Schritt 3.2: Zweifel säen

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Es ist nicht schwer, an die Kontoauszüge meiner Mum zu kommen. Die EC-Karte steckt in einem ihrer Hoodies, sie geht nicht sonderlich pflegsam mit ihr um, die Ecken sind geknickt und es ist ein Wunder, dass der Chipleser noch funktioniert. Das ist nicht das erste Mal, dass ich mir ihre Karte borge, ich kenne die Pin und habe sie schon unzählige Male für sinnvolle und weniger sinnvolle Einkäufe genutzt. Eine Mum, wie ich sie habe, vergisst schon mal gerne, dass sie drei Kinder im Teenageralter zu versorgen hat.

Ich bin früh unterwegs. In kaum einem der Häuserblocks brennt Licht und ich bezweifle, dass vor zehn Uhr irgendetwas passiert. Die Bahn ist verdächtig leer. Mir gegenüber sitzt eine Frau, ich schätze sie kommt von der Arbeit - Pflegedienst oder so. Wir lächeln uns zu, sind einfach nur froh, nicht der einzige Depp in der Bahn zu sein.

Zehn Minuten habe ich Zeit, meine Gedanken zu ordnen. Die Nacht war gelinde gesagt beschissen. Ich habe von rothaarigen Zwillingen und Sarkophagen geträumt. Seitdem verfolgt mich das Bild meiner Leiche, die im offenen Sarg vor sich hinvegetiert. Es ist klar, dass mir die Doppelgänger-Geschichte nicht gut tut. Das Beste wäre, die Sache zu vergessen. Meine Intuition schreit, ich soll vergessen. Mein blöder Magen brüllt, ich soll vergessen.

"Nächste Haltestelle - Markt." Die elektronische Frauenstimme ertönt und ich setze mich automatisch in die Bewegung. Das Händeldenkmal geht zwischen dem grauen Betonboden und einer Endzeit-Wolkendecke verloren. Ich laufe den Boulevard hoch, der seinem Namen schon seit Ewigkeiten nicht mehr gerecht wird und steuere das Altbaugebäude an. Wenige Menschen bewegen sich auf der Straße, ich beschleunige meine Schritte, weil es mir auf einmal falsch vorkommt, am frühen Morgen durch die City zu marschieren, um den fadenscheinigen Information eines Doppelgängers zu folgen, dem ich für fünf Sekunden auf der Straße begegnet bin und jetzt der Meinung zu sein scheine, ihm alles abkaufen zu müssen, was er mir unter die Nase bindet. Ich schaue auf den Eingang, entdecke die Überwachungskameras und hoffe, dass sie im Ernstfall keine Attrappen sind. Mein Blick schweift von links nach rechts. Der miefig faulige Geruch ist noch frisch. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Penner den Raum mit den Terminals als Raststätte nutzt und die Fensterbank zum Bett umfunktioniert. Ich nehme den Automaten ganz rechts außen, dort, wo der Geruch von Ammoniak und billigem Fusel noch halbwegs erträglich ist und stecke die Karte meiner Mum in den vorgesehenen Schlitz. Die Anzeige bloppt auf, ich werfe einen Blick über die Schulter. Wenn mich jetzt einer überfallen will, hab ich keine Chance, und sobald ihm klar wird, dass er mit mir keinen großen Fisch geangelt hat, werde ich wohl mehr als einen Krankenwagen brauchen. Kopfschüttelnd drücke ich auf Kontoauszüge drucken. Ich muss aufhören, Panik zu schieben. Paranoia ist das letzte, das ich gebrauchen kann. Das hier ist kein verdammter Krimiroman und ich bin nicht das nächste Opfer vom Kontomörder. Der Titel klingt so bescheuert, dass ich für einen Augenblick vergesse, die Karte herauszuziehen. Das surrende Geräusch des Druckers dröhnt für etwa eine halbe Minute, ein faustdicker Batzen Papier zwängt sich heraus. Typisch Mum, ich bezweifle, dass sie sich jemals einen Überblick über ihre Finanzen verschafft hat.

Ich atme tief ein. Das hier sollte sich mehr nach Vertrauensbruch anfühlen. Tut es aber nicht.

"Du wurdest belogen."

Mein Doppelgänger kann nicht wissen, dass Lügen an der Tagesordnung steht. Damit habe ich die Hälfte meiner Schulzeit überstanden. Also, warum macht mir dieser Satz so sehr zu schaffen? Vielleicht weil ihn jemand Fremdes gesagt hat, und die Wirkung auf dem Laptop echt freaky war.

Du weißt, dass es wahr ist.

Ich gebe mir einen Ruck. Den Gestank um mich herum blende ich aus und konzentriere mich ganz auf die Zahlen auf den Unterlagen.

Aktueller Kontostand: 215,75€

Das wundert mich nicht wirklich. Der Monat hat noch nicht einmal angefangen und schon hat Mum unser gesamtes Geld zum Fenster geworfen. Enttäuschung macht sich breit. Was habe ich erwartet? Einen unerwarteten Geldregen? Eine Falschüberweisung, die uns zu Millionären macht? Frustriert überfliege ich die Transferaktionen. Zwanzig Euro für Maniküre, jede Menge Abzüge von der Tankstelle, da dreißig Euro für e-Zigaretten... Der Auszug überrascht mich nicht, er macht mich sauer. Das Geld wird für sinnlosen Scheiß verprasst und am Ende des Monats heißt es, es reicht nicht für die nächste Klassenfahrt. Die linke Hand ballt sich zur Faust, zerknüllt die Ecken der Papiere. Überall ein Minus, und die ersten Überweisungen stammen von der Kindergeldstelle, und von einer Firma, deren Namen ich nicht einmal aussprechen kann.
Ich halte inne. Überfliege die drei Monate. Wieder auf dem ersten Seite angelangt, ziehe ich die Stirn kraus und beginne, die Unterlagen von Neuem zu durchsuchen. Gründlich.

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