𝟎𝟒

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Die Sonne ging langsam unter, als ich die Zügel anzog und Max langsamer traben lies. Allmähliche Dämmerung lies den Wald stetig gräulicher wirken. Frustriert seufzte ich. Ich war so dumm. Spontane Ideen waren schön und gut, aber verloren an Reiz, wenn man die Konsequenzen nicht bedachte. Ich war in einem Gebiet, in dem ich mich nicht auskannte. Den ganzen Tag über war ich im Wald unterwegs und hatte nur ein paar mal angehalten, um Max eine Pause zu gönnen. Bei der Hinreise zum Schloss musste ich an nichts denken. Ich konnte mich auf meinen Ärger auf die Boten konzentrieren, während sie den Weg kannten. Selbstverständlich hatte ich nicht daran gedacht, mir den Weg einzuprägen. Ich wusste nur noch, dass es eine zehntägige Reise war, fünf Tage davon durch die offene Landschaft und die restlichen durch den Wald. Es war aber wesentlich leichter gewesen, als die drei Boten sich darum kümmerten, sich nicht zu verlaufen, Feuerholz für den Abend aufzutreiben, Nahrung zu beschaffen und ein improvisiertes Lager aufzubauen. Jetzt musste ich mich um all das kümmern, in einem Wald, in dem ich mich nicht auskannte. Komisch und fast schon gruselig kam es mir vor, dass ich dem ganzen Tag über keinem Menschen begegnet bin. Mir war bewusst, dass ich immer tiefer in den Wald vordrang, aber keine einzige Person zu sehen, weder Waldarbeiter, noch Jäger, war mir doch ein wenig suspekt.

Ich stoppte Max um abzusteigen. Der Platz schien mir nicht für ein Nachtlager geeignet, aber auf dem Weg bisher hatte ich sowieso nichts besseres gesehen. Ich band die Zügel um einen kleinen Baum und sah mich um. Als erstes musste ich mich um Feuerholz kümmern. Die Kälte drang langsam aber sicher durch meine Kleidung. Das Wetter hatte angezogen und das eigentlich trockene Laub am Boden raschelte nicht mehr, sondern wurde feuchter. Weit und breit waren keine Birken zu sehen und dass anderes Holz trocken genug war, um ein Feuer zu machen bezweifelte ich. Also lief ich ein wenig herum, darauf achtend, mich nicht zu weit von Max zu entfernen. Endlich sah ich eine Birke einige Meter entfernt, aber es war ein großer Baum, dessen Äste zu weit oben waren, um dranzukommen. Frustriert versuchte ich, die Rinde zu lösen, aber ohne ein Messer war der Plan hoffnungslos. Ärgerlich gab ich es auf und lief zum Pferd zurück. Er blähte die Nüstern zur Begrüßung. Ich streichelte seinen Hals, während ich überlegte, was ich wohl als nächstes machen sollte. 'Ich weiß, dass das dumm war. Aber was soll ich jetzt nur machen? Den Weg zurück werden wir viel leichter finden, als den Weg nach Hause. Aber ich hab' keine Lust, durch die Nacht zu reiten. Und du musst dich ausruhen. Aber ganz alleine hier draußen zu schlafen, da hab ich auch nicht sonderlich viel Lust darauf.' Zur Bestätigung wiehrte er. Am liebsten hätte ich wütend mit einem Bein gestampft, wie ein bockiges Mädchen, aber das würde mir wohl auch nicht weiterhelfen. Kopfschüttelnd band ich die Zügel wieder vom Baum auf und blieb unschlüssig stehen. Bis mir die nächste, wahrscheinlich dumme Idee kam. Also führte ich Max weiter weg vom Weg ins Unterholz. Wahrscheinlich eine diesmal eine gute Idee, ich wusste nämlich nicht, was für Halunken des Nachts diesen Weg nutzten. Gänsehaut überzog meinen Körper bei diesem Gedanken. 

So selten dämlich wie ich konnte wohl keiner sein.

Bei der Birke angekommen, überlegte ich mein weiteres Vorgehen. Auch wenn der Stamm nicht sonderlich dick war, war sein Umfang doch zu groß, als dass ich die Zügel herumbinden konnte. Und ein Messer, um sie entzweizuschneiden und zu verknoten hatte ich auch nicht. Also tat ich das einzig mögliche. Ich platzierte Max so dicht am Baum wie möglich, redete ihm ein, dass er ja keinen Schritt zur Seite machen durfte und stieg wieder auf. Aber ich setzte mich nicht in den Sattel, sondern stellte mich darauf, mit den Händen am Baum, um mein Gleichgewicht zu halten. Zu meinem Glück blieb das Pferd stehen. Auf Zehenspitzen streckte ich mich dem untersten Ast entgegen, konnte diesen fassen und zog mich empor. Auf dem untersten Ast stehend, kam ich leichter an all die anderen heran und probierte, Zweige und alles was ich zu greifen bekam, abzuzwicken, was mir auch relativ gut gelang. Mit all dem Holz, besser gesagt den Ästen und Zweigen im Arm schaute ich wieder zu Max. Das Pferd war zu meinem großen Glück noch da, aber einhändig würde ich den Abstieg nicht schaffen. Folglich fing ich laut an zu reden, um Max auf das Geräusch vorzubereiten, ehe ich das Holz fallen lies. Glücklicherweise gab es nur einen dumpfen Aufprall, abgedämpft vom feuchten Laub. Das Pferd erschrak sich zwar, drehte den Kopf zum Geräusch aber lief nicht davon. Glück im Unglück. Als ich gerade mit den Schuhen auf dem Sattel aufkam, den Ast loslies um an den Stamm zu langen, ertönte ein Knacken im Unterholz. Dieser Laut lies mich versteinern, während Max sich erschrak, laut wieherte und sich aufbäumte. Damit war es um mein Gleichgewicht geschehen und ich fiel.  Das Pferd begann zu galoppieren, wodurch ich mich noch im Fall mit dem Fuß in den Zügeln verhedderte und mitgezogen wurde. Auf einmal passierte alles wie im Zeitraffer und meine Gedanken rasten. Aber es führte zu nichts, ich war der Situation ausgesetzt. ich wurde in fürchterlich schnellem Tempo über den Boden gezerrt. Es kostete mich alle Kraft, bei der Schnelligkeit mich soweit aufzurichten, dass mein Kopf nicht dauerhaft auf den Boden geschleudert wurde. Dafür aber mein Rücken. Während Max die Nüstern blähte und immer mehr beschleunigte, machte sich in meinem unteren Rücken, knapp über dem Gesäß, ein schrecklicher Schmerz bemerkbar und ich zog scharf die Luft ein. 

Verdammte Scheiße. 

Ich musste auf einem Baumstumpf aufgeprallt sein. Lange würde ich mich nicht mehr an der Seite des Pferdes halten können. Verzweifelt versuchte ich mit der Hand an den Sattel oder wenigstens den an Steigbügel zu gelangen. Dabei war ich sorgsam darauf bedacht, nicht unter die Hufe zu geraten. Aber mein Bestreben war umsonst. Ich schaffte es einfach nicht. Langsam verlies mich die Kraft und ich gab auf. Dabei donnerte mein Hinterkopf gegen eine Wurzel auf dem Boden und ich schrie auf. Panisch dachte ich dass mein Schrei das Pferd nur noch in seiner Flucht bestätigen würde, aber zu meiner Verwunderung wurde er langsamer, bis er stehen blieb. Kraftlos blieb ich liegen. Max beugte den Kopf nach unten und schnupperte. Mein Fuß war noch immer in der Schlinge der Zügeln verheddert, aber ich war zu erschöpft um mich darum zu kümmern. Nur langsam konnte ich meine Hand bewegen, hin zu meinem Kopf, von dem ein dumpfes Pochen ausging. Mit den Fingern an meinem Hinterkopf konnte ich die warme Flüssigkeit spüren, die Max wahrscheinlich erschnupperte. Ich musste meine Finger nicht anschauen, um zu wissen was es war. Blut.

Nicht im stande zu sagen, ob Minuten oder Stunden vergangen waren, nahm ich nochmal all meine Kraft zusammen, rappelte mich wie in Zeitlupe auf und befreite meinen Fuß aus der Schlaufe. Max hatte sich neben mich hingelegt. Ich war nur noch im Stande zu krabbeln. Also kroch ich auf seinen Kopf zu, den stechenden Schmerz in meinem Rücken mit zusammengebissenen Zähnen ignorierend und nahm die Zügel in die Hand. Glücklicherweise war direkt neben uns ein Baum, um den ich diese binden konnte. Elendig zugerichtet wie ich war, lies ich mich auf der Stelle wieder fallen. Ich hatte noch nicht einmal die Kraft, mich gemütlicher hinzulegen. Zu den gesammelten Birkenzweigen zurückzugehen konnte ich sowieso vergessen. Abgesehen von meinen Verletzungen war es mittlerweile viel zu dunkel, als dass ich den Weg überhaupt noch fand. Aus der Ferne nahm ich die nächtlichen Geräusche des Waldes wahr, die unheilvoll in mir widerhallten. Ich war in einem fremden Wald. Weder wusste ich, ob es hier Wölfe oder gar Bären gab, noch wusste ich, ob in der Gegend zwielichtige Gestalten herumirrten, auf der Suche nach ihrem nächsten Opfer, das sie ausrauben konnten. Oder womöglich noch schlimmeres. Entmutigt, verletzt, und ängstlich sehnte ich mich nach Silas. Mit ihm wäre mir sowas nicht passiert. Die Schmerzen hatten sich auf meinen ganzen Körper ausgedehnt und ich gab den Kampf auf. Gab mich der unendlichen Müdigkeit hin.

Wie war das mit Glück im Unglück?

TycheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt