V. Wo der Verstand aufhört und blindes Vertrauen beginnt

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Der Ausdruck in Arunas Augen, als sie am späten Morgen vor der Tür des Jägerhauses stand, war ein Anblick des blanken Entsetzens. Die Tochter des Priesters war schneeweiß und zitterte am ganzen Körper. Sie bekam kaum ein gerades Wort heraus.

Alles, was Kaira aus ihren abgehakten Worten verstehen konnte, war das Grauen, das sie gesehen hatte und welches sie selbst sich nicht ausmalen wollte. Aruna rief sie dazu auf, an einer dringenden Versammlung im Dorfgemeinschaftshaus teilzunehmen und taumelte weiter zur nächsten Haustür, bevor Cillian ihr entlocken konnte, was sie in solcher Furcht und Verstörung zurück gelassen hatte.

"Am besten bleibst du mit Willow hier", knurrte er grimmig, während er sein Schwerz an einem Riemen über die Schulter warf und im Begriff war, die schwere Eingangstür hinter sich zu schließen.

Empörung und Trotz wallten bei seinen Worten in Kaira auf. "Wenn du gehst, komme ich mit", entschied sie.

Über seine Wege mochte sie keine Kontrolle haben, sie mochte nicht bestimmen können, ob er in Katara blieb oder zurück ins Königreich kehrte, aber wenigstens ihre eigenen Füße gehorchten ihm nicht.

"Schön, aber sie bleibt hier." Er nickte, ohne ihr in die Augen zu sehen. Sein wacher Blick flog bereits durch die Straßen und Gassen, die er von der Tür aus einsehen konnte.

Das war etwas, bei dem sie ihm Recht gab. Aruna hatte nicht ausgesehen, als lade sie zu einer Teerunde ein.

Willow lugte hinter Kairas Rücken hervor, wo sie sich versteckt hatte, als es geklopft hatte. Nun klammerte sie sich an ihre Tunika und hielt sie mit unerwartet eisernem Griff fest.

"Wohin wollt ihr?" Die braunen Rehaugen wurden ganz groß.

Kaira ließ sich auf ein Knie sinken und strich dem Mädchen durch das helle Haar. "Wir sind bald wieder zurück, du brauchst keine Angst zu haben."

Dieselben Worte hat sie von ihrem Vater sicherlich auch gesagt bekommen und dann kam er nie wieder, fiel es ihr ein und das Mitleid umwickelte fest ihre Brust wie ein schweres Tuch, doch sie konnte es nicht ändern. Kaira befreite sich behutsam aus Willows Griff und folgte Cillian durch die Tür.

♤♧♤

"Es ist geschehen, meine lieben Mitbürger. Die Bestie, von der wir dachten, sie hätte den Wald um Katara, unser friedvolles Dorf, längst verlassen, ist zurück. Und sie hat diese Nacht ihr nächstes Opfer gefunden", verkündete der Bürgermeister, als schließlich Ruhe unter den aufgewühlten Dorfbewohnern im Gemeindehaus eingekehrt war.

Das lautes Getuschel, die angsterfüllte Schreie und wüsten Beschimpfungen wurden jedoch sofort wieder laut. Kaira sah die Furcht in jedem einzelnen Gesicht, versteckt oder nicht, sie alle hatten Angst. Genauso wie sie selbst.

Der Bürgermeister hob beschwichtigend beide Hände. "Dieses Mal ist es Friedhelm."

Daraufhin verstummte jeder einzelne. Betroffenes Schweigen erfüllte den ganzen Raum und ließ das Feuer dafür umso lauter knistern.

In der Miene des Bürgermeisters lag derselbe Schmerz, der so spürbar war, dass man ihn fast aus der Luft hätte greifen können. "Aruna fand ihn heute morgen, als sie ihm eigentlich seine Brötchen und ein paar frische Handtücher bringen wollte. Er starb grausam, aber schnell."

Das unterdrückte Schniefen einer Frau zerschnitt die Stille.

"Grausam aber schnell", wiederholte der Bürgermeister fahrig, wie um nicht zuletzt sich selbst genau davon zu überzeugen.

Dabei konnte er es gar nicht wissen, schließlich war er nicht dabei gewesen. Keiner von ihnen war das. Außer einem. Kaira erkannte ihn plötzlich. Letzte Nacht hatte sie nicht gewusst, wer er war, doch jetzt rieselte ihr die Erkenntnis eiskalt den Rücken hinab.

Dem Schicksal zum TrotzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt