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Ich habe nur eine Erinnerung an ein zwischenzeitiges Wach-sein, aber sie haben mir gesagt ich sei in der Woche jeden Tag mehrmals aufgewacht. Ich weiß allerdings, wie ich ganz aufgewacht bin. Ich erinnere mich an den Schock, der mich erfüllt hatte, als ich die Ansammlung um mich herum erblickte. Der Raum war gefüllt mit diskutierenden Menschen. Ich blinzelte und begann automatisch den Gesprächen zu folgen. „... Nie sein dürfen..." „...nicht verstehen..." „...eigentlich tot sein, bei..." „...kaum zu glauben..." „Sie ist wach!" Der letzte Ausruf rückte mich augenblicklich in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Was war hier los? Ein kleiner etwas korpulenterer Mann im weißen Kittel schlängelte sich mit viel Armwedeln zwischen den anderen Gestalten hindurch und lachte leise vor sich hin, bis er direkt neben mir stand. „Meine Herren und Damen" er blickte sich im Raum um und wedelte noch mehr mit den Händen, dieses Mal als erkennbare Aufforderung an die anderen den Raum zu verlassen. „Das reicht. Das Mädchen braucht Ruhe!"

Die nächsten Tage erlebte ich wie in Trance. Ich schlief meistens und wenn ich nicht schlief war ich müde und versuchte während der Gesundheitstests und Befragungen nicht einzuschlafen. Das Gefühl, dass mir meine Augen zufallen würden, wurde zu meiner zweiten Haut und es kam nicht nur einmal vor, dass ich mitten in einem Gespräch den Kampf gegen die Müdigkeit verlor. Nur langsam kam ich aus diesem Loch wieder heraus und begann mich zu erholen und das zu registrieren, was um mich herum passierte. Ich schlief immer weniger und begann meine Umgebung zu beobachten. Ich entdeckte die Vorliebe meines kleinen, etwas korpulenten Hauptarztes Herr Minist zu Donuts und die Vorliebe von Angelo, einem der Arzthelfer zu Miriam, einer anderen Arzthelferin. Ich beobachtete wie sich Frau Schuster, die Putzfrau, langsam von ihrer Scheidung erholte und bemerkte dass der junge Arzt Mark durch die glückliche Geburt seiner Tochter Stella aufblühte. Ich sah meinen Bruder und meine Freunde, wie sie sich mit jedem Besuch mehr auf die Sommerferien freuten und meine Eltern wie sie noch gar nicht daran dachten. Und ich bemerkte an mir selbst, wie ich mich immer mehr nach einer Entlassung sehnte. Ich wollte wieder in die Schule, mich mit den anderen über meine Lehrer aufregen anstatt mir hier von den Ärzten anzuhören, dass ich eigentlich hätte tot sein sollen. Ich wollte wieder Fußball und Volleyball spielen und mich bewegen anstatt den ganzen Tag das Bett zu hüten. Und ich wollte wieder Platz um mich haben anstatt in diesem sterilen Betonzimmer gefangen zu sein.

Es erschien mir der Himmel, als ich endlich das erste Mal nach draußen durfte, wenn auch nur für eine halbe Stunde, auf Krücken und mit einer Menge an Ärzten im Schlepptau, die mir erklärten, dass es unmöglich sei, dass ich laufen könne. Ich genoss jeden Schritt und atmete mit jedem Atemzug tief ein. Die Tränen die sich mir vor Freude und Erleichterung in die Augen stahlen, blinzelte ich schnell weg und war Herr Minist sehr dankbar, dass er in diesem Moment angestrengt seine Zigarette beobachtete, welche seine Begründung für das Mitkommen gewesen war. Auch als er später das Reden für mich übernahm, als ich wegen eines Kloses im Mund nicht sprechen konnte, vertiefte sich mein Gefühl des Respekts für diesen Mann, dem viele der Ärzte mein Leben zuschrieben.

Aditus Mortis - Verfolgt vom TodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt