𝟎𝟏

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'Nein, nein. Schon über ein Jahr ist es jetzt her. Das kann nichts gutes verheißen. So lange waren sie noch nie unterwegs. Nein, da muss irgendwas passiert sein. Hoffentlich ist ihnen nichts zugestoßen' murmelte sie vor sich hin. Ihre Worte jagten mir einen Schauer über den Rücken, obwohl sie mich nicht direkt betrafen. Vor gut einem Jahr sind der König, und sein Gefolge auf eine Reise aufgebrochen. Doch man wusste weder, weshalb, noch wie lange diese Reise andauern würde. Aber umso mehr wunderte es mich, dass nicht nur ich im Dunkeln gelassen wurde, sondern scheinbar auch das gesamte Personal im Schloss. Selbst Victor, die rechte Hand des Königs hielt sich bedeckt und leitete das Schloss mit seiner Frau mit einer eisernen Hand. 

Morgen, vor genau einem Jahr hatten mich die Boten des Königs von der kleinen Hütte in meinem Dorf abgeholt und ins Schloss gebracht. Doch sie erklärten mir nicht weshalb. Zu Anfang dachte ich, ich solle eine Gehilfin oder Bedienstete werden, doch man war seltsam darauf bedacht, dass ich ja keinen Finger krümmte. Silas, einer der wenigen zurückgebliebenen Wächter, folgte mir wie ein Schatten und mit seiner autoritären Ausstrahlung sorgte er stets dafür, dass das gesamte Personal auf Abstand vor ihm und damit auch vor mir blieb. Das sorgte dafür, dass ich mir wie eine nicht gewollte Außenseitern vorkam und dann dachte ich immer zu gerne an mein kleines Dorf zurück. Viele Menschen gab es nicht, die ich vermisste. Außer Khyan, meinen älteren Bruder. Er hatte unseren Hof und die Landwirtschaft übernommen, nachdem unsere Eltern verstorben waren.

 Doch er als einfacher Bauer konnte nicht viel ausrichten, als die königlichen Boten eines Tages mich regelecht aus meinem Hause rausgzerrt hatten. Meine Gegenwehr hatte sie wenig beeindruckt. Und nun saß ich hier, mitten im Schloss und fühlte mich wie eine Ausgestoßene. Ironischerweise hatte man mir aber ein eigenes Zimmer zugewiesen, das luxuriöser war als alles, was ich bis dahin gewohnt war. Auch wenn es kein riesiges Zimmer war, hatte ich doch meinen eigenen, privaten Rückzugsort mit einem Bett, dessen Laken himmlisch weich waren. Sogar einen eigenen Schrank mit schönen Kleidern hatte ich. Mehr Kleidern als ich in meinem ganzen Leben besessen hatte. Es hatte lange gedauert, bis ich mich an all das gewohnt hatte, doch ich verstand beim besten Willen nicht, weshalb. Sollte ich einfach zur Belustigung da sein, vorgeführt und angestarrt als junge Bauerstochter, die in ihrem ganzen Leben noch nie ein so großes Gebäude wie dieses Schloss gesehen hatte? Manchmal kam es mir so vor. 

Ich richtete meinen Blick wieder auf die Frau vor mir. Alma, die Köchin war eine untersetzte, fröhliche Frau, die gerade einen Teig in einer Schüssel rührte. Ihr grau meliertes Haar hatte sie zusammengebunden und sie schaute konzentriert auf die Schüssel vor sich. Sie war eine der wenigen, die tatsächlich mit mir redeten. Und die einzige, neben der ich mich sogar ein wenig wohl zu fühlen begann. Vielleicht sorgten die Kekse dafür, sie sie mir immer heimlich zuschob, oder ihr freundliches lächeln, mit dem sie mich so oft ansah. Doch jetzt war ihre faltige Stirn sorgenvoll verzogen und die Lippen fest aufeinander gepresst. 

Während sie zwei Eier hineinschlug, schüttelte sie leicht den Kopf. Die Reise des Königs schien sie ordentlich zu beunruhigen, so wie alle hier. Mich bedrückte es aber nicht sonderlich. Weder hatte ich den König oder sein Gefolge jemals gesehen, noch betrafen mich seine Angelegenheiten. 'Ach Kindchen, wärst du doch nur früher gekommen, dann hättet ihr euch schon kennen gelernt. Aber er wird sich freuen, dass du bereits hier auf ihn wartest.' Wiebitte? hatte ich mich eben verhört? So persönlich sprach sie sonst nie mit mir. Wir redeten sonst über Rezepte oder Blumen. Alltägliches eben. Aber ihre Worte sorgten nur für Verwirrung bei mir. Sicher konnte ich mir trotzdem sein, dass sie mich meinte, denn sonst war so spät niemand mehr in der Küche. Die Kerzen um uns herum warfen unheilvolle Schatten auf ihr Gesicht. 

'Äh wie meinst du das?' hakte ich nach, während ich in einen der Kekse biss, die vor mir auf einem Teller lagen. Genauso irritiert wie ich schaute sie auf. 'Na das ist doch der Grund weshalb du hier bist. Das kann sich doch jeder denken, der noch zwei Hirnzellen übrig hat.' Sie wusste also den Grund weshalb ich da war. Und sie war die einzige, die mich bis jetzt drauf angesprochen hatte. Hoffnungsvoll, dass endlich Licht ins Dunkel kam, musste ich sie es einfach fragen: 'Aber warum bin ich denn dann hier? Keiner sagt etwas, ich verstehe es einfach nicht.' Sie runzelte ihre Stirn noch mehr, falls das überhaupt möglich war. 'Ach Herzchen. Das weißt du immer noch nicht? König Lysander hat dich doch an den Hof bringen lassen.' Noch ehe ich zu einer Antwort ansetzten konnte, wurde die Tür neben uns aufgestoßen und ich schaute auf breite Schultern, bevor ich das im Schatten verborgene Gesicht erkennen konnte. Erschrocken verschluckte ich mich beinahe an dem Keks. Die Silhouette trat aus dem Schatten, in den Lichtkegel der Küche und ich konnte Silas erkennen. Er schaute zu Alma. 'Das reicht.' Seine tiefe Stimme durchschnitte den Raum. Alma war bereits wieder dabei, den Teig zu kneten, als wäre nichts gewesen. 'Ja, ist ja schon gut' murmelte sie leise vor sich hin. Frustriert stieß ich die Luft aus. Silas sorgte also nicht nur dafür, dass ich keinen Kontakt mit irgendjemandem aufbauen konnte, er war auch verantwortlich dafür, dass es ein Geheimnis blieb. 

TycheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt