~Pläne~
Das war mal wieder eine Aktion, die so absurd absolut Ich war. Nein, ich war nicht einfach so in einer fremden Stadt verloren gegangen. Nein! Ich war in einer fremden Zeit gelandet! Und nicht einmal eine besonders schöne. In Selbstmitleid zu versinken würde meine Situation allerdings auch nicht besser machen, immerhin war hier noch jemand, der mein Mitleid viel mehr verdiente.
Ludwig. Oder Louis-Charles, wie er mit richtigem Namen hieß. Das ganze System der Namen des Königshauses hatte ich noch nie verstanden. Aber eigentlich war das auch egal. Er hatte sich gerade auf einem Heuballen niedergelassen und baumelte mit den Beinen.
Ich versuchte in meinem Gedächtnis zu kramen, nach irgendwelchen Informationen über ihn, die mir vielleicht noch helfen könnten. Vergeblich. Da dann... Es half ja alles nichts. Ich stieß mich von der Wand ab und trat auf den kleinen Jungen zu, ließ mich zögerlich neben ihm auf dem Heuballen nieder.
Ein leises Rascheln erklang aus einer dunklen Ecke des Stalls und ein kleines Tier huschte vorbei. Ludwig zuckte zusammen und drückte sich näher an mich heran, seine Augen weit aufgerissen vor Schreck.
Ich war noch nie besonders gut mit Kindern gewesen, wenn ich ehrlich war. Damals während meines Praktikums im Kindergarten, wo ich eigentlich nur wegen meiner Mutter gewesen war, hatte ich es geschafft, die ganze Gruppe zum Weinen zu bringen. Wie oft ich das bei meinem kleinen Bruder geschafft hatte, wollte ich jetzt gar nicht mal anfangen... Wenn ich ein unbekanntes Talent hatte, dann absolut das.
„Wo sind denn deine Eltern?", fragte ich leise und war dabei ein kleines bisschen stolz über meinen Tonfall, der schon fast als »sanft« durchgehen könnte. Ludwig blickte mit großen Augen zu mir auf. Jetzt erinnerte er mich weniger an ein Vogelküken, als an einen Dackel.
„Weg...", flüsterte er jetzt leise und blickte wieder zu Boden. "Ach so, weg also. Na, das ist ja praktisch. Ich meine, wer braucht schon Eltern, wenn man stattdessen auf einem Heuballen rumsitzen kann?", erwiderte ich mit einem Hauch von Sarkasmus. Ludwig schaute mich verwirrt an, offensichtlich verstand er meinen Humor nicht.
Dann begann er zu weinen und bei mir fiel endlich der Groschen. Na das hatte ich ja mal wieder toll hinbekommen! Wirklich Nora! Ich sagte ja, bisher unbekanntes Talent. Ach Schei... Schade! „Hey, Hey, Hey, Hey... Nicht weinen", versuchte ich Ludwig wieder zu beruhigen und tätschelte ihm etwas hilflos die Schulter. Ach Mann! Ich kann das einfach nicht.
Ich war einfach nicht gemacht für diese Art von Situationen.„Hey, weißt du was? Wir werden schon eine Lösung finden. Ich werde dich nicht alleine lassen", versuchte ich beruhigend auf ihn einzureden. Ludwig schniefte und sah mich mit großen Augen an. „Wirklich?", fragte er leise.
Innerlich stöhnte ich auf. War er nicht eigentlich derjenige, der mich gerettet hatte? War ich wiederum nicht eigentlich diejenige, die komplett aufgeschmissen war? Wie hatte sich der Spieß denn bitteschön so verdammt schnell umdrehen können? Es war irgendwie beeindruckend, wie Ludwig es schaffte, mir zu vertrauen. Ganz besonders in seiner Situation.
Aber vielleicht klammerte er sich auch nur an die kleinste Möglichkeit, die sich ihm irgendwie bot. Und genau dasselbe tat ich hier doch eigentlich auch. Er war alleine offenbar komplett aufgeschmissen. Ich war alleine offenbar komplett aufgeschmissen. Was wäre eine schlechtere Idee, als das wir uns einfach zusammenschlossen?
„Ja, wirklich", antwortete ich bestimmt und versuchte dabei so überzeugend wie möglich zu klingen. Nicht nur um ihn, sondern auch um mich irgendwie von dieser Idee überzeugen zu können. Und dann ohne Vorwarnung rutschte der kleine Junge zu mir hinüber und schmiegte sich an mich, schniefte noch einmal und vergrub sein Gesicht in meiner Jacke.
Ich ließ es exakt fünf Sekunden geschehen, dann schob ich ihn wieder ein bisschen von mir weg. „Kleiner, ich bin jetzt nicht so ein Fan von Körperkontakt, ok?", brachte ich dezent überfordert heraus. „Ich werde es versuchen", antwortete Ludwig mit einem etwas weinerlichen Lächeln.
So, da wir das nun geklärt hatten, stand wohl eine viel wichtigere Frage im Raum: was jetzt? Ich hatte es geschafft, mich binnen weniger Minuten extrem verdächtig in der Stadt zu verhalten von Ludwig einmal ganz zu schweigen.
Wir brauchten einen Plan; einen Guten wahlweise; allerdings würde ich mich auch mit einem Mittelmäßigen zufriedengeben. Ach was laberte ich hier eigentlich? Mir würde auch schon das nur kleinste bisschen eines Plans weiterhelfen!
Während ich mir das Gehirn zermarterte, hatte Ludwig wieder angefangen, mit den Beinen zu baumeln. Ob er eine Idee hatte? Schließlich schien er wenigstens schon länger hier zu sein, als ich. Allerdings war er noch nicht einmal zehn. Naja, was hatte ich schon zu verlieren?
„Hast du eine Idee wie wir hier wegkommen können?", fragte ich schließlich und sah zu ihm hinüber. Ludwig zuckte mit den Schultern und blickte mich unsicher an. „Ich weiß nicht... vielleicht sollten wir einfach warten, bis jemand kommt und uns rettet?", schlug er hoffnungsvoll vor.
Gut, dann wohl doch wieder ich...
Ich blickte mich um und versuchte, Anhaltspunkte zu finden. Der Stall schien alt und vernachlässigt, Spinnweben hingen in den Ecken und das Stroh unter uns war feucht und muffig. Es musste einen Ausweg geben. In meinen Büchern gab es doch auch immer einen!
„Wir könnten versuchen, jemanden zu finden, der uns hilft", schlug ich vor und versuchte dabei so zu klingen, als hätte ich einen festen Plan im Kopf und sprach nicht einfach aus, was mir gerade in den Kopf gekommen war. „Am besten jemand, der nicht irgendwie vorhat uns umzubringen"
Ludwig nickte langsam und sichtlich unsicher. Ich konnte ihn ja irgendwie verstehen. Es war durchaus verlockender, einfach auf diesem Heuballen rumzuhocken und zu warten, bis sich die Welt wieder ein bisschen weiter drehte. Aber früher oder später würde man uns finden. Und vermutlich nicht unbedingt nur freundliche Menschen.
"Wir werden jemanden finden", wiederholte ich entschlossen und wunderte mich noch im selben Moment, woher diese Entschlossenheit kam. Ludwig nickte jetzt ein bisschen zuversichtlicher. Ich streckte meine Hand aus und half ihm vom Heuballen herunter.
"Komm", sagte ich leise zu ihm. "Wir sollten uns erst einmal umsehen." Und mit einem letzten prüfenden Blick auf den kleinen Jungen an meiner Seite machten wir uns auf den Weg durch die staubigen Gänge des alten Stalls.
Und so meine lieben Freunde, trifft man die dümmste und gleichzeitig beste Idee seines Ganzen Lebens. Yay...
DU LIEST GERADE
Le XVII ~ Révolution et Résilience
FantasyEin Mädchen, gefangen in der falschen Zeit, verloren, verwirrt und doch optimistisch in die Zukunft blickend Ein kleiner Junge ohne Eltern, gesucht von einem ganzen Land, verloren, verwirrt ohne Orientierung Was ist, wenn beide ihrer Welten kollid...