Kapitel 7

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Kaily

Es ergab sich bis zum Mittag keine Gelegenheit, Derek zu fragen, was da heute Nacht geschehen war. Erst, als wir vom Skifahren zurück ins Hotel liefen, ergriff ich die Initiative. Unauffällig ging ich neben ihm her. "Und? Gut geschlafen letzte Nacht?", fragte ich. Sein Kopf wandte sich mir zu als er nickte. "Jap. Tief und fest."
"Also ... bist du nicht draußen gewesen?"
"Nein, warum?"
Er log. Er log mir mitten ins Gesicht.
"Nur so. Ich dachte, ich hätte was gehört."
"Echt?"
"Ja. Ist aber nicht so wichtig."

Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen und ich ließ mich zurückfallen, bis ich neben Solea ging. "Weißt du, was mit Aarlon los ist?", fragte sie mich leise und nickte in Richtung Aarlon, der mit gesenktem Kopf neben Nic lief.
"Nein, warum?", wollte ich wissen.
"Na ja, er ist schon den ganzen Tag so still und spricht kaum. Ich dachte, vielleicht hat Derek dir etwas gesagt."
"Derek sagt mir gar nichts."
Sie runzelte die Stirn. "Wie meinst du das?"
Schnaubend antwortete ich: "Ich habe ihn heute Nacht gesehen, wie er in Aarlons Zimmer gegangen ist. Nic war auch da und auf seinem Bett lag ein Hund. Und Derek lügt mich an. Ich habe ihn gefragt, was heute Nacht los war und er behauptet, tief und fest geschlafen zu haben."

"Vielleicht hast du nur geträumt?", überlegte Solea. Ich schüttelte den Kopf. "Nein, ganz sicher nicht. Ich hatte einen Albtraum, deswegen bin ich aufgewacht und nach unten in die Empfangshalle gegangen, wo ich dann Derek gesehen habe und ihm gefolgt bin."
Lange sagte Lea gar nichts und lief schweigend neben mit her. Erst, als wir das Hotel erreichten, sagte sie: "Du solltest nochmal mit ihm reden. Sag ihm, was du gesehen hast."
Ich biss mir auf die Unterlippe. "Vielleicht, ja."

Stille hatte sich in Dereks Auto ausgebreitet als wir über die Autobahn fuhren. Den Kopf hatte ich gegen das Fenster gelehnt und tat, als würde ich schlafen. In Wahrheit dachte ich über alles Mögliche nach und versuchte, Raven zu beruhigen. Sie wollte, dass ich mich verwandelte. Doch dafür musste sie sich noch etwas gedulden.

"Rede mit mir. Bitte, Kaily."
Ich zuckte zusammen. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Derek etwas sagte.
"Worüber?"
"Darüber, warum du mich ignorierst."
Ich schloss kurz die Augen, ehe ich ihn ansah. "Du hast mich angelogen."
Dereks Kopf zuckte. "Hätte ich dir nicht versprochen, niemals die Augen von der Straße zu nehmen, wenn ich fahre, würde ich dich jetzt anschauen. Wann?"
"Vorhin, als du mir gesagt hast, du hättest heute Nacht geschlafen. Ich habe dich gesehen."

Seine Augen weiteten sich. "Du ... hast mich gesehen?"
Ich nickte. "Ja. Du hast dich ins Hotel und dann in Nics und Aarlons Zimmer geschlichen. Und darin lag ein Hund. Was habt ihr da gemacht?"
Ich sah, wie sein Kiefer arbeitete. Wie er zu überlegen schien, was er mir sagen sollte.

"Dieser ... Hund ist ein Wolf. Nic und ich haben ihn halb erfroren und verletzt draußen im Schnee gefunden. Er hatte sein Bein zwischen zwei Steinen eingeklemmt und kam nicht mehr alleine frei. Wir haben ihm geholfen."

Jetzt war ich noch verwirrter. "Aber warum lügst du deswegen? Das hättest du mir doch sagen können."
"Hätte ich, ja. Es tut mir leid. Ich dachte nur ... Keine Ahnung, was ich dachte."
"Ist okay."
"Was?"
Ich hatte mich selbst mit meiner Antwort überrascht, aber es stimmte. Es war okay.
"Du hast es mir jetzt gesagt. Du hast nicht nochmal gelogen. Es ist okay."

Ein Lächeln stahl sich auf Dereks Gesicht. Auf den ersten Blick schien es froh, glücklich. Doch je länger ich ihn ansah, desto trauriger wirkte es. Nachdenklich sah ich wieder aus dem Fenster. Meine Hände spielten mit meiner Jacke, die auf meinem Schoß lag. Ich öffnete immer wieder den Reißverschluss der Jackentasche und zog ihn wieder zu. Einmal entglitt mir die Jacke fast und ich ergriff sie fest. Meine Finger spürten ein Knistern.

Ich runzelte die Stirn und öffnete die Jackentasche. Was war dort drin? Normalerweise trug ich diese Jacke nicht, da mir ohne warm genug war. Wann hatte ich dort etwas reingesteckt?
Meine Finger ertasteten ein Blatt Papier und ich zog es heraus. Ein K stand auf dem gefalteten Zettel. Vorsichtig klappte ich ihn auf.

Liebe Kaily,
ich wollte dir nur ganz kurz sagen, dass deine Haare heute schön aussehen. Ich meine, wirklich schön. Aber am liebsten würde ich über diese Stühle und Menschen klettern und dort weitermachen, wo wir in der Hütte aufgehört haben. Zerzaust mag ich deine Haare nämlich am liebsten.
Mit größter Leidenschaft, dein Derek

Ich keuchte. Was. War. Das?
Das ist komisch. Sehr komisch. Und ... Hä? Was soll das? Wann hat er das denn geschrieben? Welche Stühle? Und welche Hütte?
Wahrscheinlich hat da irgendjemand einen Streich gespielt.
Wahrscheinlich.

Ich glaubte mir selbst nicht. Irgendetwas sagte mir, dass es kein Streich war. Dass Derek diesen Brief tatsächlich geschrieben hatte. Doch was bedeutete das dann?

"Alles klar? Du bist so still", wollte Derek wissen. Erschrocken faltete ich den Brief wieder zusammen.
"Ja. Alles klar. Ich bin nur müde." Jetzt war ich es, die log. Und ich hasste es.
"Sag mal ...", setzte ich an. "Schreibst du Briefe?"
"Was?", fragte Derek ungläubig.
"Also würdest du einen Brief mit größter Leidenschaft schreiben?"

Er schwieg. Dann sagte er: "Nein."
Das war alles. Ein einziges Nein. Ein einfaches Nein. Doch das machte es nicht leichter.

Die ganze restliche Fahrt über sah ich aus dem Fenster und ab und zu zu Derek. Als er schließlich vor dem Haus hielt, in dem Solea, Elaila und ich uns eine Wohnung teilten, war ich kein Stückchen schlauer als zuvor.

"Sehen wir uns nächsten Samstag?", wollte er noch wissen, bevor ich die Autotür öffnete.
"Sicher. Wir wollten uns doch sowieso mit den anderen treffen, oder?"
Er nickte langsam. "Stimmt."
"Okay. Dann bis Samstag. Mach's gut." Ich drückte die Tür auf und stieg auf den Bürgersteig. Dann warf ich sie wieder zu und schloss die Haustür auf. Solea stieg gerade aus Jadens Auto aus und hob dann Elaila auf den Gehweg.

Ich wartete noch, bis die beiden mich erreicht hatten und im Flur verschwunden waren, dann folgte ich ihnen. Bevor die Tür jedoch ins Schloss fallen konnte, hielt mich jemand am Handgelenk fest. Es war Derek.
Ein Kribbeln breitete sich in meinem Körper aus als er sich zu mir beugte. "Ich schreibe keinen Brief mit größter Leidenschaft. Ich empfinde sie. Das ist ein Unterschied, Kaily."
Er hauchte mir einen Kuss auf die Wange, ehe er genauso schnell wieder verschwunden war wie er zurückgekommen war. Und ich konnte nicht mehr klar denken. Er hatte den Brief tatsächlich geschrieben. Aber wann? Und warum? Ich erinnerte mich nicht daran.

Falling like bloodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt