Es heißt, jeder Mensch hat einen Doppelgänger. Einen optischen Zwilling, und so gering die Möglichkeit auch ist, einander zu begegnen, wartet er irgendwo auf dich.
Bullshit.
Ein Doppelgänger - das würde heißen, dass mindestens acht Gesichtsmerkmale übereinstimmen. Acht verdammte Gesichtsmerkmale! Die Wahrscheinlichkeit, auf vier zu kommen, liegt schon bei eins zu einer Million, doch acht... - acht Gemeinsamkeiten deines ach so einzigartigen Gesichts. Einmal nicht aufgepasst und Wusch!, bekommst du einen mit dem Edding verpasst.
Vergiss, was Mami dir jahrelang eingetrichtert hat. Du bist nichts Besonderes, bloß ein Double. Eine missratene Kopie von etwas Besserem - Ausichtsvollerem...
Haha.
Auf einen Doppelgänger zu setzen bedeutet, sein Gehirn zwischen Bahnhofstoilette und Hinterhof vergessen zu haben. Da spiele ich doch lieber Lotto als mir vorzustellen, dass hinter der nächsten Ecke eine Kopie von mir herumrennt.
Dumme, dumme Lizzy...
Die Wahrheit ist viel abgefuckter.
Ich presse mich gegen die Kabinentür der Schülertoilette. Die Schule ist vorbei, genauso wie mein erbärmliches Leben, denke ich mir und starre auf das siebzehnjährige Mädchen. Das bin ich, denke ich. In ihr Gesicht zu blicken, heißt in einen Spiegel zu schauen. Spiegelkabinette haben mir schon immer Angst gemacht, aber das hier setzt noch einen drauf.
Die Schultern eingezogen, das Gesicht zur Fratze verzerrt, hält sie mir die Knarre an die Stirn. Ich spüre das kalte Metall. Schweiß tropft meine Nasenspitze herunter. Ekel überkommt mich. Der Geruch von Angst kommt von mir und es widert mich an. Mir ist speiübel. Adrenalin wird in ungleichmäßigen Schüben in meinem Körper gepumpt. Ich zittere. Nicht von außen. Das Gefühl kommt von innen, und es jagd mir eine Scheißangst ein.
"Was nun, Lizzy?", fragt sie - also ich. Die Hand, mit der sie die Waffe hält, zittert. Ich kann es an meiner Stirn fühlen.
"Annabelle", krächze ich. Meine Stimme klingt jämmerlich. Ich kann mich nicht bewegen. Dass eine falsche Bewegung mein Leben beenden könnte, lässt mich zu Stein erstarren.Ihre Gesichtsmuskeln zucken. Auch Annabelle steht der Schweiß auf der Stirn. Winzige Perlen haben sich in ihren Pony verfangen. Ihr nussbraunes Haar ist stumpf und fettig und ich sehe mein jämmerliches Leben in ihren Augen aufblitzen.
Sie bereut. Da geht es ihr wie mir.
"Wir können doch reden", sage ich und denke, dass der Spruch auch aus einer billigen Krimiserie stammen könnte. Meine Hände sind oben. Ich bin unbewaffnet, das soll sie wissen, aber ihre zusammengepressten Lippen verraten, dass es keine Rolle spielt. Ich kenne sie, das heißt, ich kenne mich. Wir beide wissen, was der andere denkt. Nichts ist wirklich unvorhersehbar. Außer dieser bizarren Situation, in die wir uns mit Vollkaracho hinein manövriert haben.
Mit bebenden Lippen rede ich weiter. Reden schindet Zeit und vielleicht findet man uns, bevor mir ein Loch in den Kopf gepustet wird.
Schwachsinn.
Niemand kommt. Es sind Sommerferien, kein Schwein wird sich hier verirren und wenn die ersten meine Leiche entdecken, wird mein Körper von den Ratten zerfressen und von Kakerlaken übersät sein.
Annabelle wird es dann nicht mehr geben. Zumindest nicht mehr hier. Niemand wird glauben, dass mein Doppelgänger abgedrückt hat.
Keiner weiß, dass ein Doppelgänger je existiert hat.
"Wenn du mir die Chance gibst-"
"Halt die Klappe!", schnauzt sie mich an. Ihre Lippen beben. Und ich schweige. Sie nimmt die zweite Hand, dass nun beide Hände die Pistole umfassen. Sie macht das zum ersten Mal. Ich weiß nicht, ob mich das Wissen wirklich beruhigen soll.Das Zittern hört auf. Sie ist fest entschlossen. Mit aufgerissenen Augen starrt sie mich an.
"Mein Leben", sie atmete schwer, ihr Brustkorb hebt sich kaum merklich unter meinem Oversize Pullover, "es ist mein Leben! Mein's, verdammt! Und ich will es wieder haben. Jetzt. Auf der Stelle."Ich nicke. Die Pistole rutscht auf meiner Stirn hoch und runter. Der Lauf streichelt meine Haut. Gerade denke ich, was für ein Idiot ich gewesen bin. Ich sollte - nein ich muss!, Reue verspüren. Stattdessen quält mich die Gewissheit, dass Versagern wie mich kein anderes Schicksal erwartet.
Ein leises Klacken, der Zeigefinger bewegt sich auf dem Abzug.
"Du musst das nicht tun", hauche ich. Meine Augen brennen und ich will nicht weinen, aber - verflucht nochmal!, ich kann nicht anders.
"Doch, Lizzy", antwortet sie und tief in meinem Inneren weiß ich, dass sie recht hat.
"Es gibt kein Zurück", ihre Stimme, die ganz nach mir klingt, wird schwach.Es ist vorbei.
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Redemption
Science FictionWenn du glaubst, es gibt dich nur einmal auf dieser Welt - Irrtum! Als eine unerwartete Begegnung das Leben der 17-jährigen Lizzy in seinen Grundsätzen erschüttert und die Möglichkeit auf eine zweite, bessere Chance besteht, muss sie sich bald ents...