𝟎𝟐

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Sauer stieß ich mich vom Tresen ab und marschierte entschlossen auf die Tür zu, vorbei an Silas, der mir Platz machte und in den Flur hinaus. Ich konnte hören, wie er die Tür hinter mir wieder schloss, um mir zu folgen. Zum Glück konnte er mein Augenrollen nicht sehen. Auch wenn es bereits spät war, würde ich sowieso nicht schlafen können. Also schlug ich den Weg in Richtung eines Dienstbodengangs ein, öffnete die in der Wand verborgene Tür und stieg die kleine steinerne Wendeltreppe hinab. Die Schritte seiner Stiefel hallten in dem kleinen Treppenhaus nach und verfolgten mich. Regelrecht als Warnung, dass ich sowieso nie meine Ruhe bekommen würde. Ein Stockwerk tiefer, ging ich noch ein langes Stück den Gang entlang, ehe ich wieder durch eine Tür in einen offiziellen Flur abbog. Ein paar wenige Meter vor mir sah ich schon die schwarze Holztür, die nur für Dienstboten war. 

'Azra, wo wollt ihr hin?' Angestachelt von seinen Worten beschleunigte ich meinen Schritt noch. An diese förmliche Ansprache würde ich mich wohl nie gewöhnen. Ich hielt es nicht für nötig, ihm zu antworten. Zum einen kannte er sich im Schloss noch besser aus als ich, zum anderen würde er es früh genug selbst sehen. Er konnte es ja doch nicht lassen, mich zu verfolgen. Bei der Tür angekommen, öffnete ich den Riegel und trat hinaus. Frische Luft umgab mich und ich atmete genüsslich ein. Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen, ehe ich begann, zu rennen. Ich raffte den Rock meines Kleides und sprintete los. Weg vom Schloss, weg von all den Geheimnissen und meinem verwirrenden Dasein. 'Azra!' Ich ignorierte ihn. Schon nach wenigen Minuten war ich an einem kleinen Wasserlauf angekommen und ich hielt inne. Vor mir erstreckte sich der Wald. Die Bäume hatten mittlerweile ihr ganzes Laub fallen lassen und die Äste stachen kahl in die helle Mondnacht. Noch einmal raffte ich meinen Rock und sprang über das Wasser. 'Es ist euch verboten, den Wald zu betreten' sprach Silas hinter mir, der mich natürlich ohne Probleme eingeholt hatte. Ich schmunzelte und lief zu der großen Eiche hinüber, die keine zehn Meter vom Bach entfernt war. 'Kriegt euch wieder ein. Was soll schon passieren? Soll uns plötzlich ein wütender Bär anfallen?' Doch auf meine Antwort hörte ich nur einen verächtlichen Laut. 'Ich werde ohnehin nicht lange draußen bleiben, es ist frisch.' Versuchte ich es nochmal und diesmal bekam ich keine Antwort. 

Am Baum angekommen, setzte ich mich in die Hocke und tastete mich am Boden entlang. Ich konnte die kleine Nische zwischen den Wurzeln am Stamm erfühlen und langte hinein. Es musste wohl ein Gang einer Wühlmaus sein, der nun meinen einzigen Schatz verbarg. Glücklich holte ich das kleine Stoffbündel heraus. Ich drehte mich um, setzte mich und lehnte mich an der alten Eiche an. Zufrieden löste ich den Stoff um die kleine Holzschatulle und öffnete diese. Silas stand nur daneben und musterte mich ohne eine einzige Regung. Ich holte den Inhalt heraus und legte den Stoff und die Schatulle neben mich auf den Boden. Vorsichtig kümmerte ich mich um das kleine Bündel in meiner Hand und wickelte das Band langsam ein Stück ab, ohne etwas vom Inhalt zu verlieren. Mit der anderen Hand holte ich einen kleinen, sehr dünnen Papierfetzen aus dem Holzkästchen und begann nun die braunen Fäden auf das Paper zu legen. Als ich genug hatte, rollte ich es zusammen und befeuchtete das Papier mit meiner Zuge, um die kleine Rolle zusammenzukleben. Anschließend nesselte ich an meinem Dekoltee herum und zog ein paar Reibzündhölzer hervor. Ich nahm die Zigarette in den Mund, strich das Hölzchen über das raue Papier und zündete meine Zigarette an. Zufrieden zog ich den Rauch ein und schloss die Augen. 

Auch wenn es frisch war, genoss ich die Ruhe. In der Ferne war eine Eule zu hören. Das Rauschen des Wassers drang sanft an mein Ohr. Als ich die Augen wieder öffnete, schaute ich zu Silas hinauf, der noch immer regungslos vor mir stand. Das Mondlicht lies ihn blasser wirken und nahm das Grün seiner Augen. Dennoch hatte er eine leicht bedrohliche Ausstrahlung, an die ich mich mittlerweile gewöhnt hatte. Vielleicht lag es daran, dass er immer so emotionslos war, vielleicht lag es auch daran, dass ich wusste, dass er ein Wächter war. Schon als Kind erzählte man uns die schaurigen Geschichten der Wächter. Doch Silas bestätigte diesen Ruf nicht. Zwar war er kein offener, freundlicher Mensch, trotzdem immer zurückhaltend respektvoll mir gegenüber. Eigentlich sollte das Versteck mein Geheimnis bleiben und wenn ich mal ein paar Stunden nicht von Silas, sondern von normalen Wachen begleitet wurde, war es mir auch ein leichtes, mich davon zu stehlen. Aber jetzt war er dabei, obwohl ich frustriert und genervt war. Ich brauchte einfach eine Pause von den Gemäuern, die schier über mir einzufallen drohten. Wortlos nahm ich das Drehzeug und streckte es Silas entgegen. Zu meiner Überraschung nahm er es an, setzte sich neben mich an den Baum und begann zu drehen. Als hätte er meine Gedanken lesen können, sagte er, nachdem er seine Zigarette angezündet hatte: 'Es wird bald alles besser werden'. Ich konnte mir einen zynischen Auflacher nicht verkneifen. Viel Trost war das nicht gerade. Nach einer Minute des Schweigens wande ich mich hoffnungsvoll an ihn: 'Und wann werdet ihr mir endlich sagen, was ich hier soll? Warum hat angeblich der König mich hergeholt? Das ist doch alles eine Farce.' 'Wenn der König wieder da ist.' Mehr gab er nicht preis. Natürlich. Der König. weil er sich auch die Zeit nehmen würde, mit mir persönlich zu reden.

König Lysander

'Aber es gibt doch sonst keine, die ans Schloss geholt wurde, wenn nicht als Bedienstete.' 'Ihr seit auch keine wie jede andere. Habt vertrauen.' Ich hatte genug von seinen kryptischen Aussagen. Ich fühlte mich verarscht und wollte nur noch weg von hier. Weg vom Schloss und zurück nach Hause. Wehmütig zog ich die Knie an und legte meinen Kopf darauf ab. Aber genauso wenig wollte ich hier schweigend meine Pause absitzen. Also wechselte ich das Thema. 'Was ist wirklich dran, an den Legenden der Wächter?' neugierig schielte ich zu Silas. Seine Mundwinkel zuckten während er seinen Kopf in den Nacken legte und in die Sterne schaute. Doch so lange ich auch wartete, er gab mir keine Antwort. Die wehmütige Ruhe in mir begann zu verschwinden und machte meiner Wut platz. Sauer sprang ich auf. Meine Arme verschränkte ich, in der Hoffnung noch wütender auszuschauen. 'Ist das euer Ernst? Kann man denn mit keinem hier normal reden? Habe ich noch nicht mal so viel Respekt verdient, dass ihr mir auf eine normale Frage antworten könnt? Das geht doch alles auf keine Kuhhaut mehr!' Mein Ton war schärfer als beabsichtigt und im Eifer hatte ich ganz vergessen, dass ich mit einem königlichen Wächter sprach, der es sicher nicht gewohnt war, dass man ihm dörfliche Redewendungen an den Kopf warf. Doch das war mir egal. Ich war wütend, das durfte er ruhig merken. Es zeigte Wirkung. Bei meinem letzten Satz zuckte ein Lächeln um seine Mundwinkel und er stand langsam auf.

 Er zog nochmal an seiner Zigarette und die Glut leuchtete in der Dunkelheit auf. 'Ihr habt all meinen Respekt. Ich weiß, dass eure Situation nicht leicht ist. Aber was soll ich euch auf so eine Frage antworten? Wir sind die Wächter des Königs und führen zum einen seine Befehle aus, zum anderen sorgen wir für seinen Schutz. Es dürfte selbsterklärend sein, dass das nicht funktioniert, indem man Blumen verteilt. Lysander mag manchmal hart sein, aber gerecht.' Verlegen musterte ich meine Finger. 'Aber ihr seid auch ein Wächter. Weshalb seit ihr dann ständig in meiner Nähe? Ich bin doch keine Gefahr für den König!' mit den letzten Worten wurde mein Ton immer energischer. Brachte man mich ins Schloss, um mich besser beobachten zu können? Sah man mich als Gefahr? Aber das würde keinen Sinn machen! Ich hatte noch nie irgendwas mit dem Adel zu tun, geschweige denn war ich gefährlich. 'Nein, eine Gefahr ganz gewiss nicht. Aber wie gesagt, das wird sich alles klären. Lasst uns gehen, es wird kalt.' und mit diesen Worten bückte Silas sich, um das Drehzeug wieder zu verpacken und es zurück an seinen Platz zu legen. Gedankenverloren nahm ich noch einen letzten Zug. 'Kommt ihr?' rief mir Silas schon vom kleinen Wasserlauf entgegen. Ich lief auf ihn zu und legte überrascht meine Hand in seine, als er mir über den Graben helfen wollte. Nicht dass ich es nicht selbst geschafft hätte, aber für die Geste war ich dankbar.

Schweigend liefen wir den den Weg zurück. Ich lies alles, was man mir heute gesagt hat, durch meinen Kopf gehen. Der König persönlich hatte mich an seinen Hof holen lassen. Aber das ist erst passiert, als er schon einige Wochen auf Reise war. Das ergab keinen Sinn. Es freute mich zwar, dass ich nicht als Gefahr wahrgenommen wurde, aber das Versprechen von Silas, dass sich alles klären würde, reichte mir nicht. Zu lange war ich hier schon mit so vielen Fragen und verstand mein Schicksal nicht. Seufzend trat ich durch die Tür, die er mir aufhielt und machte mich auch den Weg zu meinem Zimmer. 


TycheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt