Schritt 3.1: Zweifel säen

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Vier Stunden später sitze ich auf der Wohnzimmercouch, den Laptop zu meiner Linken, Jamie zu meiner Rechten, während mir meine Lieblingsband MAMMAMIA durch die Ohren peitscht - das Beste, das mich derzeit von meinen Problemen ablenkt.

Meine Schwestern haben es sich auf dem Boden bequem gemacht - mit Crackern, die sie vor einer Stunde noch bei ihren Influencer-Zwillingen gesehen haben. Es läuft Ein Zwilling kommt selten allein, ich habe den Film aus Mums Alter DVD-Kiste herausgefischt. Unsere Mutter ist natürlich nicht anwesend. Seit sie ihren neuen Freund hat, ist sie abends kaum noch Zuhause. Ich glaube, er mag keine Kinder, was uns in dem Fall nur in die Karten spielen kann. Noch eine weitere enttäuschende Väterfigur kann nun wirklich keiner von uns gebrauchen.

Mein Blick geht zwischen dem Fernseher und meinem Laptop hin und her. Keine Ahnung, warum ich den Film ausgesucht habe. Scheinbar will mir mein Gehirn etwas sagen, doch ich bin zu ignorant, um darauf einzugehen.
Die Hauptprotagonistinnen haben mittlerweile geschnallt, dass sie Zwillinge sind. Über den Rand meines Bildschirms erhasche ich einen Blick auf die beiden Mädchen. Die Ähnlichkeit ist nicht zu übersehen. Logisch. Schließlich wurde hier nur mit Doppelbelichtung gearbeitet. Simple Technik des zwanzigsten Jahrhundert. Aber das heute Mittag auf der Straße-
Ich hieve den Laptop auf meinen Schoß. Gar nicht so einfach, wenn ich den rechten Arm nicht bewegen kann.

Im Laufe der Male, in denen ich Jamies Babysitter spielen durfte, habe ich zwei Dinge über diese kleinen Wesen gelernt. Erstens: Der Fernseher bringt ihn immer zum einschlafen. Und zweitens - lass' niemals - wirklich niemals zu, dass der Nuckel aus dem Mund fällt. Es ist dein Todesurteil!
Also drücken Zeigefinger und Daumen den leuchtend blauen Schnuller in die winzige Schnute dieses schlafenden Säuglings. Ich spüre die Vibrationen an meinen Fingerkuppen, was mir ein eigenartiges Gefühl von Geborgenheit gibt. Wenigstens der Kleine hat es geschafft, meine Gedanken nicht völlig abdriften zu lassen.

Mit der freien Hand scrolle ich mich durch die Profile meiner Freunde. Nachrichten ploppen auf, meist von Jasmine, die noch keine Ahnung hat, welches Kleid sie zum Abiball anziehen soll. Meine Augen werden schwer. Die Geräusche des Fernsehers vermischen sich mit den Texten auf meinem Rechner. Ich kann einfach nicht fassen, dass die Eltern nicht mitkriegen, dass ihre Kinder die Rollen getauscht haben. Mal ehrlich, wenigstens die Mutter muss doch merken, dass was nicht stimmt. Andererseits würde meine Mum nicht mal mitbekommen, wenn ich mir die Haare lila färben würde.
Und warum müssen Mama und Papa so Gott verdammte Supereltern sein?!
Neben mir beginnt Jamie unregelmäßig zu atmen. Mist, fast hätte ich den Nuckel losgelassen. Vorsichtig schiebe ich das Ding zurück in seinen Mund, die Atmung reguliert sich. So ist's brav.

Aus dem Augenwinkel sehe ich eine neue Nachricht aufploppen.
PinkLady, lese ich als Adressaten. Ist das nicht 'ne Apfelsorte? Die Leute werden aber auch immer einfallsloser. Jedenfalls kenne ich niemanden mit diesem Nickname. Auf dem Profilbild kann ich auch nichts erkennen. Alles Schwarz; derjenige hat sich nicht mal bemüht, seinen Fake-Account zu vertuschen. Scheinbar wieder ein Perverser, der mich gleich nach der Farbe meines Höschens fragt...oder Anne aus der Parallelklasse, die sich für die Plastikspinne in ihrem Spind revanchieren will. Ich will nicht sagen, dass ich mich deswegen mies fühle. Diese kleine Mistziege hat meine beste Freundin drangsaliert, ich habe getan, was ich tun musste.

Ich werde die Nachricht wie jeden Spam behandeln, also ab in den Papierkorb. Ich halte inne. Mir kommt so eine Idee. Es ist verrückt, die Möglichkeit auch nur in Erwähnung zu ziehen, aber was soll's. Ich öffne die Nachricht. Solange ich keinem Link folge oder mein Passwort eingebe, kann schon nichts passieren, oder?

Bist du Lizzy?

Ich runzel die Stirn. Anne kann es schonmal nicht sein. Die ist nicht so dumm, meine Identität in Frage zu stellen. Die meisten kennen mein Profil. Mein aktuelles Bild zeigt mich und Jasmine vor dem Brandenburger Tor. Wir beide sind geschminkt, als würden wir Geld fürs Arschficken nehmen, und ja verdammt, in dieser Nacht ist so einiges passiert, das dieser Idee verflucht nahe kommt.

Mit der linken Hand hämmere ich auf die Tastatur.

Wer will das wissen?

Die Antwort lässt einen Moment auf sich warten, und ich fange an, wieder an die Theorie mit dem Perversling zu glauben.  Dann erscheint das neue Textfenster.

Schon mal die Kontoauszüge deiner Eltern gesehen?

Bitte was?!

Ein schlechter Einstieg für Cybersex.
Jetzt also doch ein Bot, der mir all mein Geld anknöpfen will? Ach Moment, ich hab ja kein's! Ich habe mich gerade entschieden, dem Gespräch ein Ende zu setzen. Vielleicht mit einem Fuck You zum Abschied. Das wäre noch die harmloseste Rückmeldung von mir. Aber auf der untersten Zeile sehe ich, wie eine neue Nachricht geschrieben wird.

Ich bin kein Bot.

Kurz halte ich die Luft an. Feuerameisen haben einen Tanz auf meinen Oberarmen eröffnet.

Du bist das Mädel vom Museum

Meine Finger rutschen auf den Buchstaben herum. Die Autokorrektur kann mein Kauderwelsch geradeso entziffern. Mit klopfendem Herzen warte ich auf eine Antwort. Ich beuge mich vor, so als könnte ich in den Laptop greifen und das Mädchen auf der anderen Seite aus dem Bildschirm direkt zu mir auf die Couch ziehen.

Jetzt mach' schon!

Doch die Antwort bleibt aus. Vielleicht hat sie Angst.

Wir kennen die Antwort.

Ich schaue auf die Buchstaben und tippe einfach drauf los.

Warum soll ich mir die Kontoauszüge ansehen?

Die Antwort kommt schnell.

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Weil du belogen wurdest.

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