1. Kapitel

2 1 0
                                    

Ihr entfuhr ein bitteres Seufzen, als sie einen jungen Mann mit langem dunklem Haar beobachtete, der sich heimlich ein Stück Brot aus seiner Robe fischte. Als er ihren Blick bemerkte, zog er eine mitfühlende Schnute und verschlang das kostbare Stück Energie, indem er es sich in den Mund warf. Da seine Hände mit etwas Abstand an einem der stützenden Holzpfosten gebunden waren, hatte er auch keine andere Wahl, als es derart elegant in seinen Schlund zu transferieren.

Als sie abermals seufzte und sich dann schüchtern hinter ihren aufgeschlagenen Knien versteckte, lächelte er ihr höflich zu.

»Warum haben die dich in einen Käfig gesteckt?« Er sah angeekelt zu seinem schwitzenden Nachbarn, der so stöhnte, als hätte er Schmerzen. »Ich will auch einen Käfig. Beziehungsweise Privatsphäre.« Als er dem Mann mit seinen zusammengebundenen Füßen in die Seite trat, stellte er das Gebrumme für ein paar Sekunden ein, ehe er wieder alle Mitgefangenen mit seinen Lauten belästigte. Sie lagen und saßen auf engstem Raum zusammen. Vielleicht dreißig oder vierzig Menschen. Es war verhältnismäßig still.

Sie erwiderte sein Lächeln. »So habe ich es noch gar nicht gesehen. Ich bleibe vielleicht doch besser hier drin.«

»Und?« Er blinzelte auffordernd. Die Farbe seiner Augen war ebenso rabenschwarz wie die seiner zusammengebundenen Haarpracht. Der Augenform nach musste er aus dem fernen Osten kommen.

»Hm?«

»Warum kriegst du 'ne Extrawurst? Hast du was besonders Spektakuläres angestellt?« Er deutete auf die anderen Menschen in diesem dunklen Raum. Sie alle waren irgendwie gefesselt, aber niemand steckte in einem Käfig. »Lass mich raten. Hundert Prozent altes Blut! Oder hast du einen Soldaten abgefackelt? Eingefroren? Geröstet?« Er plapperte frischfröhlich weiter, doch als sie nachdenklich ihren Mund öffnete, um auf die Frage zu antworten, verstummte er urplötzlich.

»Ich habe eine Kaserne gesprengt.«

Er öffnete seinen Mund und schloss ihn wieder, die Brauen verwirrt verzogen. »Was zur Hölle hat so ein schmächtiges kleines Ding wie du in einer Kaserne des echtranischen Reiches verloren?«
Sie hob ihre Schultern und verzog die Mundwinkel. »Hab mich verlaufen. Ich weiß auch nicht mehr so recht. Es war dunkel und ich hatte Hunger.«

»Und dann«, er gestikulierte mit seinen Armen herum, soweit es ihm mit den Fesseln möglich war, »hast du den Laden gesprengt? Wie kann ich mir das vorstellen?«

Sie machte eine ausladende Bewegung mit den Armen. »Man hat mich bedrängt und angefasst. Dann bin ich ziemlich ängstlich und wütend geworden und habe diese Druckwelle produziert. Ist einfach passiert.«

»Wie bist du danach lebend aus der Kaserne gekommen?« Er schien Spaß an der Konversation zu haben. Vermutlich wusste er die Antworten bereits und stellte nur rethorische Fragen, weil es die erdrückende Stimmung aufhellte. Oder er war einfach ein gewitztes Plappermaul.
Sie spielte mit und lächelte selbstbewusst. »Welche Kaserne? Ich bin einfach gegangen. Es sind ja auch alle gestorben.«

»Es sind ja auch alle gestorben«, wiederholte er und nickte langsam. »Okay, verstehe.« Vergeblich versuchte er weg zu robben, kam jedoch nicht weit. Resigniert lächelnd legte er seine gefesselten Hände auf die Beine und schenkte ihr wieder Gehör.

»Aber sie haben mich am nächsten Tag gefangen genommen, weil ich nicht alleine aus dem Krater klettern konnte.«

»Krater?«

»Ja. So einen großen hatte ich lange nicht mehr. Die Trümmer der Kaserne fliegen vielleicht immer noch irgendwo rum«, meinte sie sarkastisch und wirbelte mit ihren Händen herum, bis sie sich an den Gitterstäben stieß und sie zischend zurücknahm. Weil sich der mittlerweile finstere Blick des jungen Mannes auch nach einer Minute noch nicht änderte, übernahm sie selbst das Ruder und stellte eine Frage: »Und warum bist du so angebunden? Das ist ja schon ziemlich übertrieben.«

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: Dec 13, 2023 ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

XONWo Geschichten leben. Entdecke jetzt