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Endlich Daheim! Ich quälte mich aus dem Auto, während meine Mutter vor eilte, um das kleine Gartentor zu öffnen. Ein Duft nach Jasmin umwehte mich, als ich unseren Vorgarten betrat. Langsam setzte ich einen Fuß vor den anderen. Bei der Treppe stützte meine Mutter mich, auch wenn ich der Überzeugung war, dass ich es auch alleine schaffen müsste. Innen angekommen bugsierte sie mich erst einmal auf die weiche Couch im Wohnzimmer. „Willst du etwas trinken?"Das konnte ja heiter werden. Ich kannte diese Phase meiner Mutter. Immer wenn jemand in der Familie krank wurde, wandelte sich meine ansonsten sehr aktive Mutter, die durch jegliche mögliche arbeitsbegleitende Sport- und Sozialaktivitäten meist außer Haus beschäftigt war, in eine absolute Glucke. Ein Nein würde sie nicht gelten lassen. „Einen Smoothie?" bat ich lächelnd.
Sofort war sie in der Küche. Ich atmete aus. Das würde sie erst einmal beschäftigen und mir etwas Freiheit geben. Versteht mich nicht falsch, ich liebe meine Mutter, genauso wie den Rest meiner Familie, aber manchmal möchte ich einfach meine Ruhe. So wie jetzt. Denn irgendwie begann ich erst jetzt zu realisieren, was mir passiert war. Ich bin von einem verdammten Auto angefahren worden! Und beinahe gestorben!

Ich versuchte regelmäßig zu atmen. Ein und Aus. Ein und Aus. Wer war eigentlich dieser Typ gewesen? Der, der mich in meinen Armen getragen hatte, als ich beinahe am Sterben war. Seine blassblauen Augen blitzten wieder vor meinen geschlossenen Liedern auf und ich zuckte zusammen. Was war das an seinem Hals gewesen? Ich sollte aufhören mir Gedanken zu machen. Es war bestimmt nur irgendeine Halluzination gewesen. Ich bezweifelte, dass das Gehirn in solche einer Situation nicht die eine oder andere Kurzschlussreaktion erzeugt. Ein leichtes Lächeln glitt auf meine Lippen. Er hatte schon gut ausgesehen, das musste man meinen Halluzinationen lassen. Und dieser Griff. Ich war mir sicher, dass keiner der Jungs aus meiner Klasse solch eine weiche Umarmung hatte. Ich seufzte. Sie waren im Gegenzug dafür real.

Die Tür zum Wohnzimmer schlug auf und meine beste Freundin Silvi stand im Raum. Mit zwei Schritten war sie bei mir und zog mich in eine feste – und wegen meiner Lädierungen etwas schmerzhafte – Umarmung. „Johanna du bist so etwas von bescheuert! Ich hasse dich!" schluchzte sie an meinen Hals. „Wer bitte hat dir erlaubt mir einen solchen Schreck einzujagen?? Da fahre ich für ein paar Wochen zum Austausch nach Frankreich, komme zurück und muss erfahren, dass du mal schnell so überfahren wurdest und fast gestorben bist!"
Ihre Umarmung wurde immer fester und ich beließ es darauf ihr über die Schulter zu streichen. Es war bei Silvi oft wie beim Gericht: Alles was ich sagte kann und wird gegen mich verwendet werden. Zumindest wenn sie in dieser Stimmung war.
Langsam beruhigte sie sich. Ihre Umarmung wurde lockerer und ihre Atmung gleichmäßiger. „Du hast im Übrigen den Hammer verpasst Jojo!"
Ich sah sie fragend an und wartete auf das Weiterfließen ihres Redeflusses.
„Wir haben einen neuen in der Klasse. Ich habe ihn heute Morgen gesehen, als wir zurückgekommen sind. Und er ist so heiß! Schwarzes Haar und blassblaue Augen."
Ich zuckte zusammen. Zufall. Nur Zufall. Vielleicht hatte ich diesen Neuen zuvor schon einmal in der Stadt gesehen und mein Gehirn hatte mir bei dem Unfall einfach den bestaussehendsten Typen vorgegaukelt.
„Und er hat ein wahnsinnig tolles Tatoo am Hals. Du weißt ich stehe da eigentlich nicht so drauf, aber bei ihm sieht es so unglaublich gut aus!" schmachtete Silvi weiter.
Selbst das Tatoo stimmte. Ich zuckte wieder zusammen. Die Anzahl an Jungs mit schwarzen Haaren, blassblauen Augen und Tatoo am Hals war in unserer kleinen Stadt dann doch sehr winzig. Es musste so sein. Ich hatte in bestimmt kurz davor gesehen. Ja, das klang logisch.

Warum hatte ich dann dennoch ein solch seltsames Gefühl, wenn ich an ihn dachte?

Aditus Mortis - Verfolgt vom TodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt