~ Anfänge ~
Dunkelheit, damit beginnt unsere Geschichte also. Eine Dunkelheit ohne Sterne, nur ausgefüllt mit Stille. Den Tod hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt. Nicht so... dunkel. Aber wer hätte, das denn schon sagen können? Jede einzelne Faser meines Körpers, schien in irgendeiner Art und Weise weh zu tun. Ich fühlte mich, als hätte mich ein Auto überfahren.
Warte mal... Langsam, tröpfelte die Erinnerung wieder in meinen Kopf zurück. Zäh, ein bisschen wie Honig. Mein Kopf fühlte sich an, wie als hätte in jemand mit Watte ausgestopft.
Und dann, wie als hätte jemand einen Schalter in mir umgelegt, fuhr ich wieder in die Höhe. Sauerstoff füllte meine Lungen, mein Herz schien einen wilden Stepptanz aufzuführen. Es hätte wohl ein bewegender Moment sein können, hätte es hier nicht so bestialisch gestunken. Irgendetwas machte perfekte Momente ja immer kaputt.
Vorsichtig öffnete ich meine Augen, erwartete helles Licht, doch mich umfing nur schwaches Zwielicht. Und dann schlug die Erkenntnis ein, fast wie ein Blitzschlag. Ich war nicht tot. Ich war tatsächlich nicht tot! Und doch, irgendetwas fühlte sich anders an. Ich konnte es nicht genau benennen, aber irgendetwas stimmte nicht.
Zögerlich richtete ich mich auf, was einwandfrei zu funktionieren schien und bewegte vorsichtig jeden meiner Finger. Dann richtete ich meine Aufmerksamkeit auf die Umgebung. Ich schien mich in einem halbdunklen Raum zu befinden. Es gab ein schmales Bett, auf dem ich saß. Ansonsten zierte den Raum nur ein hässlicher Holztisch und ein passend dazu nicht weniger hässlicher Stuhl.
Wo war ich hier? Wie war ich hier hergekommen? Und die Frage, die mich wohl am meisten fertig machte: Was zum Geier war passiert?! Außer leichten Kopfschmerzen fühlte ich keinerlei Schmerzen, nur ein kleines bisschen verkatert. Als ich meine Beine aus dem Bett schwang, trugen sie mich ohne größere Probleme.
Ich hatte noch nicht viel Erfahrung mit überfahren werden gemacht, aber ich konnte mir ziemlich sicher sein, dass sich derartige Unfallopfer nicht so... gut fühlten. Frustriert schlug ich mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. Party, Prügelei, Sturz und dann? Nichts! Absolut gar nichts!
Mein Blick fiel auf das kleine Fenster, das dringend mal wieder ein bisschen Putzmittel benötigt hätte. Ein kleines bisschen unsicher auf den Beinen trat ich darauf zu, und warf einen Blick durch die mit Staub bedeckten Scheiben. Und konnte meinen Augen nicht trauen
Klar, die Stadt dort draußen war immer noch Paris, ohne Zweifel, aber definitiv nicht das Paris, durch das ich mit meinen Freunden gezogen war. Gut Freunde, wäre vielleicht ein bisschen zu viel gewesen. Bekannte, trifft es wohl eher. Wobei... Vermutlich wäre nicht einmal das wirklich zutreffend.
„Das soll doch jetzt wohl ein schlechter Scherz sein", entfuhr es mir leise. Meine Stimme fühlte sich rau und ein bisschen heiser an. Die Gebäude waren altmodischer, als ich sie in Erinnerung gehabt hatte und die Menschen trugen seltsame Kleidung.
Ein lautes Rumpeln von Karren und Pferden drang an mein Ohr und ließ mich zusammenzucken. Was zur Hölle war hier los? Halluzinierte ich oder hatte ich einfach nur den Verstand verloren? Oder beides?
Erschöpft ließ ich mich auf den hässlichen Stuhl fallen. „Nora, reiß dich zusammen!", mahnte ich mich selbst zur Ordnung. Es funktionierte nicht ganz. Ich war wohl in einem ganz seltsamen Teil von Paris gelandet. Vielleicht gab es ja so eine Art... Mittelaltermarkt?
Ich war noch nie besonders gut in Geschichte gewesen, doch Mittelalter konnte ich mit ziemlicher Sicherheit ausschließen. Aber hey! Franzosen waren doch ein komisches Völkchen! Ich würde es ihnen sogar zutrauen, die Französische Revolution am helllichten Tag auf den Straßen ihrer Hauptstadt nachzuspielen.
Eigentlich war mir bereits klar, dass ich nur versuchte, mich selbst zu überzeugen. Und das hatte noch nie besonders gut funktioniert. Ich riskierte einen zweiten Blick aus dem Fenster. Oh Wunder, es hatte sich absolut gar nichts verändert. Ich ging in Gedanken alle Möglichkeiten durch, was ich jetzt am besten tun sollte. Gut, vielleicht tat ich auch nur so. Die meisten davon verwarf ich auch sofort schon wieder.
Wenn ich jetzt so genauer darüber nachdachte, blieben mir nur drei Optionen, die nicht komplett hirnrissig waren. Wenn ich die Variante mit einrechnete, in der ich einfach hier sitzen blieb wie ein störrisches Kleinkind und darauf hoffte, dass sich alles von alleine klären würde. Die Ironie ließ mal wieder grüßen.
Also Option Nummer 1. Ich griff in meine Hosentasche nach meinem Handy. Nichts. Noch einmal in die andere Hosentasche. Auch nichts. Jetzt fast schon ein bisschen panisch tastete ich über alle meine anderen Hosentaschen und die an meinem Sweatshirt. Keine Spur von meinem Handy. Verdammt!
Ich ließ mich im Stuhl zurücksinken. Das durfte doch jetzt wohl echt nicht war sein! Ich war hier in einem mir vollkommen unbekannten Gebäude, in meinem mir vollkommen unbekannten Stadtviertel von Paris, in dem die Leute offensichtlich übergeschnappt waren, ohne auch nur die Möglichkeit irgendwie jemanden zu kontaktieren den ich kannte!
Die Option mich einfach in irgendeine Ecke zu verkriechen und so zu tun, als wäre das alles nur ein schlechter Scherz, schien immer verlockender zu werden. Kurz schloss ich die Augen. Jetzt jammer mal nicht rum wie ein verstörtes Kleinkind! Also wird es wohl Option 2 werden.
Ich stand so schwungvoll auf, dass der hässliche Stuhl nach hinten umkippt und krachend auf dem Boden landete. Keine Zeit für Nebensächlichkeiten! Sonst verließ mich womöglich bereits der Mut, bevor ich überhaupt durch diese vermaledeite Tür gekommen war.
Und da war mein Mut auch schon wieder weg. Na super. Aufgeben war keine Option. Naja, jedenfalls keine offizielle. Aufgeben wäre Option 3 ein halb. Meine Hand war bereits auf der Türklinke, die zur Straße hinausführen sollte. Als ich sie öffnete, traf mich ein kalter Hauch von Wind und der Geruch von Rauch und Angst drang in meine Nase.
Ich hörte Schreie und das Klappern von Pferdehufen auf den Kopfsteinpflasterstraßen. Ich lief die kleine Treppe hinunter und trat auf die Straße. Überall um mich herum sah ich Menschen in Aufregung, einige stritten, andere schrien vor Wut.
Nein, das hier war definitiv keine lustige Verkleidungsaktion. Und wenn doch, dann definitiv eine, auf der ich nicht unbedingt sein wollte. Und eine, auf der die Leute dezent zu viel Fantasie hatten.
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Le XVII ~ Révolution et Résilience
FantasíaEin Mädchen, gefangen in der falschen Zeit, verloren, verwirrt und doch optimistisch in die Zukunft blickend Ein kleiner Junge ohne Eltern, gesucht von einem ganzen Land, verloren, verwirrt ohne Orientierung Was ist, wenn beide ihrer Welten kollid...