Die Sonne brannte mir auf den Schädel. Es war ein heißer Sommertag und keine Wolke bedeckte den Himmel. Irgendwie freute ich mich darüber. Der Frühling war nass und kalt gewesen. Umso wohltuender waren die warmen Sommertage von Juni bis August. Ich war gerade auf dem Weg zur städtischen Bibliothek. Ein paar Bücher mussten heute abgegeben werden, wenn ich keine Strafgebühr zahlen wollte. Und da mein Taschengeld nicht gerade hoch war, vermied ich ein zu spätes Abgeben. Die Bücher lagen schwer im Rucksack. Zwei dicke Wälzer waren es. Einer über psychedelische Drogen und einer über eine soziokulturelle Abhandlung zum Thema Methamphetamine. Beide Bücher waren Recherchematerial gewesen für einen Artikel in unserer Schülerzeitung. Ich war Mitglied eben jener. Und wir hatten einen großen Artikel zum Thema Drogen veröffentlicht. Leider ein Thema, das zu wenig beachtet wird. Vor allem wenn man die Gefahren betrachtete, die von Drogen ausgehen. Und zudem wäre es gelogen, würde ich sagen Amerika hätte kein Drogenproblem. Selbst in unserer Kleinstadt im Nirgendwo von Maine. Das war traurig, aber Realität. Vor allem als Zombie-Drogen bekannte Stoffe bereiteten unserem Land Probleme. Deswegen war es uns wichtig gewesen, die Schüler zu informieren und zu warnen.
Und jetzt schleppte ich die schweren Bücher zurück. Zum Glück war die Bibliothek nicht mehr weit. Langsam wurde es mir doch etwas zu heiß und ich sehnte mich nach der Kühle im Innern. Der Schweiß rann mir langsam in Bächen hinab. Auch mein Rücken war schon klamm, nicht zuletzt auch dank des Rucksacks.
Ich überquerte eine kleine Straße. Kein Auto fuhr hier lang. Ich konnte mich auch nicht daran erinnern jemals ein Auto in dieser Straße gesehen zu haben. Und trotzdem hatte man sie grunderneuert. Keine Ahnung warum. Dad meinte, weil in dieser Straße einige Gutverdiener wohnen würden. Das mochte durchaus sein, die Häuser sahen nicht gerade nach armen Bewohnern aus. Ich hatte auch Moms Stimme im Kopf: Dieser rote Affe verschwendet unser Steuergeld um bei den Reichen zu punkten. Sie hielt nicht viel von unserem republikanischen Bürgermeister. Sie meinte immer, ihm wäre der Mittelstand egal. Ich glaubte ihr das sogar. Vor einem Jahr, im Wahlkampf, hatte überall in der Stadt sein Gesicht gehangen, mit dem falschen Lächeln und den, wie ich glaubte, ebenso falschen Zähnen.
Ich bog jetzt nach rechts ab und da konnte ich die Bibliothek auch schon auf der anderen Straßenseite sehen. Sie wirkte auf mich immer etwas deplatziert. Zwischen all den schlichten Hausfassaden wirkte sie nahezu wie ein Juwel. Wie ein Gebäude, dass eher in eine Großstadt gehörte. Aber ganz bestimmt nicht hierher. Doch ich fand es auch gut. Vor einigen Jahren hatte man sie komplett neu gebaut. Dadurch hatte sie jetzt auch ein größeres Angebot.
Nur wenige Autos fuhren hier lang. Ich wartete kurz, bis der rote Toyota vorbei war und joggte über die Straße. Großer Fehler. Die kurze körperliche Anstrengung ließ mir den Schweiß nur so aus den Poren laufen. Nicht ein Lüftchen regte sich. Man atmete nur die warme, trockene Luft ein, als würde man sich einen Föhn direkt in den Mund halten.
Nach wenigen Metern hatte ich sie endlich erreicht. Die gläserne Fassade mit dem hohen Fensterband sah einladend aus. Die Automatiktür schwang auf, als ich auf sie zuging. Und kaum hatte ich einen Schritt in die Bibliothek getan, atmete ich auf. Eine herrliche, kühle Luft umfing mich. Die Klimaanlage musste auf Hochtouren laufen. Ich stieg die kleine Treppe, die aus vier Stufen bestand, hoch. Dann musste man nur noch durch eine geöffnete Glastür treten. Das tat ich auch.
Der altbekannte Geruch stieg mir in die Nase. Es roch sachlich, ich konnte es nicht genauer definieren. Ein leichter Kaffeegeruch war auch dabei. Links, in der Ecke, befand sich nämlich ein kleiner Lesebereich mit zwei Kaffeeautomaten. Ich musste wieder daran denken, wie viel Zeit ich hier schon verbracht hatte. Nicht nur für die Recherche. Nein, auch als Kind war ich oft mit meinen Eltern hier gewesen. Damals stand natürlich noch das alte Gebäude. Wir hatten uns immer Filme hier ausgeliehen, weil es vor zehn Jahren noch kein Netflix in unserem Haushalt gab. Ich konnte mich noch genau daran erinnern, wie ich durch die Regalreihen geschlendert war um mir die neusten Filme auszuleihen. Die Hälfte davon hatte Dad meist wieder weggepackt mit der Begründung, ich sei noch zu jung dafür.
Mein Ziel war das andere Ende, des hohen Raums. Halle hätte als Begriff wahrscheinlich schon besser gepasst. Dies hier war eine Kleinstadt. Dafür schien das Motto beim Neubau gewesen zu sein: nicht kleckern sondern klotzen. Durch das große Fensterband fiel helles Tageslicht in die Bibliothek. Ich fand das schön. Dieses kühle Neonlicht tat auf Dauer echt weh.
Als ich endlich das andere Ende erreicht hatte, stand ich vor einem Automaten, der in die Wand eingebaut war. Das war der Rückgabeautomat. Meinen schweren Rucksack nahm ich jetzt vom Rücken. Zuerst holte ich aus ihm das schwarze Portemonnaie. Dort steckte mein Bibliotheksausweis. Den musste ich einscannen. Danach wurden mir meine ausgeliehenen Bücher angezeigt. Ich wählte das erste und klickte auf Rückgabe. Dann scannte ich den Code des Buches und warf es in den dafür vorgesehen Schlitz. Gleiches tat ich auch noch mit dem zweiten Buch. Danach war das erste schon mal erledigt. Jetzt wollte ich mir nur noch zwei Romane ausleihen. Ich kannte mich ja sehr gut aus hier. Deshalb wusste ich, dass die Horrorliteratur im Keller war. Dort befanden sich auch die CDs und Filme. Ich suchte die Treppe auf und ging sie hinab. Meine Schuhe quietschten etwas auf dem Linoleum. Am Fuße der Treppe angelangt, bog ich nach links ab. Und dann nach rechts. Im Keller hatte ich das Gefühl, dass es noch kühler war. Ich verbrachte nun die nächsten Minuten damit, mir zwei interessante Romane auszusuchen. Es herrschte reger Betrieb hier. Wobei ich mir nicht sicher war, ob die Leute wegen der Bücher oder der Klimaanlage hier waren.
Schlussendlich entschied ich mich für zwei Stephen-King-Romane. Ich mochte seinen Schreibstil. Es war auch cool, dass seine Romane meist bei uns, in Maine, spielten. Das machte die ganze Sache greifbarer.
Jetzt musste ich wieder nach oben. Dort gab es einen Automaten zum Ausleihen. Warum man sich dafür zwei verschiedene Automaten zulegen musste, war mir auch ein Rätsel.
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Die Bibliothekarin
Mystery / ThrillerDie neue Bibliothekarin scheint ein dunkles Geheimnis zu umgeben. Ein Mann kriegt einen panische Anfall als er sie sieht. Er ist der Meinung sie zu kennen. Nicht nur das, er scheint sich vor ihr zu fürchten. Dylan, Schülerreporter und Zeuge dieses A...