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Wenig später kam tatsächlich ein älterer Herr mit Dreitagebart in die Bibliothek. Ms. Croft bat die Leute zu gehen oder zumindest einen diskreten Abstand zu wahren. Die ältere Bibliothekarin, deren Namen ich immer noch nicht erfahren hatte, fokussierte wieder ihren PC als ginge sie die ganze Sache nichts an. Der Psychologe stellte sich als Dr. Smulders vor und wechselte ein paar Worte mit Ms. Croft. Der Mann oder auch Patient saß auf einer Bank, die mit grünem Stoff überspannt war. Er blickte zu Boden. Doch ich glaubte, dass er gerade gar nichts wahrnahm. Dr. Smulders ging nun auf den Mann zu. Mir fiel auf, dass der Psychologe eigentlich viel zu warm angezogen war für so einen heißen Sommertag. Er trug ein langärmeliges Karohemd und eine braune Cordhose . Sein Gesicht präsentierte ein gewinnendes Zahnpastalächeln. Er blieb dicht vor dem Mann stehen. Dann ging er in die Hocke. Er suchte offenbar den Augenkontakt mit dem Mann. Doch dieser starrte weiterhin ins Leere.

„Mein Name ist Dr. Smulders", begann der Psychologe. „Wie lautet Ihr Name?"

Keine Antwort. Nur dieses Starren auf einen imaginären Punkt auf dem Boden.

„Ich bin hier, um mit Ihnen zu reden", erklärte der Doktor unbeirrt. „Ich möchte Ihnen helfen und ich möchte Sie verstehen:" Bei diesen Worten baute er erstmals Körperkontakt auf. Als stünde der Psychologe unter Strom, so merkte man, dass ein Schauder durch den Körper des Mannes lief. Das erste Mal wandte er den Blick vom Boden ab. Er blickte auf den Psychologen, ohne jedoch den Augenkontakt herzustellen. Stattdessen schien der Mann die braune Cordhose anzustarren. Was aber immerhin auch schonmal ein Fortschritt war.

„Möchten Sie gerne mit mir reden, Mr....?", fragte Dr. Smulders.

„Hersh", brummte der Mann. Ich wunderte mich selbst, dass ich das verstanden hatte, aber anscheinend stand ich noch geradeso nah genug an den beiden.

„Also gut, Mr Hersh. Meinen Namen kennen Sie ja. Und ich denke wir müssen reden. Über das was hier vorgefallen ist und darüber, wie Sie sich gerade fühlen. Ist das für Sie in Ordnung?"

Der Mann zeigte keine Reaktion. Wenn der immer so ein Gesicht zog, musste er im Pokern ein Weltmeister sein.

„Ich deute Ihre Nichtreaktion als Akzeptanz", fuhr Dr Smulders fort. „Fühlen Sie sich wohl? Oder möchten Sie vielleicht die Umgebung wechseln?"

Ich konnte erkennen, dass Mr. Hersh an seinen Fingern rumnestelte. Er schien unter Anspannung zu stehen. Auch wenn er sich das nicht weiter anmerken ließ.

Dr Smulders wandte den Kopf um. Er schaute zu Ms. Croft.

„Ich denke es ist besser, und vor allem im Interesse von Mr. Hersh, wenn alle hier Anwesenden den Raum verlassen. Gehen Sie am besten nach Hause oder warten draußen bis ich zu Ihnen komme." Ms. Croft nickte nur und bedeutete uns allen nach draußen zu gehen. Ich warf im Gehen noch einen Blick auf diese seltsame, unempathische Bibliothekarin, die weiterhin auf ihren Bildschirm blickte. Sie machte keine Anstalten nach draußen zu gehen. Dabei war sie ja sogar der augenscheinliche Auslöser gewesen.

Mir fielen wieder die Bücher ein, die ich ausleihen wollte. Ich fragte Ms. Croft im Rausgehen danach.

„Das geht in Ordnung. Darum kümmern wir uns, wenn wir wieder reindürfen. Vorausgesetzt, dass du solange warten kannst."

Ich nickte. „Das geht schon in Ordnung." Wir traten alle ins Freie. Die meisten Leute gingen anscheinend nach Hause. Nur Ms. Croft, zwei Damen und ich blieben vor der Bibliothek stehen. Es war so unerträglich. Beim Rausgehen hatte mich die Hitze getroffen wie ein Schlag. Sofort brach mir der Schweiß aus.

Wir standen bestimmt eine halbe Stunde draußen. Ich war nach zehn Minuten dazu übergegangen, mir das erste Kapitel eines der Bücher durchzulesen. Dann aber trat endlich Dr. Smulders nach draußen. In Begleitung von Mr. Hersh.

„Sie können wieder reinkommen. Ich werde Mr. Hersh jetzt nach Hause begleiten."

Beide traten sie nach draußen. Ms. Croft und die beiden Damen gingen sofort wieder nach drinnen. Ich war der letzte in der kleinen Reihe. Doch dadurch fiel mir etwas auf. Psychologe und Patient schritten an mir vorbei. Dabei fiel allerdings etwas zu Boden. Zuerst wusste ich nicht was es war. Auf jeden Fall eine Karte. Aber was für eine? Außerdem war an dieser Karte auch noch etwas befestigt. Ich bückte mich um es aufzuheben. Die Karte gehörte Mr. Hersh. Es war ein Bibliotheksausweis. Er musste ihn verloren haben. Vielleicht war er ihm im Vorbeigehen aus der Tasche gefallen. Doch da war etwas, das ganz und gar nicht zu einem Zufall passen wollte. Denn da war noch dieser kleine Zettel, der an dem Ausweis befestigt war. Ich nahm ihn und faltete ihn auf. Es stand nur ein einziges Wort darauf. Mein Herz schlug schneller. Auf dem unscheinbaren Zettel stand in Großbuchstaben: HILFE...

Die BibliothekarinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt