Kapitel 6

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„Makhah, du musst sie zurückholen!", bat Sabah inständig.

„Nein!", herrschte er seine Schwester an und seufzte. Konnte Sabah nicht endlich aufhören, ihn wegen der Sheikah zu nerven? Merkte sie nicht, dass die Weißen nur Unglück brachten? Ohne Khione wäre das Ganze nie passiert und Ahyoka würde noch leben!

Gemeinsam mit Sabah und Naira bereitete er seine Liebste für den endgültigen Abschied vor. Eingebettet zwischen Holzscheiten sollte ihre Seele mit dem Rauch in die Nacht emporsteigen. Das Ritual wurde schon seit Jahrhunderten ausgeübt und war ein fester Bestandteil. So ehrten sie die Verstorbenen und begleiteten sie auf den Weg zur Urmutter.

Fest hielt Makhah seine Geliebte im Arm und flüsterte unendlich viele Liebeserklärungen an ihre langsam erkaltende Stirn. Seine Männer errichteten den Scheiterhaufen, sodass er die letzten Minuten mit ihr verbringen konnte. In seinen Gedanken ließ er all die Jahre Revue passieren und er erinnerte sich daran, wie Ahyoka ihn vom ersten Augenblick an verzaubert hatte. Ihr sanftes Wesen war sein Anker, wenn er nicht mit sich selbst zurechtkam. Ihre ebenso weiche Stimme hatte ihn jederzeit beruhigt. Er war sich sicher, dass sie ihn auch jetzt besänftigt hätte. So wie an dem Tag, an dem er Khione gefunden hatte. Sie war ein Engel und von Natur aus fröhlich gewesen.

Plötzlich legte sich eine Hand auf seine Schulter.

„Shiharu, es ist soweit", flüsterte Asku mit einem Nicken zum Scheiterhaufen.

Mit einem Schlag befand er sich wieder in der Realität und blinzelte die Tränen weg. Makhah presste die Lippen fest zusammen und erhob sich. Sanft bettete er Ahyoka auf dem trockenen Holz. „Meine Geliebte", hauchte er mit rauer Stimme und streichelte ihr das blutige Haar aus dem Gesicht. „Ich hoffe, du findest deine Ruhe und wartest auf mich. Mein Engel ...", fuhr er fort, nahm ihre Hand und legte sich diese an seine Wange. Mit zitternden Lippen küsste er ihre Fingerknöchel, ehe er das geflochtene Lederarmband mit kleinen Holzkugeln von seinem Handgelenk löste und ihr als Geschenk auf die Reise mitgab. Vor langer Zeit hatte sie es ihm angefertigt und er hatte es mit Stolz getragen.

„Akita mani yo. Ayor anosh ni", flüsterte er.

Ein letzter Kuss auf ihre Hände, bevor er sie auf ihrem Bauch übereinanderlegte. Ein letztes Mal strich er ihre weichen und sanften Gesichtskonturen nach, dann trat er einen Schritt zurück. Asku übergab ihm eine Fackel, die Makhah an das Stroh zwischen den Holzscheiten hielt. Langsam breitete sich das Feuer aus und wurde höher, bis es Ahyokas Kleidung erreichte. Obwohl Makhah schon oft gesehen hatte, wie die Hitze die Haut schmolz und schwarz verfärbte, fiel es ihm schwer, zuzusehen, wie die Flammen den Körper umspielten und sich durch Muskeln und Sehnen bis auf die Knochen fraßen. Es sah aus, als würden sie tanzen.

Makhah senkte den Kopf und küsste seine Handinnenfläche, die er anschließend in den Nachthimmel hob. „Bitte nimm sie bei dir auf, Göttin Inara", bat er heiser und blinzelte mit einem schweren Schlucken seine Tränen weg. Dann stieß er einen schrillen Schrei in die Nacht hinaus.

Einige Männer fingen an, auf ausgehöhlten, runden Holzteilen zu klopfen, die mit Tierhäuten bespannt waren. Das gleichmäßige Trommeln symbolisierte den Herzschlag der Mutter Natur und war eine Verbindung zwischen Himmel und Erde. Zudem stellte es auch die Einheit und Harmonie der Welt dar.

Das Trommeln begleitete das Knistern des Feuers und den Gesang der Arakis, mit dem sie Ahyoka verabschiedeten. Die dunklen und hohen Töne echoten in der Stille der Nacht und verebbten erst, als die Flammen kleiner wurden und zwischen der Asche nur noch glühten.

Schweigend und seinen Gedanken nachhängend stocherte Makhah in der Glut herum. Im Hintergrund hörte er Pahra, wie sie sich gemeinsam mit Naira um die restlichen Verletzten kümmerte. Glücklicherweise waren es nur oberflächliche Wunden, die eine verspätete Versorgung nicht übel nahmen.

Khione - Gefährtin des stolzen KriegersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt