13. Verdammtes Glück und reiche Freunde

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Es war ein verglichen milder Mittwochnachmittag in Armadillo, reges Treiben herrschte auf den Straßen der Kleinstadt, die einst symbolisch für den Wilden Westen stand. Nur mit den Vorhaben der bessergestellten Bevölkerung fanden die ersten Anzeichen der Industrialisierung ihren Einzug, als man auf Anordnung des Bürgermeisters am Ortsende ein neues Wohnhaus aus dem Boden stampfte. Und dabei war Armadillo nicht für sein Bevölkerungswachstum bekannt. Das sagte auch Herbert Moon, der sich zu den ersten Bürgern der Stadt zählte und sich über das Klirren der Sägen beschwerte, als er gemeinsam mit seiner Tochter die gelieferten Kisten eines Wagens ablud.

Mr. Moon brüskierte sich: „Bei diesem Lärm wird man noch taub. Aber wenn Mr. Sutton einhält, was er mir versprochen hat, dann werden wir schon bald nicht mehr diese Kisten schleppen müssen, wenn einmal die Eisenbahn durch Armadillo fährt. Lieber bin ich taub, als dass ich mir den Rücken breche.". Dadurch musste Herberta unweigerlich an ihre Freundin Harriet denken. Es war lange her, wo sie sich das letzte Mal gesehen hatten, denn es war Harriet nicht länger erlaubt, die Schule zu besuchen. Man hatte ihr erklärt, warum sie nicht mehr in die Schule gehen durfte, aber sie glaubte nicht, dass es an dem Unmut in der Bevölkerung lag. Immerhin wünschte sich nicht jeder den Tod der Suttons, so viel stand fest.

Wenn Herberta die Wahl hätte, dann würde sie auch nicht länger zur Schule gehen. Ihr Lehrer Mr. Grubb war völlig fehl an seinem Platz; abgesehen davon, dass er den Jungs alles erlaubte, hatte sie diese schrecklichen Bibelstunden satt, bei denen sie jedes Mal drohte, an Ort und Stelle einzuschlafen. Nur würde ihr Vater das sicherlich nicht hören wollen, dem viel an ihrer Schulbildung lag und deswegen niemals Mr. Grubb in Frage stellen würde. Er wünschte sich, dass sie eines Tages in eine gut situierte Familie heiraten würde, unter der Bedingung, dass ihr erster Sohn nach ihm benannt werden sollte. Das hatte er bereits vor Jahren klar gemacht, auch wenn Herberta in ihrem Alter noch gar nicht ans Heiraten dachte.

Für einen Moment hielt die Zeit still, Herbert Moon stellte eine Kiste auf den Boden und rückte die Brille auf seiner krummen Nase zurecht, als ein galoppierendes Pferd wie ein Blitz durch Armadillo schoss: „Schau mal, wer da kommt.". Es war Deputy Johnson, welcher mit geschwollener Brust in die Kleinstadt einkehrte. Nicht viele kamen mit ihm zurecht, weil er noch vor wenigen Jahren ein verrufener Krimineller war, der unerklärlicherweise unter die Fittiche von Marshall Draper geriet. Herbert Moon vertraute ihm in keiner Weise, auch wenn er ab und an wie an diesem Nachmittag einen Gesetzlosen auf dem Rücken seines Streitrosses gefesselt hielt.

Nur mit Erbitterung musste Mr. Moon feststellen, dass es sich bei dem Gesetzlosen um Finnegan Connelly drehte. Dieser beteuerte auf dem gesamten Weg seine Unschuld , nachdem man ihm beim Hehler dabei erwischt hatte, wie er versucht hatte, den erbeuteten Schmuck von Mrs. Payne zu barer Münze zu machen. Vorbei an den neugierigen Blicken der Bürger und Bürgerinnen führte Deputy Johnson ihn wie einen Schwerverbrecher zum Büro des Sheriffs, wo die Tür zur Gefängniszelle bereits für ihn offenstand. „Mal schauen, was unser Sheriff dazu sagen wird, wenn er hört, was du verbrochen hast.", sagte Leigh und setzte sich gelassen hinter den Schreibtisch, während sein Gehilfe den Kriminellen einbuchtete. Leigh verwahrte die Schmuckstücke in einem Beutel, nahm seinen Hut ab und gedachte das Eintreffen seines Vorgesetzten bei einer Zigarette abzuwarten, aber zu seinem Leideswesen blieb Draper seinem Arbeitsplatz fern, sodass er am späten Abend einnickte.

Die Sonne war schon längst untergegangen, endlich ging einmal die Tür auf, aber Leigh wäre fast vom Stuhl gefallen, als ohne Vorankündigung Miss Sutton hereinstürmte. Er hatte nicht mit ihr gerechnet und musste sich nach seinem Schäferstündchen erst einmal an den ungewöhnlichen Anblick von ihr gewöhnen. Die junge Dame strich die losen Haarsträhnen hinter ihr Ohr, als sie sich aufgebracht an den Deputy wandte: „Was machst du hier?".

Auf der Hauptstraße hatte sie von einem herumlaufenden Zeitungsjungen erfahren, dass man einen der Gesetzlosen gefasst hatte, die für den Überfall auf die Postkutsche der Familie Payne verantwortlich waren. Nur als der Name Connelly fiel, machte sie sich umgehend auf dem Weg in das Büro; und ihr fiel ein Stein vom Herzen, als sie nicht Cillian, sondern seinen Onkel Finnegan hinter Gittern entdeckte. Dieser klammerte verzweifelt an den Stäben und schaute erwartungsvoll zur jungen Miss Sutton, die im Glauben war, dass er und sein Neffe schon längst das Weite gesucht hatten.

Leigh seufzte: „Nach was sieht es denn aus? Ich mache meine Arbeit.", und schickte seinen Gehilfen mit einer Handbewegung nach draußen. Als dieser durch die Tür ging, stieß ihm der großgewachsene Thomas Sutton entgegen, welcher auf der Suche nach seiner Schwester war. Wenn er gewusst hätte, dass sie solche Aufruhe verursachen würde, hätte er sie gar nicht erst nach Armadillo mitgenommen.

Thomas schloss die Tür hinter sich, stellte sich an die Seite seiner Schwester und fragte: „Was ist hier los?", „Unser Deputy sperrt unschuldige Leute ein, das ist los.", antwortete Annabelle, der diese ganze Sache nicht geheuer war. Immer, wenn ihr Vater von Leigh Johnson sprach, hob er ihn nahezu in den Himmel. Schließlich hatte er ihm auch aufgrund seines Einflusses diese Anstellung verschafft, mit der Leigh zum verlängerten Arm des Bankenchefs von Armadillo wurde.

„Unschuldig...", lachte Leigh, „Gestern ist es zu einem Überfall auf eine Kutsche gekommen, drei Männer hatten das Ehepaar Payne auf dem Weg hierher überfallen und sie um ihre Wertsachen gebracht.", „Davon haben wir gehört.", „Dann wisst ihr auch, dass niemand zu Schaden gekommen ist, was wohl ein Fehler für unseren Mr. Connelly war. Sowohl die Beschreibung des Kutschers als auch der Familie Payne passt wie die Faust aufs Auge.", „Das ist noch lange kein Beweis für seine Schuld!", „Ach ja? Dann schau dir das mal an.".

Der Hilfssheriff riss die Schublade auf und holte das beschlagnahmte Diebesgut heraus, das sich aus einem funkelnden Silbercollier, Perlenohrringen und unzähligen Ringen zusammensetzte. Er fügte hinzu: „Zu seinem Unglück hab ich ihn vorher beim Hehler ertappt, wie er versucht hatte, das Zeug zu verkaufen. Anscheinend lag euer Vater mit diesen Leuten doch nicht im Unrecht.", „Das ist ein Missverständnis!", rief Finnegan aus dem hinteren Eck des Zimmers, was niemand so wirklich zu interessieren schien.

Annabelle schaute zu ihrem Bruder, der sich nach langem Überlegen auch in diese Angelegenheit einmischte: „Du musst es ja wissen, weil du ja vor einem Jahr selber noch ein gern gesehener Kunde beim Hehler warst. Und wenn unser Vater nicht so gnädig gewesen wäre, würdest du wahrscheinlich nicht hier sitzen und Hilfssheriff spielen.", womit er bewies, dass aus ihm ein durchaus fähiger Anwalt geworden wäre, hätte er seine Ausbildung nicht in den Sand gesetzt, „Dennoch, auch wenn die Hinweise für Mr. Connelly sprechen, müsste das Ehepaar Payne ihn identifizieren, bevor man ihn überhaupt für schuldig sprechen kann.".

Leigh schien alles andere als begeistert darüber zu sein, dass solche Leute wie die Suttons seine Vorgehensweise in Frage stellten, weswegen er gereizt fragte: „Was geht euch das überhaupt an?", „Naja, Mr. und Mrs. Payne sind uns bekannt.", antwortete Thomas unbedacht, „Sie waren gestern bei uns und wollten Annabelle kennenlernen. Schließlich wird sie selber bald den Namen Payne tragen, wie du bestimmt mitbekommen hast.", „Sicher, du wirst ja bald diesen Vertreter von der Eisenbahn heiraten. Meinen herzlichsten Glückwünsch.", woraufhin Annabelle verstummte. Sie hatte diese Tatsache völlig verdrängt und wollte vor allem nicht in der Anwesenheit von Finnegan Connelly über ihre Verlobung mit Alastor Payne sprechen.

Deputy Johnson merkte an: „Um ehrlich zu sein, war ich sehr überrascht davon zu hören. Wo du doch nie den Bund der Ehe eingehen wolltest.", „Tja, vielleicht hab ich meine Meinung geändert.", erwiderte sie trocken und stellte sich vor den Schreibtisch, um sich an der Rückenlehne des Stuhls festzuhalten. Er lachte: „Du? Nein, dafür kenn ich dich zu gut. Du bist der größte Dickkopf, der mir je begegnet ist.", „Und genau deswegen werde ich nicht eher von hier weggehen, bis du Mr. Connelly frei lässt.", sprach sie entschieden, „Hör auf mit diesem Spiel und lass ihn frei.".

Jegliche Freude entschwand seinem Gesicht, Leigh erklärte eisern: „Das kann ich nicht. Der Marshall wird euch genau das gleiche sagen, wenn er zurück ist.". Daraufhin stellte sich ihm Thomas quer: „Wann können wir mit Marshall Draper rechnen, hm? Ich habe ihn nämlich vorhin noch im Saloon gesehen, wie er sich ein Glas Whiskey nach dem anderen nach hinten gekippt hat. Ob er danach noch in der Lage ist, für Recht und Ordnung zu sorgen, ich weiß ja nicht so recht...", „Vor allem ist er ja auch bekannt dafür, dass er sich um die Sicherheit dieser Stadt sorgt. Mit einem Kleinkriminellen als seine rechte Hand.", fügte Annabelle hinzu.

Leigh musste sich zusammenreißen, nicht im nächsten Moment ausfallend zu werden. Er grummelte unter zusammengebissenen Zähnen: „Besser ihr geht jetzt. Da ist die Tür.", aber beide bewegten sich keinen Schritt. Thomas fragte: „Wie viel?", „Was, wie viel?", „Verkauf uns nicht für dumm. Wie viel willst du, damit du ihn frei lässt.", „Ich hab mich verändert, und jetzt raus!", erklärte er und sprang empört von seinem Platz auf.

Nur brauchte es keine weiteren Worte zwischen den Geschwistern, Thomas zog aus seiner Geldbörse fünfzig Dollar, die er auf den Schreibtisch legte und hinüber zum Hilfssheriff schob: „Reicht das?". Leigh schaute auf die Scheine, seine Finger kribbelten gar vor Aufregung, er war versucht, dieses Angebot anzunehmen, wäre ihm sein Gewissen nicht dazwischengekommen: „Und was soll ich Sheriff Draper erzählen?", „Lass dir was einfallen.", meinte Annabelle unverblümt, „Du warst schon immer ein guter Lügner gewesen. Ich glaub nicht, dass du das verlernt hast.", und verschränkte ihre Arme.

Leigh hatte sich schon längst entschieden und schob das Geld ein, bevor er nach den Schlüsselbund griff und hinüber zur Zelle marschierte. Finnegan trat einen Schritt zurück, während die Zellentür aufsperrt wurde: „Du hast wirklich verdammtes Glück. Und reiche Freunde.", raunte der Hilfssheriff. Das Schloss klickte, die Angeln quietschen, die Zellentür ging auf und mit Schwung verließ Finnegan sein Gefängnis. Er war nur noch darauf aus, diesen Ort hinter sich zu lassen und begleitete die Suttons nach draußen.

Johnson hielt ihnen die Tür auf, als Thomas und Finnegan das Büro verließen, während Annabelle wie festgefroren stehenblieb. Sie klammerte sich an ihrer Handtasche fest und bat: „Es wäre besser, wenn mein Vater nichts davon erfährt. Zu seinem eigenen Wohl.", „Das kann ich dir nicht versprechen.", meinte Leigh, „Es wird sich mit Sicherheit schon herumgesprochen haben. Aber ich werde ihm nicht verraten, dass ihr hier gewesen seid.".

Annabelle war darüber erleichtert: „Danke, ich weiß das zu schätzen.", „Ich werde ihn schon um den Finger wickeln können.", „Sicher, er hatte schon immer etwas für dich übrig.", „Trotzdem hat er mir nicht erlaubt, dich länger zu sehen.", meinte Leigh, woraufhin Annabelle peinlich berührt den Blick senkte. Eigentlich hatte sie schon längst damit abgeschlossen, sie war damals 15 Jahre gewesen, als aus dem verhassten Mitschüler ihr heimlicher Liebhaber wurde.

Leigh hing dieser Zeit immer noch hinterher und flüsterte: „Zu schade, dass aus uns nichts geworden ist.", aber Annabelle lachte verächtlich: „Du hast immer nur aufs Geld geschaut, Leigh. Deswegen ist aus uns nichts geworden.", „Und du glaubst, dass das bei deinem Neuen anders ist?", spottete er über ihren Verlobten, was sie sich nicht länger gefallen und ihn ohne ein weiteres Wort an der Türschwelle stehen ließ.

Auf der Straße entdeckte sie die anderen beiden, die sofort ihr Gespräch einstellten, als sie sich zu ihnen gesellte. Sogleich griff Finnegan Connelly nach ihren Händen: „Danke, dass Sie so schnell gekommen sind. Das wäre wirklich nicht nötig gewesen... von Ihnen beiden.", „Unsinn.", warf Thomas ein, „Das war das Mindeste, was wir für Sie tun konnten. Damit sind wir quitt.".

Annabelle wandte jedoch ein: „Trotzdem wären wir Ihnen dankbar, wenn Sie das eben für sich behalten könnten. Nicht jeder muss erfahren, dass Sie von uns freigekauft wurden.", „Natürlich. Nichts leichter als das.", sagte Finnegan und schaute sie lange an. Mit der Zeit begann er das zu sehen, was sein Gefährte Mr. Van der Linde in ihr sah, und musste sie deshalb darauf ansprechen: „Sie werden also heiraten?".

Dabei kannte man ihr an, wie leid sie es war, über dieses Thema zu sprechen. Ihr Bruder ergriff daraufhin das Wort: „Ich weiß es auch erst seit drei Tagen, aber ja. Sie wird Mr. Alastor Payne heiraten, wenn nichts dazwischen kommt...", und erntete dafür einen Schlag gegen den Oberarm, „Aua!". Annabelle wandte ein: „Wir müssen jetzt auch wieder los. Unsere Mutter wartet zuhause.", „Ich verstehe. Eigentlich würde ich gerne sagen, dass Sie ihr meine Grüße ausrichten sollen, aber unser Treffen hat ja gar nicht stattgefunden.", worüber alle lachten, bevor sich ihre Wege trennten.

Thomas begab sich mit seiner Schwester zu dem Wagen, mit dem sie zurück zum Anwesen kehren wollten. Als er ihr hinaufhalf und sich anschließend auf die andere Seite schwang, meinte er: „Ich dachte, dass sie schon längst die Stadt verlassen haben.", „Ich auch.", sagte Annabelle mit Verdruss, weil es ihre Umstände nicht leichter machte. Thomas nahm die Zügel in die Hand und trieb die eingespannten Pferde an, um so schnell wie möglichst ihr Zuhause zu erreichen.

„Glaubst du, dass sie damit was zu tun haben? Mit dem Überfall auf Mr. und Mrs. Payne?", eine Frage, die sie sich die ganze Zeit über stellte. Sie wollte seine Meinung hören, aber Thomas schürzte die Lippen; er glaubte nicht nur, er wusste es sogar. Ohne ihn hätten die Connellys nämlich gar nicht gewusst, dass die gut betuchten Eheleute auf dem Weg nach Armadillo waren. Seinem Tipp waren sie auch nachgegangen, worüber er sich ins Fäustchen lachen könnte.

Leider war ihm nicht klar, wie seine gutgläubige Schwester mit dieser Information umgehen würde, weswegen er sich lieber in Unwissenheit hüllte: „Vielleicht, vielleicht auch nicht... wer weiß das schon.", und er wandte dabei seinen Blick nicht von der Straße ab. Ungeduldig rutschte Annabelle auf dem Sitz des Wagens hin und her, sie war ganz fahrig und wusste nichts mit ihren Händen anzufangen. Im Moment ging ihr alles Mögliche durch den Kopf. „Wenn Dad herausbekommt, dass wir gerade Finnegan Connelly gegen eine Kaution freibekommen haben, dann-", „Dann wird er mich endgültig loswerden, was er ohnehin schon versucht.".

Annabelle fiel es schwer, daraufhin etwas entgegenzusetzen. Er war nicht ganz im Unrecht, denn Mr. Sutton war äußerst schlecht auf seinen Sohn zu sprechen, welcher in der Vergangenheit sein gesamtes Geld und seine gesamte Karriere aufgrund seiner Leichtherzigkeit an die Wand gefahren hatte. Und mit seiner Anstellung als Postkutschenführer würde er kein Vermögen verdienen. Dennoch schien es ihn nicht sonderlich zu kümmern, weswegen er freimütig erklärte: „Aber zum Glück hat er bereits einen Ersatz für meinen Platz gefunden. Nicht mehr lange und ich bin von hier weg, um mein Glück woanders zu versuchen.", „Und was ist mit Ma? Und Harriet? Willst du die etwa im Stich lassen?!".

Daraufhin kramte Thomas aus seiner Tasche einen Umschlag, den er ihr in die Hand drückte: „Lies das.", „Was ist das?", „Ein Brief aus Louisville an unsere geliebte Mutter. Sie wollte ihn nicht an unsere Adresse schicken lassen. Ich hab ihn für sie von der Postmeisterei abgeholt, aber ich war zu neugierig, um ihn ungeöffnet zu lassen.", „Wird Ma nichts davon merken?", „Nicht, wenn ich das Wachssiegel neu aufgieße. Aber hör auf zu reden und fang an zu lesen, wir haben nicht mehr weit.".

Annabelle scheute nicht davor, gegen das Briefgeheimnis zu verstoßen, und zog begierig das Pergament aus dem Umschlag. Mit Blick auf die Schrift stellte sie skeptisch fest: „Von Tante Rebecca?! Ich dachte, dass Ma sie nicht ausstehen kann.", „Eigentlich ja, aber Ma ist nicht wirklich für ihre Ehrlichkeit bekannt.".

Annabelle räusperte sich, um die liebevoll verfassten Zeilen in der nachgeahmten Stimme von Tante Rebecca laut vorzulesen: „Meine liebste Judith, dein Schreiben hat mich ziemlich überrascht, wo ich doch so lange nichts mehr von dir zu hören bekommen habe. Mit Bedauern muss ich dir mitteilen, dass ich nicht zur Vermählung von Annabelle nach Armadillo kommen kann.  – zum Glück, ich will mich nämlich nicht zum Narren machen... – Wie du siehst, sind deine Sorgen unbegründet gewesen, da sie doch noch einen Mann fürs Leben gefunden hat. Bla, bla, bla... Umso mehr freut es mich, dass du mich mit Harriet besuchen kommen wirst... – was zur Hölle?! – ...ihr seid natürlich willkommen und könnt so lange bleiben, wie ihr wollt...".

Beide fehlten die Worte für das, was aus dem Brief hervorging. Hastig faltete sie den Brief wieder zusammen, als sie sich dem Zaun ihres Anwesen näherten. Auch Thomas hockte still schweigend neben ihr, er schlug unterdessen mit dem Wagen eine Kurve in Richtung der Einfahrt ihres Anwesens ein. Annabelle seufzte: „Ich kann nicht glauben, dass sie das macht. Weiß Dad davon Bescheid?". Er zuckte mit den Schultern: „Keine Ahnung, wahrscheinlich nicht. Ansonsten wüssten wir auch darüber Bescheid. Ich glaube, dass sie deswegen die Adresse der Postmeisterei angegeben hat, damit er nichts davon mitbekommt.", „Er wird dem niemals zustimmen. Und er wird ihr das erst recht nicht verzeihen. Wenn sie nach Louisville gehen, dann gibt es kein Zurück mehr.", „Dann ist es so.", meinte Thomas und stieg vom Wagen herab. Er half seiner Schwester herab und stellte sicher: „Es wäre das Beste, wenn wir auch weiterhin so tun, als wüssten wir nichts davon.", was Annabelle sichtlich schwer fiel, zu akzeptieren.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Sep 23 ⏰

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