verzogen sich seine Lippen, als hätte ich soeben Shiber zerteilt und mich ihrer Füllung beraubt.
>> Sorry <<, schob ich hinterher, >> Ich bin nur- <<
Ohne, dass ich wollte, brach ich in Tränen aus. San zerrte mich in eine Umarmung, tätschelte meinen Rücken.
>> Egal, wer er ist, er verdient dich nicht. <<
Ich schwieg, nickte lediglich.
Schnell erledigten wir den Abwasch und verkrümelten uns aufs Sofa. Yeo Sang und Min Gi machten zusammen Sport.
An meinem Bein spürte ich die Vibration meines Handys. Joongie, war mein erster Gedanke. Enttäuschung setzte prompt ein, als ich Min Hos Name las.
>> Karaoke? <<

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