Kapitel 9

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Derek

Kaily wurde aschfahl und stolperte nach hinten. Da ich immer noch ihre Hand hielt, zog ich sie wieder nach vorne und Kaily prallte gegen meine Brust.
"Hey! Was ist los?" Alarmiert ergriff ich ihre Oberarme und hielt Kaily so weit vor mich, dass ich ihr ins Gesicht schauen konnte.
Sie blinzelte ein paar Mal und schüttelte dann den Kopf. "Nichts. Alles gut. Ich hab nur ... Egal. Ich bin kurz auf der Toilette."

Kaily machte sich von mir los und lief mit gesenktem Kopf davon. Als die Badezimmertür ins Schloss fiel, stand Nic auf und kam zu mir. "Was war das denn?"
Hilflos zuckte ich mit den Schultern. "Ich habe keine Ahnung. Ich meine, ich habe ihr hochgeholfen und sie ist blass geworden. Wirklich blass. Und dann ist sie abgehauen. Ich ..." Ich hielt inne. Da war ein Gedanke in meinem Kopf. Und je länger ich darüber nachdachte, desto schneller klopfte mein Herz.
"Derek?"

Ich senkte die Stimme als ich mich an Nic wandte. "Ich glaube, sie hat sich erinnert. Diese Konversation eben ... Genauso hat sie sich vorletzten Dezember zugetragen. Wenn sie sich daran erinnert hat, dann ..." Ich hatte keine Worte dafür. Einerseits war ich überglücklich darüber, dass ihre Erinnerungen zurückzukehren schienen, denn das bedeutete, dass sie sich an mich erinnerte. Andererseits brach mir bei der Vorstellung der Schweiß aus. Wie würde sie es aufnehmen? Wie ging sie damit um, wenn sie sich irgendwann wieder an alles erinnerte? Würde sie mich noch mögen?

Jetzt mach mal halblang! Warum sollte sie dich nicht mehr mögen?
Weil ich sie anlüge, solange ich in ihrer Nähe bin und sie nicht weiß, dass sie mich kennt. Und wenn sie sich erinnert, dann weiß sie, dass ich so viel ein Dreivierteljahr vor ihr verschwiegen habe.
Da ist es doch. Verschweigen. Du lügst nicht. Du verschweigst ihr etwas. Und würdest du es nicht tun, dann würde sie denken, dass du komplett verrückt bist. Das bist du zwar sowieso, aber das muss sie ja nicht wissen. Mal ganz abgesehen von deinem Vater, der durchdrehen würde und Kailys Gesundheit.

"Aber es ist doch gut, wenn sie sich erinnert, oder?", fragte Nic, der meinen Gesichtsausdruck wohl richtig gedeutet haben musste.
"Natürlich."
"Aber ...?
"Kein Aber", log ich. Ich hasste es zu lügen.
Dann tu's nicht.
Forrest, wenn ich es nicht tue, muss ich ihm sagen, was in mir vorgeht. Und das muss ich erstmal selbst verstehen.
Feigling.
Nervensäge.
Damit komm ich klar.

Kaily

Ein blasses Ich sah mir im Spiegel entgegen. Was zum Teufel war das gerade gewesen? Da waren diese ... Bilder. Dieses Gespräch. Diese Hand. Dereks Hand. Das Eislaufen.
Das machte doch alles keinen Sinn! Ich war noch nie Schlittschuhlaufen gewesen. Und vor allem nicht mit Derek. Was also hatte das zu bedeuten? Hatte ich jetzt Tagträume?

Klar. Weil die sich auch so realistisch anfühlen. Das hat sich mehr angefühlt wie eine Er...
Sag's nicht. Das kann nicht sein. Ich bin wahrscheinlich einfach übermüdet. Das wird es sein.
Wir wissen beide, dass es nicht so ist.

Ich schloss die Augen. Ich wusste, dass Raven recht hatte. Das machte die Sache aber nicht logischer.

Und denk mal drüber nach. Du wusstest auch nichts über diesen Zettel. Und den muss Derek dir auch irgendwann geschrieben haben. Vielleicht hast du .. haben wir Amnesie.
Quatsch. Von was denn? Ich hatte ja keinen Unfall oder so. Nein.

Es klopfte zweimal an der Tür.
"Ich komme gleich", rief ich laut, sodass die Person hinter der Tür mich hörte.
"Ist alles okay?" Es war Aarlon. Überrascht öffnete ich die Augen. Mit ihm hatte ich nicht gerechnet.
"Ja, ich musste nur kurz aufs Klo. Alles gut."
Ich drehte den Wasserhahn auf, und hielt meine Hände zu einer Schüssel geformt darunter. Als das Wasser sich darin gesammelt hatte, spritzte ich es mir ins Gesicht. Ich musste mich beruhigen.

"Hey ... Lass mich mal rein. Ich will kurz mit dir reden", sagte Aarlon da.
Steht der immer noch da? Ich dachte, er wäre gegangen.
Ich auch. Worüber will er mit mir reden?
Aliens.
Ha. Ha.

Ich überprüfte noch einmal mein Gesicht im Spiegel und stellte frustriert fest, dass ich noch immer blass war.
Nachdem ich Aarlon die Tür geöffnet hatte, kam er ins Badezimmer und schloss sie hinter sich. Ein paar Schritte machte er in den Raum hinein, dann ließ er sich auf dem Badewannenrand sinken.
"Ich muss das irgendjemandem sagen und ich weiß echt nicht, ob ich das gleich bereuen werde", erklärte Aarlon. Stirnrunzelnd setzte ich mich auf den Klodeckel. "Was denn?"

Ich sah ihm dabei zu, wie er nicht einmal, nicht zweimal, sondern fünfmal tief durchatmete. Dann presste er die Lider aufeinander. "IchliebeNic."
Ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht. "Echt?", wollte ich wissen.
Aarlon stieß ein heiseres Lachen aus. "Ja, verdammt. Ich liebe ihn so sehr, dass ich das Gefühl habe, die Erde hört auf sich zu drehen, wenn er in meiner Nähe ist. Und wenn er es nicht ist, stürzt sie ohne Halt hinab. Ach Scheiße!" Er vergrub das Gesicht in den Händen.

"Aber das ist doch gut, oder nicht? Ich meine, es ist doch offensichtlich, dass er dich auch liebt." Ich verstand es nicht. "Oder liegt es daran, dass er ein Junge ist? Du ..."
"Schwachsinn! Nein, das ist es nicht. Ich könnte der ganzen Welt sagen, dass ich ihn liebe. Aber ..."
"Aber?" Ich lehnte mich nach vorne, sodass ich ihm näher war. Aarlon hob den Kopf.
"Aber wenn ich es ihm sage, dann habe ich das Gefühl, dass ich dazu gezwungen werde."

Hä? Was labert er für eine Scheiße?
"Wie meinst du das?", fragte ich zivilisierter als Raven.
Er versteifte sich, erhob sich plötzlich. "Ich hätte das nicht sagen sollen. Tut mir leid, ich kann dir darauf nicht antworten. Ich gehe lieber wieder zurück." Aarlon stürzte nach vorne, doch bevor er aus der Tür war, drehte er sich noch einmal zu mir um. "Könntest du das für dich behalten? Also das mit Nic? Ich weiß, ich behandle ihn scheiße und glaub mir, es tut mir selbst weh, aber ..."
"Keine Sorge", unterbrach ich ihn. "Ich kann schweigen wie ein Grab."
Er stieß die Luft aus. "Danke. Du hast was gut bei mir. Wirklich." Dann verschwand er um die Ecke.

Ich erhob mich ebenfalls vom Klodeckel. Ich musste zurück zu den anderen gehen. Ich wollte nicht, dass sie sich Sorgen machten. Nicht, wenn ich mir selbst schon genug Sorgen über meine Gedanken machte. Aarlon hatte mich kurzzeitig ablenken können, doch nun kehrten die Bilder mit voller Macht zurück. Derek auf dem Eis. Ich, die seine Hand hielt.
Und ich hatte noch immer keine Ahnung, was sie bedeuteten. Was sie waren.

Falling like bloodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt