Kapitel 5

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Kaily

Drei Stunden später wusste ich eines ganz genau: Ich war ein Naturtalent im Skifahren. Obwohl ich noch nie zuvor auf Skiern gestanden hatte, gelang es mir gleich beim ersten Mal, die Piste zu meistern. Wir fuhren bis es dunkel wurde und kehrten gut gelaunt zurück zum Hotel. Solea und ich verabschiedeten uns von den anderen und machten uns auf den Weg in unser Zimmer.

"Jetzt kannst du es mir aber verraten", raunte Lea mir zu, als wir uns aus unseren Jacken schälten. "Du warst schon mal Skifahren, oder?"
Ich musste lachen. "Ich verspreche dir, dass das gerade das erste Mal war, dass ich diese Dinger an den Füßen hatte."

"Das ist doch unfair", beschwerte sie sich.
"Wieso?"
"Weil ich zehn Tage gebraucht habe, um es nur annähernd hinzubekommen und du es einfach so kannst."
Ich grinste sie an und zuckte mit den Schultern. "Ich bin halt einfach gut, wusstest du das noch nicht?"
Solea schnaubte. "Ich glaub's auch. Gib mir was von deinem Talent ab."
"Bitte sehr." Ich tat so, als würde ich etwas von meiner Aura abstreifen und umarmte Lea dann, um es ihr anzuhängen.

Sie schloss ebenfalls die Arme um mich und ich meinte, sie seufzen zu hören.
"Alles okay?", wollte ich wissen und löste mich etwas von ihr, sodass wir direkt voreinanderstanden. Ihr Blick heftete sich an meinen und sie sah mir lange einfach in die Augen. Als ich mich gerade wieder von ihr entfernen wollte, nickte sie. "Alles okay."

Zum Abendessen trafen wir uns alle sechs im Speisesaal. Derek saß neben mir und ich konnte es nicht ignorieren. Bei jeder noch so kleinen Bewegung, bei der sich unsere Beine oder Arme berührten, war es, als bekäme ich einen Stromschlag. Aber einen der guten Art. Und noch etwas war unübersehbar. Derek wirkte bedrückt. Irgendetwas schien ihm die Stimmung zu versauen.

Sanft stieß ich ihn mit dem Ellenbogen an. Er riss sich von dem Streit zwischen Nic und Aarlon los und wandte sich mir zu.
"Ist alles in Ordnung?", fragte ich ihn.
"Ja, warum?"
"Du siehst nicht so glücklich aus wie du sein solltest."
Er senkte kurz den Blick. "Ja, ich ... Mein kleiner Bruder ist krank. Er ist ja erst zwei Monate alt und ich habe ein wenig Angst um ihn."

Derek

Ich hatte es schon immer gehasst, Kaily anzulügen. Und dass ich für diese Lüge meinen kleinen Bruder benutzte, machte es nicht besser. Seit Mom die Schwangerschaft überstanden hatte und Phil geboren hatte, hatte ich ihn erst drei Mal gesehen. Aber ich sprach jedes Mal mit ihm, wenn ich einen Videoanruf nach Hause startete. Auch wenn er mich noch nicht verstehen konnte, so war ich mir sicher, dass er wusste, dass ich Teil seiner Familie war.

Und nun nutzte ich dieses süße Würmchen als Ausrede für meine Laune. Dabei hatte diese absolut rein gar nichts mit Phil zu tun. Das ganze hier, dieser Trip, erinnerte mich so sehr an die Stufenfahrt, die wir vor mehr als einem Jahr gemacht hatten. An unseren ersten Kuss, an den sich Kaily nicht mehr erinnerte. Sie erinnerte sich an gar nichts von dieser Fahrt.

"Mist. Ist es sehr schlimm?", wollte Kaily wissen und sah besorgt zu mir. Ich schüttelte den Kopf. "Nein. Er hat nur ein wenig Husten."
"Zum Glück. Sag ihm gute Besserung von mir, wenn du das nächste Mal mit ihm telefonierst, okay?"
"Mach ich."
Das Blau ihrer Iriden funkelte, als auf ihrem Gesicht ein Lächeln erschien.
Mein Magen zog sich zusammen. Ich war so sehr in dieses Mädchen verliebt, dass es mir fast schon Angst machte. Verdammt.

Kaily wandte sich wieder ihrem Teller zu und auch ich blickte woanders hin. Genau genommen sah ich zu Nic und Aarlon. Langsam verlor ich bei ihnen die Nerven. Nic und Aarlon waren Mates, Seelenverwandte. Das Problem an der Sache war, dass Aarlon sich weigerte, das zuzulassen und Nic immer wieder von sich stieß.

Jetzt sah Nic auf seinen Teller, während Aarlon wütend in meine Augen schaute als er erkannte, dass ich sie beobachtete.
"Was?", fragte er ungehalten. Ich zuckte mit den Schultern. "Du weißt, was."
Er schnaubte. "Warum? Weil ich eine eigenständige Person bin? Weil ich selbst bestimmen will, mit wem ich was mache? In wen ich mich verlieben will?"
Nic murmelte leise: "Du entscheidest immer selbst. Wir werden nicht dazu gezwungen, uns ineinander zu verlieben."
"Schön. Ich bin nämlich nicht in dich verliebt. Und das wird sich auch nicht ändern."

Die Tränen auf Nics Wangen ließen mich einschreiten. "Aarlon, es reicht. Es ist genug."
Wütend sah er mich an. "Er versteht es nicht. Ich muss es ihm sagen."
"Das geht auch anders und das weißt du. Du siehst genau, wie es ihm geht."
Lange sahen wir uns in die Augen. Aarlon verlor den Kampf. Ich war zukünftiger Alpha. Er wusste, dass er gegen mich keine Chance hatte. Und das frustrierte ihn. Knurrend stand er auf. "Wisst ihr was? Ihr könnt mich alle mal."
Mit diesen Worten verließ er den Tisch und stürmte aus dem Saal. Ein paar Sekunden später lief Nic ebenfalls nach draußen.

Es war geräuschlos links und rechts, bis Jaden sich räusperte und sagte: "Ich habe nichts verstanden. Ihr? Warum denkt er, er sei gezwungen, sich in Nic zu verlieben?"
Niemand gab ihm eine Antwort. Die anderen, weil sie es vermutlich genauso wenig verstanden wie er, und ich, weil ich ihm unmöglich erzählen konnte, was die Wahrheit war.

Ein paar Stunden später lag ich in meinem Bett und konnte nicht schlafen.
Wie denn auch, wenn Jaden lauter schnarcht als dein Dad?
Keine Ahnung, Forrest. Gar nicht.

Nach dem Abendessen hatten wir noch zusammengesessen und ein wenig geredet, bis Solea ihr Gähnen nicht mehr unter Kontrolle hatte. Nic und Aarlon waren nicht mehr dazu gekommen. Nic war in seinem Zimmer gewesen als ich vorhin vorbeigeschaut hatte und von Aarlon hatte ich ein Jaulen von draußen vernommen.

Ächzend drehte ich mich auf die Seite. Es würde eine lange Nacht werden, das war mir spätestens dann klar, als zusätzlich zu Jadens Schnarchen auch noch Gebrabbel hinzukam. Er laberte irgendwas von Tomaten mit Schwertern.

Ich schloss gerade meine Augen, als es an der Tür klopfte. Mehrmals. Hektisch. Laut. Innerhalb von zwei Sekunden hatte ich sie aufgerissen. Mein Herz klopfte wie wild in meiner Brust aus Angst, Kaily könnte etwas passiert sein.
Was denn, du Vogel? Sie schläft, wie jede andere normale Person um drei Uhr nachts.

Doch vor der Zimmertür stand Nic. Er war blass wie die Wand hinter ihm und seine Augen waren gerötet. Sein Atem ging schnell. Viel zu schnell.
"Was ist los?", fragte ich alarmiert und packte seine Schulter.
"Aarlon ist weg."

Falling like bloodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt